AfD-Chef Chrupalla schreckt das Land: Es habe Kontakte mit der Wagenknecht-Partei auf Bundesebene gegeben. Die Union reagiert - aber mit dem falschen Argument.
Gerade hatte die Koalition den ersten richtigen Ärger am Hals: Das Ausbleiben der Stromsteuersenkung beschäftigte Journalisten, Ökonomen und die Koalitionäre. Mahnungen erschollen, das Fernsehen zeigte enttäuschte Gesichter von Friseuren und Verbandsfunktionären.
Markus Söder bekam seine Mütterrente ein bisschen früher als geplant, was in mir beruhigende Gefühle auslöst: Ganz so schlimm kann es um Deutschlands Wirtschaft dann wohl nicht bestellt sein. Strukturreformen? Investitionen? Deine Mudder!
Der ganze Streit wirkte tröstlich: ein Hauch politischer Normalität nach Monaten der Fundamentaldebatten, Weltkriegsszenarien, Demokratiebeschwörungen. Doch es hielt nur wenige Tage.
Chrupallas Stinkbombe
Am Freitag flog plötzlich die Tür auf und Tino Chrupalla warf eine Stinkbombe in den Raum: Die AfD habe auf Bundesebene Kontakte mit dem BSW. Zuvor hatte es in Thüringen ein Treffen der Fraktionschefs der beiden Parteien, Björn Höcke und Frank Augsten, gegeben.
Da musste manch einer nachschauen, was doch gleich "BSW" bedeutet. Dann allerdings schlugen sich viele an die Stirn, na klar doch: BSW und AfD! Das passt zusammen wie übersalzene Pommes und Freibad. Warum ist das nicht schon viel früher passiert?
Nichts bringt Linke so sehr auf die Palme wie die "Hufeisentheorie", was ein Grund mehr ist, diese Hufeisentheorie ein bisschen auszuwalzen. Denn, ja, an den beiden extremen Enden kommt zusammen, was zusammengehört.
Populistenparteien reinsten Wassers
AfD und BSW sind beides Populistenparteien reinsten Wassers. Sie erzählen vom unterdrückten wahren Volk, das deren tapfere Anwälte - AfDler und BSWler - gegen die abgehobene, böswillige Elite in Berlin und Brüssel verteidigen müssen. Passt!
Beide Parteien fahren einen isolationistischen Kurs. Keine Waffen für niemanden, keine Westbindung, Frieden und sehr gern billiges Gas aus Russland. Bei Israel ist insbesondere die östliche AfD kritisch.
Götz Kubitschek, ideologischer Vor-Querdenker des Björn-Höcke-Lagers, schrieb sich sogar kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel in einem Essay an den Isolationismus heran. Mit unnachahmlich brutaler Leichtigkeit stellte er die Frage in den Raum, ob Hamas den Krieg nicht lediglich wieder aufgenommen habe.
Isolationismus? Passt!
Kubitschek möchte, dass Deutschland sich raushält: "Unter dem Eindruck der ebenso verfahrenen wie brutalen Lage in Israel und der Hilflosigkeit der Diplomatie sollten wir die Frage stellen dürfen, warum wir ohne Not aus unserem Land Aufmarschgebiete für Konflikte machten, die unsere nicht sind." Kurz gesagt: Es ist nicht unser Krieg, ganz so, wie viele Menschen auf die Ukraine blicken. Isolationismus: Passt!
Sowohl in AfD als auch im BSW versammeln sich zudem Corona-Rebellen, weshalb es nur schlüssig ist, dass beide auf EU-Ebene mit Rechtsextremen für ein Misstrauensvotum gegen die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stimmten. Wieder: Passt!
Und schließlich: Beide Parteien stehen für eine Begrenzung der Migration. Das ist nach wie vor ein zentrales Anliegen bis weit in die politische Mitte hinein.
Das BSW braucht ein Bundes-Podest
Dass Sahra Wagenknecht sofort Gespräche mit der AfD auf Bundesebene "dementierte", sich grundsätzlich aber dafür offen zeigte, ist in etwa so, wie wenn man im Geschäft einen sehr schrillen Schuh befremdet wieder hinstellt, nachdem man sich im Spiegel betrachtet hat. Der Deal ist nicht für immer vom Tisch.
Das BSW braucht in Thüringen eine Machtoption, sonst bleibt es für immer in der Brombeere gefangen. Auf Bundesebene braucht die Partei ein Podest, sonst findet sie so wenig statt wie diese liberale Dingspartei, die kürzlich aus dem Parlament geflogen ist.
Die AfD kann einen als links wahrgenommenen Duftbaum gebrauchen, um den Odor des Rechtsextremismus loszuwerden. Noch ist zwar unklar, wie ernst die Menschen die Einstufungen der Partei als "gesichert rechtsextrem" durch die Verfassungsschutzämter überhaupt nehmen. Aber jedenfalls in Europa macht es einen guten Eindruck, wenn die AfD nicht ausschließlich mit ihren schrillsten, Champagner-gurgelnden Obernazis assoziiert wird.
Rechtsextremismus mit sozialistischem Antlitz
AfD-Chefin Alice Weidel hat es bislang nicht vermocht oder auch nur versucht, der Partei ihre rechtsextremen Triebe abzuschneiden. Mit dem BSW könnte ein Rechtsextremismus mit sozialistischem Antlitz gelingen.
Die Union sei an dieser Stelle gewarnt: Nichts düngt den Populismus so gut wie die Behauptung, er "gefährde die Demokratie". Die Lektion ist dort aber noch nicht angekommen: "Die Rechten (und Wagenknecht) wollen unsere Demokratie zerstören", sagte Sepp Müller, Vize-Bundestagsfraktionschef der Union für Ostdeutschland dem "Stern".
"Unsere" Demokratie? Nichts zündet Populisten so sehr an, wie die Behauptung, die Demokratie gehöre einer Regierungspartei. Sepp bringt damit die Anhänger von BSW und AfD gegen sich auf, statt die Parteispitzen wirksam anzugreifen. Von dieser Schrott-Strategie haben sich die US-Demokraten längst verabschiedet, ebenso wie die türkische CHP im Ringen mit der AKP - denn dieser Ansatz funktioniert nicht.
Die politische Mitte sollte endlich die richtigen Kommunikationsstrategien büffeln. AfD und BSW schmieden womöglich eine zeitgeistliche Allianz: gegen die unter Merz deutlich artikulierte Westanbindung. Gegen Kriege. Für "das Volk".
Diese Allianz wählt früher oder später einen nationalistischen Regierungschef - wenn sie niemand aufhält.
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