Die Spitzen von CDU, CSU und SPD kommen zum ausführlichen Gespräch im Kanzleramt zusammen. Konkrete Vereinbarungen sind zwar rar. Doch Kanzler Merz, CSU-Chef Söder und die SPD-Vorsitzenden Bas und Klingbeil lassen keinen Zweifel: Das Gespräch tat Not.

Eigentlich hatte in der Regierung ja von "Krise" niemand sprechen wollen im Sommer, schon gar nicht der Bundeskanzler. Wer aber am frühen Mittwochabend den im Kanzleramt versammelten Parteichefs von CDU, CSU und SPD lauschte, bekam eine Ahnung, wie sehr die Koalitionsspitzen vom Verlauf des Sommers alarmiert waren. Von einer überwundenen "Sommerdepression" spricht der CDU-Vorsitzende Markus Söder, als die vier über den Verlauf des Koalitionsausschusses informieren. Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz will nun auf die einigende Kraft "des persönlichen guten Kennenlernens" setzen, das die Regierungsspitzen nach arbeitsintensiven ersten Monaten nachhole. Auch die Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende Bärbel Bas lobt die gefundene "Klarheit" zwischen sich und Merz, nachdem sie ihm am Wochenende noch "Bullshit"-Behauptungen attestiert hatte.

Klarheit herrscht nun zumindest über den Verlauf des am Vorabend stattgefundenen Kennenlernens zwischen Bas und Merz im Kanzleramt. Nicht nur Salat und schon gar keinen Wein habe es gegeben, wie zum Teil berichtet. Es war ein leichtes Abendessen mit je zwei Glas Bier, wie Merz feststellt. Und am Ende sei man sich einig gewesen über die gemeinsamen Ziele bei der Bürgergeldreform, die ja Teil des öffentlichen Streits zwischen Union und SPD im August war. Merz sagt über das Gespräch mit Bas: "Wir sind uns einig, dass wir den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland erhalten wollen. Wir wollen ihn nicht schleifen, wir wollen nicht, ihn nicht abschaffen." Es gehe nicht um Kürzungen, sondern um Reformen.

Vage Einigung auf Bürgergeldreform

Überhaupt gibt sich Merz betont konziliant in Richtung des kleinen Koalitionspartners. Es seien "natürlich Fehler passiert" vor der Sommerpause und "wir hätten es auch mit der Richterwahl besser vorbereiten müssen". Das erinnert an den Gipfel der Fraktionsspitzen der drei Regierungswochen in Würzburg, wo Unionsfraktionschef Jens Spahn ebenfalls um versöhnliche Worte bemüht war. Die Union hat offensichtlich verstanden, wie sehr das Debakel um die Wahl dreier Verfassungsrichter der SPD den ohnehin überschaubaren Enthusiasmus für das Regierungsbündnis mit den Konservativen verhagelt hat. Wie es in dieser Frage nun weitergeht, ist aber weder in Würzburg noch nach dem Koalitionsausschuss zu erfahren.

Dafür erklärt Merz, auch den "Bullshit"-Vorwurf von Bas nicht allzu persönlich zu nehmen: "Dass da mal auch ein hartes Wort fällt in der politischen Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, ist okay." Andersherum beteuert Bas, sie müsse in puncto Sozialstaatsreformen "nicht zum Jagen getragen werden". Auch sie wolle Leistungskürzungen für Unterstützungsbezieher, die nicht mitziehen. "Ich glaube, es ist jetzt auch eine gemeinsame Chance, darüber nachzudenken, wie wir auch unsere Sozialversicherungssysteme auf sichere Füße stellen, auch für die nächsten Generationen."

Die einberufene Sozialstaatsreformkommission wird Ende des Jahres Vorschläge zur Finanzierung von Renten-, Pflege- und Krankenkassen machen, die im nächsten Jahr umgesetzt werden. Bas' Bürgergeldreform wiederum soll bis Jahresende konkrete Formen annehmen. Eine gründliche Reform ist eben komplizierter als das bloße Kürzen von Leistungen. In den Reihen der Union aber ist die Ungeduld groß, dass beim Bürgergeld etwas passiert. Die von Bas angekündigte Nullrunde beim Bürgergeld im kommenden Jahr könnte ihr aber zumindest etwas mehr Luft verschafft haben.

