Warum soll man sich mit dem politischen Leben des Björn Höcke beschäftigen? Die Frage beantwortet sich im Herbst 2025 von selbst.
Seine Alternative für Deutschland hat die politische Sperrzone durchbrochen, die das bürgerliche Deutschland nach der Shoa und dem Zweiten Weltkrieg um den Rechtsradikalismus gelegt hatte. „Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“, hatte der CSU-Übervater Franz Josef Strauß im Jahr 1987 apodiktisch festgestellt. In der Amtszeit der Bundeskanzlerin Angela Merkel gelang der AfD der Sprung in den Bundestag und alle 16 Landesparlamente. Und auch ihr Nachfolger Friedrich Merz muss sich mit ihr als größter und aggressivster Oppositionspartei herumschlagen.
In ostdeutschen Bundesländern ist die Regierungsbildung gegen die Rechtsaußen-Partei schon schwierig und könnte bald unmöglich werden. Ein Ministerpräsident der AfD ist eine realistische Option. Schon heute prägt die Partei auch bundesweit die Debatten mit: etwa über die Bewaffnung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg, über Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen und – immer stärker – über Maßnahmen zum Klimaschutz. Die politische Mitte ist unter Druck. Nur eine kontrovers diskutierte Brandmauer der anderen Parteien trennt die AfD von einflussreichsten Ämtern.
Björn Höcke ist nicht ihr führender, aber doch ihr einflussreichster Politiker. Das weist Frederik Schindler im Buch „Höcke – Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht – Die AfD und ihr gefährlichster Vordenker“ so kleinteilig wie eindrucksvoll nach: Formal nur Vorsitzender eines kleinen ostdeutschen Landesverbandes, geht in der AfD schon lange nichts mehr ohne ihn. Die Luckes, Petrys und Meuthens, die versuchten, die junge Partei zu führen, sind längst ausgeschieden. Rechts wurde von ganz rechts gefressen, ganz rechts von noch rechter und noch rechter von rechts außen. Und am rechtesten ist Höcke. Er blieb.
Das hat damit zu tun, dass Höcke kein Opportunist ist, wie Frederik Schindler plausibel analysiert, sondern ein „Überzeugungstäter“. Mit Gleichgesinnten bildet er Bünde in der AfD, die zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung über längere Zeiträume fähig sind. Das ist in der AfD die Ausnahme und deshalb spektakulär erfolgreich: In der von Glücksrittern und Zockern geprägten jungen Partei obsiegt langfristig derjenige, der zu mehr fähig ist als taktischen Bündnissen.
Die AfD hat sich radikalisiert, Höcke nicht
Die Binnensolidarität, die das Erfolgsrezept von Höckes völkischem „Flügel“ und damit auch von ihm selbst ist, stützt sich auf eine Weltanschauung, die vor allem eins ist: stabil. Höckes intellektueller Werdegang ist nur in einem bemerkenswert: weil er keiner ist. Schon sein Vater ist mit Rechtsextremismus am Rande des Vertriebenenmilieus aufgefallen – und Höcke selbst entwickelte sich vom Lehrer in der hessischen Provinz, kruden Geschichtsrevisionismus von sich gebend, bis zum AfD-Vordenker eben nicht fort: Germanentümelei, missverstandenes Preußentum, Versatzstücke der „Konservativen Revolutionäre“ in Weimar und immer wieder verschwiemelter Nationalsozialismus.
Ein Weltbild, das Züge einer Karikatur trägt: Im Kindergarten von der Erzieherin in die Ecke gesetzt worden zu sein, erzählt Höcke als frühen Beleg seiner rebellischen Männlichkeit.
Die AfD hat sich radikalisiert, Höcke nicht: Er war immer schon ein Rechtsradikaler. Das weist Schindlers starke Recherche schlüssig nach. Die Partei entwickelte sich unaufhaltsam auf ihren wichtigsten Vertreter zu. Die Meilensteine, die gemeinhin als Bedingung für den Erfolg der AfD beschrieben werden, spielten für Höcke keine Rolle. Weder radikalisierten ihn die Euro-Rettungspakete noch die „Grenzöffnung“ von 2015. Auch die Corona-Maßnahmen oder die Waffenlieferungen für die von Russland angegriffene Ukraine hatten nicht wirklich einen Einfluss auf ihn.
Auch die vom Autor dieses Vorworts jahrelang bemühte These, Angela Merkel sei die unfreiwillige Geburtshelferin der AfD, muss – zumindest was Höcke angeht – neu bedacht werden. Ihn hat keine „Willkommenskultur“ radikalisiert und kein vermeintlicher Linksrutsch der Unionsparteien. Höcke leidet an amerikanischer Populärkultur, „Reeducation“, Westbindung und Vergangenheitsbewältigung.
Sein eigentliches Feindbild ist nicht Merkel, sondern Adenauer. Er leidet daran, dass Deutschlands „langer Weg nach Westen“ nach so schmerzhaften Umwegen unter dem großen CDU-Kanzler schließlich doch noch gelang. Höcke lehnt nicht nur „Merkel-Deutschland“ ab. Die gute alte Bundesrepublik ist ihm ein Graus!
Noch einmal gefragt, also, warum muss man sich mit dem politischen Leben Björn Höckes beschäftigen? Weil es zeigt, wie aussichtslos alle Versuche sein werden, einer von ihm geprägten AfD politisch entgegenzukommen, um seinesgleichen zu befrieden. Das wird nicht gelingen. Denn Höcke steht gegen alles, was die politische Mitte der Bundesrepublik – gerade die Unionsparteien – in acht Jahrzehnten aufgebaut haben.
Weil Höckes Einfluss in der AfD weiter wächst, ja sich diese Partei zumindest im Osten ihm weithin anverwandelt, gibt es eine weitere Lehre, die man unbedingt aus Frederik Schindlers Buch ziehen sollte: Die AfD ist nicht nur keine normale Partei. Sie ist auch keine normale Rechtspartei. Keine bundesrepublikanische Variante des europäischen Aufschwungs des Rechtspopulismus. Keine deutsche Schwester des französischen Rassemblement National um Marine Le Pen oder der italienischen Fratelli d’Italia um Giorgia Meloni.
Denn diese haben rechtsextreme Wurzeln, sich aber während ihres Aufschwungs zumindest teilweise von ihnen emanzipiert: Sie brachen mit dem offenen Antisemitismus, der Feindschaft zur Europäischen Union und der zur Nato.
Wieweit dieser Bruch bei den französischen und italienischen Rechtspopulisten geht und wie authentisch oder ob er nur taktisch ist, mag anderswo erörtert werden. Im deutschen Zusammenhang ist entscheidend: Die AfD vollzieht die Selbstaufklärung und Normalisierung ihrer europäischen Schwestern nicht nach. Sie hat eben nicht klein und rechtsextremistisch begonnen und sich im Wachstum in die Mitte bewegt. Im Gegenteil: Als klein, eurokritisch und zumindest in Rufweite der Mitte gestartet, transformierte sich die AfD in ihrem Aufschwung immer weiter nach rechts.
Die AfD entwickelte sich dorthin, wo Höcke immer schon war.
Robin Alexanders Text ist als Vorwort im Buch „Höcke – Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht – Die AfD und ihr gefährlichster Vordenker“ (Herder-Verlag) von Frederik Schindler erschienen.
Robin Alexander ist stellvertretender Chefredakteur. Kürzlich ist sein neues Buch „Letzte Chance – der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie: Ein Report aus dem Innern der Macht“ erschienen. Einen Auszug können Sie hier lesen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke