Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz will sich von seinen Vorgängern durch mehr Emotionalität absetzen. Ein Traditionsbruch, der zu richtigen Zeit kommt. Und vielleicht auch gegen die AfD hilft.
Die Ankündigung von Friedrich Merz in der Sendung von Caren Miosga Mitte April kam überraschend. "Menschen zu begeistern", "Pathos und auch mal das gesunde Nationalbewusstsein zu zeigen", das habe er sich für seine Kanzlerschaft vorgenommen. "Ich kann auch Emotionen", pointierte Merz. Damit markierte er eine Abgrenzung zum Regierungsstil seines Vorgängers und seiner Vorvorgängerin. Dass Merz beim CDU-Parteitag in dieser Woche seine Parteifreunde mahnte, "es ist nicht die Zeit für Euphorie", muss dazu kein Widerspruch sein. Erstmal ins Handeln kommen, Dinge auf den Weg bringen, den Menschen etwas Handfestes vorlegen: Zuversicht kann man als Politiker nicht heraufbeschwören, man muss sie begründen.
Der letzte Bundeskanzler, der mit einer gewissen Emotionalität regierte, war Gerhard Schröder. Er konnte in seinen Reden leidenschaftlich werden - die Kehrseite war jedoch seine chauvinistische Ruppigkeit, die Schröder nicht nur in Fernsehstudios oder beim Rütteln am Zaun des Kanzleramts offenbarte. Angela Merkel dagegen bestach über weite Strecken durch strikte Gefühlsverweigerung.
Angesichts der verlässlichen Herabwürdigung von Politikerinnen, die öffentlich Gefühle zeigen, ist das nachvollziehbar. Dennoch machte Merkel von Emotionalisierungen sehr dosiert Gebrauch, etwa während der Corona-Pandemie, was dann aufgrund des Überraschungseffekts umso wirkungsvoller sein konnte. Scholz war konsequent, präsentierte sich als regierende Regungslosigkeit. Internationale Medien tauften ihn "boring Olaf".
Merz will mit dem "Pathos der Nüchternheit" brechen
Scholz und Merkel sind die Regel, Schröder (wie auch Willy Brandt) eher die Ausnahme der bundesrepublikanischen Emotionskultur. Das "Pathos der Nüchternheit", eine Formel, die der erste Bundespräsident Theodor Heuss prägte, hat als Markenzeichen der postheroischen Nachkriegspolitik bis heute nicht seine Gültigkeit verloren.
Nun will sich Merz also von der Tradition der Emotionsaversion absetzen. Ausgerechnet inmitten einer affektgeladenen Populismuswelle und weltpolitischen Lage, in der es nichts dringender als Vernunft und Sachlichkeit bräuchte, mögen manche denken. Doch Merz' Ankündigung ist eine gute Nachricht. Denn die Emotionsskepsis der politischen Klasse ist von Missverständnissen und Fehlschlüssen geprägt. Mehr noch, sie begünstigt den Erfolg von Populisten und Extremisten.
Zum einen ist die Vorstellung verbreitet, dass Emotionalität der natürliche Feind der Rationalität und somit ein Störfaktor für "vernünftige" Politik sei. Rekurriert wird dabei auf das Ideal der Aufklärung und deren großen Denker Immanuel Kant. In jüngerer Zeit hat es in der wissenschaftlichen Rezeption von Kant allerdings eine Art "emotional turn" gegeben. In seinen späten Schriften wird nunmehr die Integration von Gefühl und Vernunft erkannt, die die Opposition der beiden ersetzt. Tatsächlich bezeichnete Kant Emotionen als "Triebfeder der praktischen Vernunft". Er wies ihnen positive Funktionen zu, etwa die Herstellung von Aufmerksamkeit oder Motivation zum Handeln.
Emotionen sind ein Türöffner
Diese Sicht Kants ist erstaunlich nah am Forschungsstand der modernen Neurowissenschaft. In diesem Feld hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass menschliche Entscheidungen in einem kongenialen Zusammenspiel von Rationalität und Emotionalität entstehen. Emotionen sind in diesem Teamwork der Türöffner und nicht die Barriere zu bewusstem und reflektiertem Denken.
Für politisches Verhalten sind vor allem Wut, Angst und Hoffnung sowie deren Abstufungen die zentralen Emotionen. Keine von ihnen ist politisch per se gut oder schlecht, Angst kann beispielsweise die Informationssuche anregen (etwa, wenn eine Pandemie oder ein Krieg ausbricht), Hoffnung kann hingegen auch von radikalen Kräften erzeugt werden. Empirische Daten zeigen, dass das Verhältnis der AfD-Anhängerschaft zu ihrer Partei stärker von Hoffnung geprägt ist als das für andere Parteien und deren Unterstützer gilt. Wut mobilisiert kurzfristig, Hoffnung bindet langfristig.
Zum anderen wäre da die Frage nach der historischen Lehre. Angesichts der Nazi-Propaganda ist ein verantwortlicher Umgang mit politischer Emotionalisierung unbedingt geboten. Allerdings muss heute in Erinnerung gerufen werden, dass in der Weimarer Republik das schwach ausgeprägte Emotionsangebot demokratischer Kräfte zum fatalen Nachteil gegenüber der "Faszination des Faschismus" wurde. Zwar gab es damals zahlreiche überzeugte Demokraten, doch unter ihnen nicht wenige, die offen zugaben, keine sonderlich positiven Gefühle gegenüber der Republik zu hegen, sie hauptsächlich aus Vernunftgründen zu unterstützen. Vernunftrepublikaner nannte man sie.