Auf Kommissionen folgen Gipfel

Inhaltlich ist in den ersten zwei Stunden des Treffens überschaubar viel herumgekommen. Die Parteien präsentieren kein Einigungspapier, kündigen aber zwei Gipfel an. Diese sollen sich mit der Rettung der deutschen Stahlindustrie und dem Überleben der deutschen Automobilindustrie befassen. Insbesondere die SPD fordert schon länger einen Stahlgipfel, Merz ist von derlei Symbolik weniger überzeugt. Die meisten Symptome sind hinlänglich bekannt: nicht wettbewerbsfähige Energiekosten in Deutschland, extrem hohe Zölle der Trump-Regierung in den USA und schiere Wettbewerbsverzerrung durch China. Auch Merz zählt diese Punkte noch einmal auf.

Den letzten Stahlgipfel von Bundeskanzler Olaf Scholz im Dezember vergangenen Jahres hatte die Union noch als "nutzloses Wahlkampfmanöver" abgetan. Der Autogipfel zwei Wochen zuvor, ebenfalls im Kanzleramt, sollte vor allem die Elektroautos anschieben. Schwarz-Rot ist in dieser Frage schon aktiv geworden: elektrische Dienstwagen sind nun weitgehend abschreibbar und sollen über den Umweg der Firmenflotten schnell und zahlreich in den Gebrauchtwagenmarkt finden.

Söder will kein "Sozi" werden

Es ist vor allem Bayerns Ministerpräsident, der dennoch die Bedeutung des Autogipfels betont, an dem alle Länderchefs mit Automobilindustrie teilnehmen sollen - also auch Söder, in dessen Heimat BMW und Audi ansässig sind. "Tausenden Menschen" drohe die Arbeitslosigkeit, wenn der Automobilbau als Herzstück der deutschen Industrie verschwinde, warnt Söder. Das etwas ausführliche Referat zu den technologischen Herausforderungen im modernen Pkw-Bau ist womöglich auch dem Umstand geschuldet, dass der Bayer sich um annähernd so viel Redezeit wie der Kanzler und die beiden SPD-Vorsitzenden zusammen bemüht. Am Ende sind die drei Parteien ungefähr gleichauf.

Nach seinem Statement ist Söder nicht mehr gefragt und tippt abwesend auf seinem Mobilgerät herum, während die anderen reden. Dass ab sofort überhaupt mehr geredet werde in der Koalition finde er aber gut. "Friedrich Merz ist jetzt mit allen von der SPD per Du", sagt Söder spitz. "Ich bleibe da bei meiner Sie-Form." Es werde auch weiter Streit in der Sache gebe. "Wir werden keine Sozis werden und wollen es auch nicht. Und die Sozis werden keine Schwarzen werden", sagt Söder.

SPD-Chef Klingbeil vermutet "großes Aufatmen" bei seinen Parteimitgliedern über die Ankündigung, dass Söder nicht Sozialdemokrat werden wolle. Er kündigt sein Investitionsbeschleunigungsgesetz an, das das schnelle Verbauen der vielen Schuldenmilliarden sicherstellen soll, damit diese ihre Wirkung auch entfalten. Dieses Gesetz ist auch Merz wichtig, wie dieser betont: "Das Zauberwort sozusagen für das Gesetzgebungsverfahren lautet überragendes öffentliches Interesse. Und dann kann gebaut werden und sehr schnell umgesetzt werden." Vorbild sind die Flüssiggashäfen, die als Ersatz für russisches Gas im Eiltempo errichtet wurden.

Koalition vor historischer Herausforderung

Nach der Pressekonferenz entschwinden die vier zum schwierigeren Teil des Abends. Nach einem gemeinsamen Essen im achten Stock des Kanzleramts, das sich ebenfalls nicht auf Salat beschränken dürfte, kommen die wirklich schwierigen Themen auf den Tisch. Darunter die 30 Milliarden Euro große Lücke in den Haushaltsplanungen 2027. "Das ist eine Situation, die es noch nie gegeben hat in einer Bundesregierung, dass wir eine solch große Lücke schließen mussten", unterstreicht Bundesfinanzminister Klingbeil die Dimension der Aufgabe.

Die unvermeidbaren Ausgabenkürzungen wollen die Parteichefs im kleinen Kreis vereinbaren - und vorher möglichst schnell und möglichst weit beim Anschub der deutschen Wirtschaft vorankommen. Je größer die Steuereinnahmen und je geringer die Arbeitslosenzahlen, desto weniger muss im Haushalt gekürzt werden. Entsprechend werden die vielfältigen Entlastungsvorhaben für die Wirtschaft nun im Fokus der Regierung stehen. Ihr nächstes Treffen findet dann schon im Oktober statt, zur Koalitionsklausur. Noch so eine Gelegenheit zum "persönlichen guten Kennenlernen".

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