Alexander Hoffmann, 50, ist seit Mai Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Er ist seit 2013 direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Main-Spessart in Unterfranken.
WELT AM SONNTAG: Herr Hoffmann, war es eine gute Idee, den Abgeordneten von CDU und CSU zur Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf, der SPD-Kandidatin für das Verfassungsrichteramt, zu raten?
Alexander Hoffmann: Ich habe nicht für eine einzelne Kandidatin geworben, sondern für ein Gesamtpaket. Zu diesem gehörte unser Kandidat mit einer klar bürgerlich-konservativen Weltanschauung und eine Kandidatin der SPD, bei der das nicht so ist. Für die Berufung von Richtern an das Bundesverfassungsgericht sind Zwei-Drittel-Mehrheiten im Bundestag erforderlich, es ist also klar, dass man nicht nur die eigenen Wunschkandidaten durchsetzen kann. Die CSU im Bundestag stand hinter diesem Gesamtpaket, um unseren Kandidaten ans Bundesverfassungsgericht zu entsenden.
WAMS: Wie konnte man in der Unionsfraktion die Stimmung so falsch einschätzen und der SPD eine Mehrheit auch für Brosius-Gersdorf zusichern?
Hoffmann: Je näher der Wahltermin rückte, desto klarer wurde, wie groß die Vorbehalte in Teilen der Fraktion sind. So etwas entwickelt sich. Am Ende kamen noch neue Vorwürfe hinzu.
WAMS: Sie schlagen nun als Lösung ein „komplett neues Personalpaket“ vor. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) unterstützt Sie darin. Sie würden also auch den Kandidaten der Union, Günter Spinner, über die Klinge springen lassen?
Hoffmann: Ich habe dafür geworben, dass sich Union und SPD gemeinsam auf ein neues Kandidaten-Paket verständigen. Dieses neue Paket kann neue Namen umfassen, aber auch bekannte Namen beinhalten. Der Weg zu einem mehrheitsfähigen Kandidaten-Paket führt nicht über gegenseitige Vorwürfe, sondern nur über den Dreiklang aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, Respekt vor den Kandidaten und Respekt vor den Abgeordneten, die am Ende diese Wahlentscheidung treffen.
WAMS: Würden Sie weiterhin für Frau Brosius-Gersdorf stimmen?
Hoffmann: Es geht nicht um eine einzelne Person, sondern um ein mehrheitsfähiges Gesamtpaket. Der Auftritt der Kandidatin in einer Fernseh-Talkshow hat die Situation sicherlich nicht leichter gemacht.
WAMS: Und wann gibt es nun eine Lösung?
Hoffmann: Wir arbeiten über die sitzungsfreie Zeit daran, eine Einigung zu finden. Es gibt keine Frist, die wir einhalten müssen.
WAMS: Wie beschädigt ist das Verhältnis zur SPD?
Hoffmann: Auch die SPD weiß, dass wir gemeinsam einen Kompromiss finden müssen. Die Angelegenheit hat Spuren in der Koalition hinterlassen, die wir ausräumen werden.
WAMS: Wenn die Regierung uneins ist, profitiert die Opposition. Sie haben angekündigt, die AfD müsse „kleinregiert“ werden. Wie soll das aussehen?
Hoffmann: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die radikalen Ränder immer dann erstarken, wenn auch die Probleme und Sorgen der Menschen wachsen, und dass sie schrumpfen, wenn die Parteien der Mitte diese Probleme lösen. In den 1990er-Jahren, während des Jugoslawien-Krieges, stieg die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland stark an und damit auch der Zuspruch für die NPD. Dieser Zuspruch schwand, als sich mit dem Asylkompromiss die Lage entspannte.
Auch heute ist es unser Auftrag, die illegale Migration zu begrenzen und dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Wenn die Menschen spüren, dass sich etwas deutlich zum Positiven verändert, dann schrumpft auch die AfD. Dafür hat diese Koalition bereits einiges getan. Der Bundesinnenminister macht seit Tag eins dieser Regierung eine völlig neue Migrationspolitik, und mit der Senkung der Energiepreise und dem Investitionsbooster haben wir wichtige Weichen für eine Erholung der Wirtschaft gestellt.