Merz' Versuch einer Hoffnungserzählung hat im Wahlkampf nicht gezündet
Heute gibt es glücklicherweise eine stabile Mehrheit, die sich der Demokratie auch emotional verbunden fühlt. Allerdings ist gegenwärtig erneut ein Mangel an demokratischer Gegenemotionalisierung im Angesicht des erstarkten Rechtsradikalismus festzustellen. "Brandmauer"-Beschwörungen sind dafür zu schwach. In diesem Punkt sollte man also auch aus der Geschichte lernen: Die Nazis haben Emotionen für ihre Machterlangung missbraucht. Ihren Aufstieg hat aber das unterlassene Emotionsangebot demokratischer Kräfte begünstigt. In einer Demokratie sollte man deren Feinde besser nicht die Emotionsdominanz überlassen.
Friedrich Merz scheint erkannt zu haben, dass eine Eliminierung von Emotionen in der Politik weder möglich noch erstrebenswert ist. Im Wahlkampf versprach er den Menschen "ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können". Er hatte dabei wirtschaftlichen Erfolg und industrielle Innovation im Sinn, aber auch eine tugendhafte Gesellschaft (Fleiß, Ordnung).
Gezündet hat dieser Versuch einer nostalgisch angehauchten Hoffnungserzählung im Wahlkampf nicht. Das dürfte weniger an der Nostalgie liegen, die ja in Zeiten von Zukunftsängsten durchaus nachgefragt wird, als an dem Mangel an plausiblen Handlungsplänen, die glaubwürdige gegenüber leeren Versprechen auszeichnen. Hinzu kommt bei Merz, dass seine persönliche Impulsivität die strategische Emotionalität bislang übertönte. "Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich", sagte er apodiktisch nach der schrecklichen Mordtat eines Afghanen in Aschaffenburg. Auch wenn die SPD in der Migrationspolitik auf die Union weit zugegangen ist, zeigt der Koalitionsvertrag eben auch, dass Kompromisse in Verhandlungen unter Demokraten immer möglich sind.
Hoffnung ist ein Handwerk
Wenn Merz Gefühle zu einer Stärke seiner Kanzlerschaft machen will, dann sollte er seine persönliche Erregung stärker kontrollieren und Emotionen bewusster evozieren. Dass er Zuversicht erzeugen möchte, ist der richtige Anspruch für eine Regierung der demokratischen Mitte. Allerdings ist das Vertrauen in seine Person, eine äußerst wichtige Emotion in einer repräsentativen Demokratie, wegen des schlecht erklärten Kurswechsels in der Haushaltspolitik bereits gesunken. Dabei hat Merz rhetorisch eigentlich einiges drauf, er ist ein guter Redner und kann einen Saal dazu bringen, an seinen Lippen zu kleben.
Als Kanzler muss er jedoch nun politische Konzeption und Kommunikation stärker verzahnen, damit Menschen tatsächlich Hoffnung schöpfen können. Hoffnung ist auch ein Handwerk. Mindestens drei Bausteine sind dafür wichtig:
- Erstens ein Zielbild, das beschreibt, wohin man das Land führen will. Zielbild ist dabei buchstäblich gemeint, denn die bildliche Vorstellung entsteht im limbischen System des Gehirns, das auch für Emotionen zuständig ist. Dank der Milliarden für die Infrastruktur, die die Koalition zur Verfügung hat, ließe sich ja durchaus eine lebensweltliche Skizze anfertigen: Wie viele Kitas und Schulen sollen bis wann saniert werden? Wie viele Kilometer Schiene verlegt, Brücken repariert und Grünflächen angelegt werden?
- Zweitens braucht es einen plausiblen Umsetzungsplan, der die Erreichung des Ziels machbar erscheinen lässt. Wie wäre es mit einer Strategie "Lebenswerte Heimat 2030", in der zusammen mit Ländern und Kommunen konkrete Schritte definiert werden?
- Und drittens sollten Menschen zu Subjekten des Wandels gemacht werden. Kaum eine Emotion wird in diesen Zeiten mehr von radikalen Kräften ausgebeutet, wie das Gefühl des Kontrollverlustes. Zuversicht entsteht durch Teilhabe, im besten Fall eine aktive Rolle.
Die öffentlichen Investitionen sind kurzfristig wohl einer der besten Hebel für einen Wirtschaftsaufschwung. Handwerker, Projektmanagerinnen, Ingenieure und viele weitere Berufsgruppen werden daran mitwirken. Richtig gemacht, entsteht dadurch ein modernes, funktionierendes und auch nachhaltigeres Land. Darauf könnten wir dann wirklich stolz sein.
Dr. Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater sowie Autor mehrerer Sachbücher. Zuletzt erschien "Mehr Emotionen wagen - Wie wir Angst, Hoffnung und Wut nicht dem Populismus überlassen" (Piper, April 2025).
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