Der Krieg in der Ukraine ist nach Einschätzung von Nato-Generalsekretär Mark Rutte nicht deshalb so schwer zu beenden, weil Russland militärisch erfolgreich ist – sondern weil Präsident Wladimir Putin dafür nahezu unbegrenzte Opfer akzeptiert. „Putin ist bereit, rund 1,1 Millionen seiner eigenen Leute zu opfern“, sagte Rutte dem Axel Springer Global Reporters Network, zu dem WELT gehört.

Russland habe trotz enormer Verluste im laufenden Jahr kaum Geländegewinne erzielt, sagte Rutte auch in einem Video des Interviews, das die BILD veröffentlichte. Der Zugewinn liege bei unter einem Prozent des ukrainischen Territoriums, während zugleich rund 1,4 Millionen Menschen getötet oder schwer verwundet worden seien. Derzeit verliere Russland bis zu 25.000 Soldaten pro Monat. „Das ist die Lage, mit der wir es zu tun haben“, sagte Rutte.

Zum Vergleich verwies er auf den sowjetischen Krieg in Afghanistan: „In den sowjetischen Jahren in Afghanistan starben etwa 20.000 Soldaten in zehn Jahren“, sagte Rutte.

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Gerade diese Kombination aus militärischer Stagnation und extremer Opferbereitschaft mache den Konflikt so gefährlich, betonte der Nato-Generalsekretär. Auch von wirtschaftlichen Schäden ließe sich Putin nicht abschrecken. Umso wichtiger sei es, der Ukraine langfristig glaubwürdige Sicherheitsgarantien zu geben. Ziel eines Waffenstillstands oder eines Friedensabkommens müsse es daher sein, dass Russland die Ukraine niemals wieder angreife. Frühere Modelle wie das Minsker Abkommen hätten genau daran versagt. Diesmal müsse für Moskau unmissverständlich klar sein, dass ein erneuter Angriff nicht folgenlos bleiben würde. „Putin muss verstehen, dass ein erneuter Versuch für ihn verheerend wäre.“

Rutte beschrieb dafür ein Sicherheitskonzept auf drei Ebenen. Erstens müssten die ukrainischen Streitkräfte auch nach dem Krieg stark genug bleiben, um das Land selbst zu verteidigen. Zweitens solle eine europäische „Koalition der Willigen“ unter Führung von Frankreich und Großbritannien zusätzliche Abschreckung leisten, an der sich auch Deutschland beteilige. Drittens spiele die Rolle der USA eine zentrale Bedeutung. Diese drei Elemente würden derzeit so zusammengeführt, dass für Putin klar werde, dass er die Ukraine kein zweites Mal angreifen sollte.

Wie genau diese Sicherheitsgarantien ausgestaltet werden, ließ Rutte offen. Mehrere europäische Staaten hätten jedoch signalisiert, im Ernstfall auch mit Truppen in der Ukraine präsent zu sein. „Aber ich kann sagen: Einige europäische Länder haben signalisiert, dass sie – falls gewünscht – bereit wären, sich auch mit Truppen zu beteiligen.“ Über konkrete Szenarien werde bewusst nicht öffentlich gesprochen, so Rutte.

Eine Schlüsselrolle bei der Suche nach einem möglichen Friedensschluss sieht Rutte bei US-Präsident Donald Trump. Zweifel daran, dass Trump von Putin übervorteilt werden könnte, wies er zurück. „Er ist der Einzige, der Putin an den Verhandlungstisch bringen kann“, sagte Rutte. Trump sei fest entschlossen, den Krieg zu beenden, und wisse zugleich, dass ein tragfähiger Frieden nur mit starken Sicherheitsgarantien möglich sei.

Zugleich betonte der Nato-Generalsekretär, dass die USA auch unter Trump fest zur Nato stünden. Geheimdienstkooperation und Waffenlieferungen an die Ukraine liefen weiter. Für dieses Jahr seien Hilfen im Umfang von fünf Milliarden Dollar geplant, der überwiegende Teil davon bereits abgesichert. „Die USA haben klar gesagt, dass sie in Europa engagiert bleiben – nuklear wie konventionell. Auch ein Abzug der USA aus Europa stehe nicht zur Debatte“, so Rutte weiter. Denn die Nato diene auch direkten Sicherheitsinteressen der USA selbst. „Ein sicheres Europa bedeutet ein sicheres Amerika.“

Allerdings machte Rutte deutlich, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit dauerhaft stärken müsse. Trump fordere seit Jahren zu Recht, dass die europäischen Staaten ähnlich viel für Verteidigung ausgeben wie die USA. Diese Forderung habe inzwischen Wirkung gezeigt – besonders in Deutschland als größte Volkswirtschaft des Kontinents. Das Land gehe bei den Verteidigungsausgaben voran, baue seine Rüstungsindustrie massiv aus und erhöhe die Produktionskapazitäten. Deutschland übernehme eine Führungsrolle, die in ganz Europa anerkannt werde, sagte Rutte.

Mit Blick auf mögliche politische Veränderungen in Russland mahnte der Nato-Generalsekretär zur Nüchternheit. Unabhängig davon, ob Putin an der Macht bleibe oder nicht, dürfe der Westen nicht auf Entspannung hoffen. „Egal, was in Russland passiert, wir dürfen nicht naiv sein“, sagte Rutte. Die Nato sei ein defensives Bündnis, müsse aber jederzeit bereit sein, sich zu verteidigen. „China schaut auf Taiwan, und ich bin absolut überzeugt, dass China, wenn es gegen Taiwan vorgehen würde, seinen Juniorpartner Russland unter Putin dazu drängen würde, uns hier in Europa zu beschäftigen.“

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