Altersdiskriminierung – ein Begriff, der bei älteren Beschäftigten gerne mal durch die Büroflure geistert oder in Gesprächen mitschwingt. Wer die 50 erreicht hat, wird schnell als "zu alt" abgestempelt, die Karriere als weitgehend abgeschlossen betrachtet. Doch der demografische Wandel könnte genau für diese Gruppe neue Chancen eröffnen.
Unternehmen suchen zwar noch immer junge Talente. Aber viele wissen auch mehr und mehr den Wert und das Potenzial der "Ü50-Jährigen" zu schätzen. Denn wenn nicht nur einfach die personellen Ressourcen knapp werden, sondern mit den Älteren auch wichtige Kompetenzen wie Erfahrung, Praxiswissen und Weitsicht vom Arbeitsmarkt verschwinden, dann entwickelt sich Alter plötzlich zu einem echten Wettbewerbsvorteil, den Jobsuchende nutzen können.
Mehr Möglichkeiten für Quereinsteiger
Das Jobportal Stepstone schätzt die Chancen am Arbeitsmarkt für Menschen im Alter über 50 Jahren derzeit "recht gut" ein. Auf Basis ihrer verschiedenen Arbeitsmarktstudien lasse sich sagen, dass die Nachfrage nach älteren Beschäftigten aufgrund des Fachkräftemangels in den kommenden Jahren steigen dürfte, so das Unternehmen auf Anfrage. Bereits heute würden 84 Prozent der Personalverantwortlichen es als Herausforderung sehen, passende Kandidatinnen und Kandidaten mit den benötigten Kompetenzen für offene Stellen zu finden. Gleichzeitig sei ein boomendes Angebot für Quereinsteiger zu beobachten und Unternehmen seien offener dafür, auch Menschen aus fachfremden Bereichen einzustellen.
"Berufsbilder wandeln sich schneller, Unternehmen suchen zunehmend nach Potenzial statt nach linearen Lebensläufen", so die Stepstone-Experten. Gerade in Berufen mit starkem Arbeitskräftemangel oder geringerem Spezialisierungsgrad seien Unternehmen häufig besonders offen für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger – und damit auch für ältere Bewerberinnen und Bewerber, die noch einmal durchstarten wollen. So zeige eine Auswertung von 700.000 Stellenanzeigen, dass insbesondere bei sozialen Berufen wie Erziehung und Pflege, in der Logistik- und Transportbranche, in Teilen des Handwerks sowie in der Verwaltung mit dem Stichwort "Quereinstieg" geworben wird.
Und es muss auch nicht unbedingt der Quereinstieg sein. Gerade in besonders vom Fachkräftemangel betroffenen Branchen dürften Unternehmen ein größer werdendes Interesse daran haben, die langjährigen Mitarbeitenden mit ihrem Wissen zu halten.

Zweite Karriere Ein neuer Job mit Mitte 40? Das sollten Sie beachten
"Für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes sind erfahrene Fachkräfte wichtiger denn je", sagt Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei Stepstone. Das wirke sich auch auf die Job- und Karrierechancen aus. "Wer bereit ist, Veränderungen mitzugehen, aktiv in die eigene Fort- und Weiterbildung investiert und das eigene Profil am Bedarf ausrichtet, wird immer mehr Chancen bekommen. Je knapper die Arbeitskräfte, desto mehr wird Altersvielfalt zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil."
Generation X gilt im Job als verlässlich
Welcher Job nun ausgerechnet für Menschen über 50 infrage kommt, lasse sich aber nicht pauschal sagen, sagt Stefanie Bickert, Job- und Karriereexpertin von Indeed zu Capital. "Es hängt stark von individuellen Faktoren wie Gesundheit, Branche oder Motivation ab", sagt sie. Zwar könnten stark körperlich fordernde Tätigkeiten mit höherem Alter herausfordernder werden, gleichzeitig würden sich viele Fähigkeiten aber auch erst in der zweiten Lebenshälfte richtig entfalten. "Pauschale Altersgrenzen sind daher selten sachlich zu rechtfertigen, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Gruppe der über 50-Jährigen inzwischen die größte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt stellt."
Trotzdem wird das Alter in der Realität oft noch als Hürde wahrgenommen. Laut einer repräsentativen Umfrage von Stepstone zum Thema Altersvorteil haben zwei Drittel der Arbeitskräfte über 60 Jahren die Sorge, keinen neuen Job zu finden, weil sie als zu alt angesehen werden. Bei den 51- bis 60-Jährigen befürchten das 57 Prozent. Und tatsächlich liegt das Alter, ab dem Kandidatinnen und Kandidaten aufgrund ihres Alters nicht mehr berücksichtigt werden, laut der Umfrage bei 55 Jahren – obwohl das gesetzliche Renteneintrittsalter für heute 55-Jährige erst bei 67 Jahren liegt.
Diese Differenz von zwölf Jahren zu verringern, dürfte auch im Interesse der Unternehmen liegen. Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat auf Basis von Daten der OECD herausgefunden, dass sich die Erwerbstätigkeit der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten bereits enorm erhöht hat. Das ist zwar auch in vielen anderen Ländern der Fall; in den Niederlanden, Deutschland und Belgien war der Anstieg jedoch am höchsten. Nur bei den Über-65-Jährigen, also denen, die teils bereits Rente beziehen, liegt Deutschland hingegen noch unter dem OECD-Durchschnitt.
Immerhin: Eine zentrale Erkenntnis der Stepstone-Umfrage ist, dass Ältere nicht nur besonders zuverlässige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, sondern auch zufriedenere. Beim richtigen Angebot seien sie eher bereit, über das offizielle Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten.
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