Nach der Ankündigung von Arbeitsministerin Bärbel Bas, „mafiöse Strukturen“ rund um Bürgergeld-Missbrauch zerschlagen zu wollen, haben sich im Berliner „Tagesspiegel“ Verantwortliche aus Gelsenkirchen zu Wort gemeldet. Sie bestätigen Bas‘ Schilderung und fordern ein Umdenken in der Sozialpolitik.
Karin Welge (SPD), Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, sagte dem „Tagesspiegel“: „Ich fände sinnvoll, wenn es Anspruch auf volle Sozialtransfers nur für Menschen gäbe, die schon eine Weile hier gelebt und ihre Familie selbst ernährt haben. Denn das, was derzeit passiert, heißt zwar Arbeitnehmerfreizügigkeit, es ist aber de facto eine Einwanderung in die Sozialsysteme.“
Welge fordert, die Verstöße gegen das Sozialrecht, die nachzuweisen sind, schneller und härter als bisher zu ahnden. „Es braucht einen deutlichen Abschreckungseffekt.“
„Wohnungen werden systematisch aufgekauft, Familien ins Land gebracht“
Die problematischen Strukturen schilderte sie wie folgt: „In Gelsenkirchen stehen viele Wohnungen leer. Sie werden systematisch von Kriminellen aufgekauft, die Familien aus Rumänien und Bulgarien ins Land bringen und sie unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen lassen. Es werden Arbeitsverträge für ganz wenige Stunden aufgesetzt, gerade so viele, dass ergänzende Sozialleistungen bezogen werden können.“ Nach dem Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt: Menschen aus EU-Staaten, und damit auch aus Bulgarien und Rumänien, haben das Recht nach Deutschland zu kommen, auch wenn sie nur wenige Stunden arbeiten.
„Dann werden aufstockend hohe Bürgergeldsummen für Familien mit vielen Kindern bezogen, von denen die Hintermänner den Großteil einkassieren. Die Sozialsysteme werden systematisch ausgenutzt, das Bürgergeld landet in den Taschen von Clan-Oberen“, sagt Welge weiter.
Ein Umdenken fordert auch Markus Töns (SPD), Bundestagsabgeordneter für Gelsenkirchen. „Weggucken hilft nicht mehr, die Probleme sind riesig, und viel zu lange haben Bund und Länder das nicht hören wollen“, sagte Töns dem Tagesspiegel. „Ganz Deutschland profitiert von der Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber nur einige wenige Städte tragen die massiven Lasten daraus.“ Bund und Länder müssten sich endlich kümmern, statt Städte wie Gelsenkirchen alleine zu lassen.
Wenige Stunden Arbeit berechtigen für volle Sozialleistungen
Töns hält für „völlig falsch“, dass schon ein paar wenige Stunden Arbeit dazu berechtigen, die vollen aufstockenden Sozialleistungen zu beziehen. „Da das wegen des EU-Rechts nicht nur für Ausländer geändert werden kann, muss es eben für alle geändert werden. Sonst wird dieser groß angelegte Sozialbetrug nicht zu beenden sein“, sagt er.
Anke Schürmann-Rupp, Leiterin des Jobcenters Gelsenkirchen, bestätigte, es sei leider ein breit zu beobachtendes Phänomen, „dass kriminelle Hintermänner Menschen systematisch in das Bürgergeldsystem schleusen und die Sozialleistungen für sich selbst abzweigen“.
Die Hintermänner hätten natürlich kein Interesse daran, dass die Menschen tatsächlich integriert werden. „Entsprechend haben wir große Probleme, die Menschen in Arbeit zu bekommen. Viele haben weder eine Ausbildung noch einen Schulabschluss und müssen erst einmal alphabetisiert werden.“ Es gebe Kinder, „die gehen nicht zur Schule und leben auch gar nicht mehr in Deutschland, aber es wird trotzdem Bürgergeld für sie gezahlt.“
Ihr großer Wunsch ist, dass die Politik den Behörden ermöglicht, sich direkter und intensiver auszutauschen. „Aber ständig ist der Datenschutz im Weg“, sagte sie.
Von den um die 53.000 Menschen, die in Gelsenkirchen Bürgergeld beziehen, seien knapp 5500 Rumänen oder Bulgaren. „Es ist im Verhältnis eine kleine Gruppe, aber eine, die von uns als Jobcenter besondere Anstrengung erfordert.“
Oberbürgermeisterin Welge sagte, das Problem habe große Auswirkungen auf die Stadt als Ganzes. „Nachbarn, die ihr Leben lang für das eigene Haus gespart haben, sind in großer Sorge, dass ihre Immobilie nichts mehr wert ist, wenn drumherum solches Elend herrscht.“ Ihre Stadt brauche „massive Unterstützung vom Bund und vom Land“.
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