WAMS: Den Investitionsbooster hat sich die Bundesregierung teuer erkauft, mit Milliarden an Ausgleichszahlungen für die Länder als Kompensation möglicher Steuerausfälle. War das der richtige Weg?
Hoffmann: Ich hätte mir von einigen Ländern ein breiteres Verständnis gewünscht, dass der Investitionsbooster einen Aufschwung der Wirtschaft bewirken wird und dadurch auch die Steuereinnahmen der Länder steigen. Aber wir brauchten die Zustimmung der Bundesländer, und den Booster auf die lange Bank zu schieben, war keine Option. Wir sehen ja, dass er als Teil der ergriffenen Maßnahmen dazu führt, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft und im Land verbessert.
WAMS: In Umfragen zeigt sich das nicht. Union und AfD liegen nun fast gleichauf.
Hoffmann: Die Ampel hat mit drei Jahren Dauerstreit das Vertrauen vieler Menschen in die Politik nachhaltig erschüttert, es braucht Zeit, bis man das zurückgewinnt. Diese Koalition regiert noch keine drei Monate. Wir setzen jetzt die Begrenzung der illegalen Migration fort, wir ergreifen weitere Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft, und wir bringen eine Sozialstaatsreform auf den Weg. Damit werden wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen.
WAMS: Für eine Sozialstaatsreform sind Änderungen beim Bürgergeld erforderlich. Wo sehen Sie bei der Grundsicherung den größten Handlungsbedarf?
Hoffmann: Die Arbeitsministerin hat zugesagt, bis zum Herbst Eckpunkte für eine Reform vorzulegen, das begrüße ich ausdrücklich. Wir müssen für die Zukunft ausschließen, dass es weiterhin eine bandenmäßige Abzocke beim Bürgergeld gibt, über die sich ganze Clans finanzieren. Das geschieht heute zum Beispiel, indem Menschen aus Südosteuropa nach Deutschland gelockt und scheinbeschäftigt werden. Das mittels Bürgergeld aufgestockte Einkommen wird dann durch mafiöse Strukturen abgezweigt.
Eine zweite Herausforderung ist der vor allem in Ballungsräumen zu beobachtende Umstand, dass dort seit Jahren teils überhaupt kein echter Vermittlungskontakt mehr zwischen Jobcenter und Leistungsbeziehern besteht. Deshalb werden wir das Bürgergeld ersetzen durch eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende, mit klaren Mitwirkungspflichten und harten Sanktionen. Und als dritte Herausforderung sehe ich hier die entschlossene Bekämpfung von Schwarzarbeit bei gleichzeitigem Leistungsbezug.
WAMS: Und Sie denken, die SPD zieht dabei mit?
Hoffmann: Das Bürgergeld verschlingt inzwischen fast 51 Milliarden Euro im Jahr, das ist ein Zehntel des regulären Bundeshaushalts. Auch die SPD hat erkannt, dass es zum Beispiel notwendig ist, mit einer strukturellen Reform gegen systematischen Missbrauch vorzugehen. Auch im Interesse derer, die wirklich hilfebedürftig sind.
WAMS: CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche fordert, das Renteneintrittsalter müsse erhöht werden. In der SPD dürfte das Ärger geben. Wie stehen Sie dazu?
Hoffmann: Die Wirtschaftsministerin wünscht sich mehr Beschäftigung, das ist ihr Job. Aber es macht einen Unterschied, ob jemand ein Leben lang im Büro arbeitet oder auf einer Baustelle. Deshalb gehen wir jetzt den Weg der Freiwilligkeit. Mit der Aktivrente kann man künftig freiwillig im Rentenalter weiterarbeiten und bis zu 2000 Euro steuerfrei hinzuverdienen. Deutschland ist ein Sozialstaat, der ein Leistungsversprechen für alle abgibt. Das kann aber je nach Lebensweg unterschiedlich eingelöst werden: Wer in seinem Berufsleben hart körperlich gearbeitet hat und sich mit Anfang 60 darauf einstellt, bald in Rente zu gehen, weil ein solcher Job nicht bis ins hohe Alter durchzuhalten ist, sollte das tun können.
WAMS: Einig ist man sich in der Koalition, nicht alle von der Stromsteuer zu entlasten. Warum wurde dieses Wahlversprechen gebrochen?
