In einem Bußgeldverfahren in Sachsen-Anhalt hat ein Amtsrichter in seinem Urteil durchgehend geschlechtsneutrale Begriffe wie „sachverständige Person“ oder „Tat-tuende Person“ verwendet. Die Generalstaatsanwaltschaft kritisierte das scharf und sah darin einen Verstoß gegen die Klarheit gerichtlicher Sprache. Das Oberlandesgericht hob das Urteil zwar auf, äußerte sich aber nicht konkret zum Sprachgebrauch. Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler ordnet den Fall im Interview mit WELT TV ein.
WELT: Brauchen wir in der Justiz wieder eine klare Sprache ohne Gendern?
Volker Boehme-Neßler: Ja, eigentlich haben wir eine klare Anweisung. Es gibt ein Gesetz, da steht drin, die Sprache des Gerichts ist deutsch. Damit ist natürlich grammatikalisch richtiges Deutsch gemeint. Das ist nicht Gendern. Nach den immer noch geltenden Regeln ist Gendern grammatikalisch falsch. Und wenn das Gericht von „Tat-tuenden“ spricht, möchte man eigentlich lachen – das ist lächerlich. Das Problem: Man kann beim Lachen nicht stehen bleiben, denn wenn das Gericht ausgelacht wird, haben wir ein Problem. Die Justiz soll klar, eindeutig richten und respektiert werden. Wenn sie solche Gendermätzchen mitmacht, beschädigt das ein bisschen das Vertrauen in die Justiz.
WELT: Jetzt gibt es aber Gerichte, die sich nicht daran halten. Wer müsste jetzt ein Machtwort sprechen?
Boehme-Neßler: Das ist eine interessante Sprache und juristisch gar nicht so klar. Weil wir natürlich die Unabhängigkeit der Richter haben. Dann ist es auch schwierig, ganz direkte Vorgaben zu machen bei der Sprache. Darüber müsste man nachdenken. Das Problem ist: Es ist eigentlich lächerlich, dass wir darüber überhaupt diskutieren müssen. „Tat-tuende“ – das wäre eigentlich Comedy. Es kann nicht sein, dass man grinst, wenn man über Gerichte spricht. Gerichte müssen ernsthaft sein.
WELT: Kommen wir zu den neu zu besetzenden Richterstellen in Karlsruhe. Ist die Potsdamer Professorin Frauke Brosius-Gersdorf qualifiziert für eine Stelle beim Bundesverfassungsgericht?
Boehme-Neßler: Sie ist habilitierte Verfassungsrechtlerin. Also rein fachlich ist das gar kein Problem. Der Punkt ist: Wir müssen überlegen, was wir für Richterpersönlichkeiten brauchen oder was für Richterpersönlichkeiten wir wollen. Wir wollen neutrale Personen, die unvoreingenommen sind, die das große Ganze im Blick haben, die die Verfassung verteidigen gegen den übergriffigen Staat. Wir brauchen niemanden, der ganz dezidierte Ansichten hat, die die Gesellschaft spalten oder die den starken Staat verteidigen, der in die Freiheiten der Bürger eingreift. Da gibt es Äußerungen von Frau Brosius-Gersdorf, bei denen man Zweifel hat, ob sie so eine Person ist.
WELT: Nach welchem Schlüssel schlagen die Parteien die Richter vor? Geht das nach den Wahlergebnissen oder reihum – irgendwann ist jeder mal dran?
Boehme-Neßler: So ähnlich. Irgendwann ist jeder mal dran, außer der AfD. Das ist auch ein Problem. Aber der Punkt ist: Da hat sich intransparent im Hintergrund, in den Hinterzimmern, ein Verfahren entwickelt. Es gibt zwölf Richter, das ist der Richterwahlausschuss, die machen Vorschläge für den Bundestag, und der Bundestag wählt die Richter. Aber es wird praktisch nur innerhalb dieser zwölf Personen diskutiert. Das ist ein großes Problem. Wir wollen ja wissen: Wer spricht da Recht? Wer soll die Verfassung schützen? Was für Personen sind das? Deswegen müsste man über die Personen diskutieren. Das ist in Amerika zum Beispiel anders. Da werden Kandidaten für hohe Richterstellen öffentlich von Parlamentsausschüssen befragt, manchmal auch „gegrillt“. In diese Richtung müsste man das hier ebenfalls machen. Wenn man weiß, was für Personen das sind, würde man das Vertrauen ins Bundesverfassungsgericht wieder stärken.
Das Interview wurde für WELT TV geführt. In dieser schriftlichen Fassung wurde es zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet.
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