«Was kostet es, sich öffentlich gegen die Regierung zu stellen?»
Das sei die entscheidende Frage, sagt Steven Levitsky, Harvard-Professor und Demokratie-Experte. In einer Demokratie sollte der Preis nahe null sein. In den USA sei das nicht mehr der Fall.
«In den letzten vier Monaten haben CEOs, Spender der Demokratischen Partei, Journalisten, Medienbesitzer, Politiker beider Parteien, führende Vertreter der Zivilgesellschaft und Universitäten erfahren, dass es einen Preis hat, sich gegen die Regierung zu positionieren», so Levitsky. «Das FBI ermittelt gegen sie, die Steuerbehörde kontrolliert sie. Oder sie erhalten Morddrohungen.»
Die Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die US-Demokratie bedroht ist. Unterschiedliche Meinungen gibt es lediglich darüber, wie weit der Zerfall fortgeschritten ist. Klar ist: Trumps Methoden ähneln denen autoritärer Figuren wie Viktor Orban in Ungarn, Recep Tayyip Erdogan in der Türkei oder Narendra Modi in Indien.
Diese haben in ihren Ländern demokratische Institutionen wie Wahlen und Gerichte erfolgreich zur Fassade ausgehöhlt. Doch zu einer funktionierenden Demokratie gehört mehr, als regelmässig Wahlen abzuhalten. Diese müssen frei und fair sein, Menschen und Medien müssen sich frei äussern können. Nach diesen Kriterien untersucht das V-Dem Institut der Universität Göteborg jährlich den Zustand der Demokratie weltweit.
So sieht der Demokratie-Bericht die Welt im Jahr 2024 – vor Trumps zweiter Amtszeit:
Autokratien auf Rekordhoch
2004 lebte eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Weltbevölkerung in einer Demokratie. Seither sind besonders die Wahlautokratien auf dem Vormarsch. Vor 20 Jahren waren sie gemessen an der Bevölkerungsgrösse noch die kleinste Gruppe. Das änderte sich um 2017: In diesem Jahr stufte V-Dem Indien mit einer Bevölkerung von 1.4 Milliarden Menschen von einer Demokratie zu einer Wahlautokratie herab. Andere Demokratie-Rankings schätzen die Entwicklung in Indien ähnlich ein.
Unter den fünf Ländern mit der grössten Bevölkerung – China, Indien, Indonesien, Pakistan und den USA – sind 2024 nur noch die USA eine Demokratie. «Mit den aktuellen Entwicklungen in den USA unter der Trump-Regierung scheint sogar die Demokratie in diesem Land in Gefahr zu sein», heisst es – übereinstimmend mit Levitskys Befund – im Bericht von V-Dem.
Autokratisierung nimmt weiter zu
Bevölkerungsreiche, wirtschaftlich bedeutende Länder treiben die globale Welle der Autokratisierung voran. Sie haben Einfluss auf Nachbarländer, internationale Organisationen und den Welthandel.
So zeigt etwa China, dass autokratische Länder wirtschaftlich erfolgreich sein können, und baut seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss laufend aus.
Weltweit und vor allem in Ländern des globalen Südens hat das Vertrauen in Demokratien in den letzten Jahren abgenommen: Viele Menschen sind enttäuscht von den etablierten Parteien, denen die Antworten auf die grossen politischen Probleme zu fehlen scheinen. Das ist der perfekte Nährboden für populistische Parteien und autoritäre Anführer, die versprechen, «aufzuräumen».
Die Aussichten bleiben deshalb düster: 45 Länder befinden sich laut dem Bericht in einer aktiven Episode der Autokratisierung, demokratische Errungenschaften gehen dort seit Jahren messbar zurück. Auch hier gilt: Die jüngsten Entwicklungen in den USA sind noch nicht berücksichtigt.
Die beliebteste Waffe gegen die Demokratie in den autokratisierenden Ländern ist die Beschneidung der Medien- und Meinungsfreiheit.
Doch es gibt 2024 auch positive Entwicklungen – vorwiegend in kleinen Staaten. Mit Brasilien, Polen und Thailand allerdings auch in einigen bevölkerungsreicheren Ländern.
Donald Trump wird ein schwacher Autokrat sein.
«Autoritarismus ist immer umkehrbar», so Levitsky. Dafür braucht es eine breite Zivilgesellschaft, die sich gegen Angriffe auf demokratische Errungenschaften wehrt und Politikerinnen und Politiker wählt, welche die demokratischen Institutionen hochhalten. Je länger die autokratische Herrschaft anhält, je mehr die Demokratie geschädigt ist, desto schwieriger werde es jedoch, etwas zu ändern. «Nach einer Dekade kann es sehr gefährlich werden», sagt Levitsky.
Noch ist Trump erst wenige Monate im Amt. Die Situation in den USA kann sich schnell wieder ändern. Insbesondere, da Trump als Präsident tiefe Umfragewerte und vergleichsweise wenig Rückhalt in der breiten Bevölkerung hat: «Donald Trump wird ein relativ schwacher Autokrat sein, und das wird der Opposition die Chance geben, ihn in den nächsten Wahlen zu schlagen», sagt Levitsky.
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