Hoffmann: Einspruch. Es gab keinen Bruch eines Wahlversprechens, wir haben im Koalitionsvertrag nicht festgelegt, alle Schritte schon im ersten Jahr umzusetzen. Wir stehen zur Senkung der Stromsteuer für alle, sobald die Haushaltslage dies zulässt. Wir hätten in der Kommunikation allerdings stärker betonen sollen, dass wir die Menschen schon jetzt über die Netzentgelte und die Gasspeicherumlage um mehr als zehn Milliarden Euro im Jahr entlasten.
WAMS: Ist für die Stromsteuer-Entlastung kein Geld da, weil es für das Lieblingsprojekt der CSU, die Mütterrente, gebraucht wird?
Hoffmann: Das ist eine grob einseitige Betrachtung auf Kosten der Mütter in unserem Land, das weise ich entschieden zurück. Im Koalitionsvertrag stehen die Stromsteuer-Entlastung und die Mütterrente, beides setzen wir um.
WAMS: Das heißt, die Stromsteuer-Entlastung für alle kommt noch in dieser Legislaturperiode?
Hoffmann: Ja, das ist unser Ziel.
WAMS: Die Grenzkontrollen, die Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordnet hat, belasten die Bundespolizei und widersprechen dem Prinzip der Freizügigkeit in der EU. Wie lange sollten sie fortgesetzt werden?
Hoffmann: Es wäre falsch, sich auf eine Zeitschiene festzulegen. Wir müssen die Kontrolle über das Geschehen an unseren Grenzen zurückzugewinnen. Wenn das erreicht ist und der Außengrenzschutz in der EU funktioniert, kann man die Binnengrenzkontrollen sofort zurückfahren.
WAMS: Jüngst wurden Afghanen, die in Deutschland Schutz gesucht, dann aber Straftaten begangen haben, per Flugzeug in ihr Heimatland abgeschoben. Die Verhandlungen dazu sind schwierig, weil sie über Katar als Vermittler laufen. Sollte direkt mit den Taliban verhandelt werden?
Hoffmann: Der Bundesinnenminister hat erklärt, dass man direkte Gespräche führen sollte, und das unterstütze ich ausdrücklich. Von Links-Grün wird oft gefordert, dass man mit Regimen wie dem der Taliban nicht reden dürfe. Aber zur Aufnahme von Menschen aus Afghanistan gab es ja auch Verhandlungen, warum also nicht auch für die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern? Das leuchtet doch niemandem ein.
WAMS: Selbst Kriminelle bekommen bei Abschiebungen ein sogenanntes Handgeld in Höhe von bis zu 1000 Euro. Wie erklären Sie das den Steuerzahlern?
Hoffmann: Dass das ein Aufreger ist, verstehe ich, aber wir dürfen das eigentliche Ziel nicht aus dem Blick verlieren: endlich in großem Stil abzuschieben, möglichst schnell, möglichst effizient. Es gibt Gerichtsurteile, wonach auch straffällig gewordene Personen, die abgeschoben werden, für die Übergangszeit unterstützt werden müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Abschiebungen durch Debatten um ein Handgeld ausgebremst werden.
WAMS: Sie plädieren bei der Aufnahme von Migranten für ein klar definiertes Limit. Ist eine Obergrenze unabhängig von der Zahl der Asylsuchenden sinnvoll und umsetzbar?
Hoffmann: Wir müssen uns an den Aufnahmekapazitäten unseres Landes orientieren. Und die sind bei maximal 100.000 Menschen pro Jahr, die bei uns Schutz suchen, eindeutig erschöpft.
WAMS: Und beim 100.001. Migranten?
Hoffmann: Ich halte das für eine typisch links-grüne Debatte. Die 100.000 sind eine Orientierungsgröße, die wir nach Möglichkeit unterschreiten sollten. Durch Zurückweisungen an den Grenzen, die Streichung finanzieller Anreize, die Begrenzung des Familiennachzugs – eben durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen kann es gelingen, faktisch unter dieser Obergrenze zu bleiben.
Nikolaus Doll berichtet für WELT über die Unionsparteien sowie über die Bundesländer im Osten.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke