Am Abend der Parlamentswahlen in Portugal war sich Chega-Chef André Ventura bereits siegessicher. «Unsere Partei ist bei diesen Wahlen zur zweitgrössten Partei geworden», sagte er vor jubelnden Anhängern.

Zehn Tage später ist seine Prophezeiung eingetreten. Stärkste Partei ist zwar immer noch die konservative Mitte-Partei von Luís Montenegro. Aber vor allem dank den Stimmen von hunderttausenden Portugiesinnen und Portugiesen, die im Ausland leben, haben die Rechtspopulisten das politische System in Portugal zum Wanken gebracht.
Die portugiesische Demokratie existiert seit 1974. Damals wurde die langjährige Diktatur ohne Blutvergiessen beendet. «Lange Zeit hatten wir eine Demokratie mit starken antiautoritären Werten. Das ist nun endgültig vorbei», sagt António Costa Pinto.
Wir sind nicht mehr immun gegenüber dem Rechtspopulismus
Pinto lehrt am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Lissabon und befasst sich seit über 40 Jahren mit der portugiesischen Demokratie. «Wir sind nicht mehr immun gegenüber dem Rechtspopulismus», so Pinto.
Die Kehrtwende zeichnete sich spätestens vor einem Jahr ab, als Chega bei den letzten Parlamentswahlen 18 Prozent der Stimmen gewann. Ein wichtiger Grund für den Aufstieg der Partei sei das Thema Migration, sagt Pinto. Die in den letzten Jahren von den Sozialisten geförderte Einwanderung habe viele Ängste ausgelöst.
«Die Einwanderung wird nicht aus rassistischen Gründen abgelehnt. Aber sie wird für die niedrigen Löhne in Portugal verantwortlich gemacht.»

Ab 2017 strömten Migrantinnen und Migranten aus Brasilien, früheren afrikanischen Kolonien wie Angola und anderen Ländern nach Portugal. Besonders im Süden sei der Ausländeranteil stark gestiegen, sagt Pinto. Und so wähle der Süden, wo historisch die Kommunisten bevorzugt wurden, heute mehrheitlich Chega.
Ein Land von Auswanderern
Das Zünglein an der Waage spielten bei diesen Wahlen die Exil-Portugiesinnen und -Portugiesen. Zwei der vier für sie reservierten Parlamentssitze gehen an Chega, wie bekannt wurde.
Die Entwicklung entbehre nicht einer gewissen Ironie, sagt Pinto. Portugiesinnen und Portugiesen seien auf der Suche nach Arbeit zu Hunderttausenden ausgewandert. Im ehemaligen Heimatland würden die Immigranten jedoch mit Sorge beobachtet.
«Die portugiesischen Immigranten in Brasilien stimmen für Chega. Und ein Teil der Immigranten in der Schweiz und Frankreich stimmen ebenfalls für Chega. Wir wissen das.»
Die diversen Korruptionsfälle, in welche die etablierten Grossparteien in Portugal regelmässig involviert seien, sorgten ebenfalls für starken Zuwachs bei den Rechtspopulisten, sagt Pinto. Dazu komme eine generelle Frustration über die etablierten Parteien.
Die Portugiesinnen und Portugiesen hätten Angst vor Wohnungsnot, tiefen Löhne und einem überforderten Gesundheitssystem. Trotz einer wachsenden Wirtschaft fühle sich eine Mehrheit von der Politik im Stich gelassen, ist Pinto überzeugt.

Das sieht auch der Chega-Chef André Ventura so. «Wir haben diese Wahlen nicht gewonnen, aber wir haben Geschichte geschrieben.» Nichts werde nach diesem Abend so sein wie zuvor, versprach Ventura noch am Wahlabend.
Für viele Portugiesinnen und Portugiesen scheint bereits dieses Wahlversprechen Grund genug zu sein, Chega auch in Zukunft eine Chance zu geben.
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