Dass New York eine sehr jüdische Stadt ist, weiß – auch dank Fernsehserien wie „Seinfeld“ – eigentlich jeder. Aber New York ist auch eine sehr katholische Stadt. Die Erzdiözese von Manhattan, der Bronx und Staten Island und die Diözese von Brooklyn betreuen zusammen mehr als 4,3 Millionen Katholiken (bei insgesamt etwa acht Millionen Einwohnern). Bald wird die Erzdiözese New York einen neuen Erzbischof bekommen: Im Februar nächsten Jahres geht Timothy Dalton in Rente, Ronald Hicks aus Chicago wird ihn ersetzen.

Wer ist dieser Ronald Hicks? Und welche Rolle wird er spielen? Die zweite Frage kann nur beantworten, wer sich die Geschichte der Katholiken in New York vor Augen hält. Die war nie konfliktfrei, bisher wurde noch jede Einwanderungswelle von Rassismus begleitet.

Als Erste kamen die Iren. Sie flohen vor dem Gorta Mór, der großen Hungerkatastrophe, die Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts verwüstete. Die meisten irischen Einwanderer waren Teenager. Die Frauen arbeiteten in den Häusern der reichen Protestanten als Haushaltshilfen, Kindermädchen, Köchinnen – sie verrichteten also jene Arbeiten, die heute Frauen aus Guatemala, Honduras und Mexiko übernehmen. Es hieß, die Iren seien rassisch minderwertig. Sie nähmen den Protestanten die Arbeitsplätze weg. Vor allem aber hatten sie die falsche Religion.

Sind Italiener genetisch weniger intelligent?

Als Nächste kamen die Italiener. Viele von ihnen stammten vom Land, viele aus Sizilien. Im 19. Jahrhundert wurden in Amerika Debatten geführt, ob der Intelligenzquotient der Italiener aus genetischen Gründen niedriger sei als jener der weißen Protestanten. Außerdem galten sie samt und sonders als kriminell, und es war ja unbestreitbar, dass Italiener mafiöse Clanstrukturen mit nach Amerika brachten.

Die heutigen katholischen Einwanderer stammen aus Lateinamerika, und alle antikatholischen Mythen der Vergangenheit finden auch auf sie Anwendung: Sie seien kriminell, heißt es, ihre Familienstrukturen seien vom lateinamerikanischen Machismo geprägt, sie vergifteten die weißen Amerikaner mit Drogen. All diese Behauptungen sind nachweislich falsch, aber Fakten sind dem Rassismus noch nie ernsthaft in die Quere gekommen.

Hicks, der 1967 in einem der südlichen Vororte von Chicago geboren wurde, entschied sich schon früh dafür, Priester zu werden. 2010 ging er mit dem Segen seines Kardinals nach El Salvador; dort leitete er Nuestros Pequeños Hermanos, eine wohltätige katholische Organisation, die sich um Waisenkinder kümmert.

Fünf Jahre später kehrte er nach Illinois zurück, dann stieg er schnell in der katholischen Hierarchie auf. Erst wurde er Berater des Erzbischofs von Chicago, dann Weihbischof. 2020 ernannte Papst Franziskus ihn zum Bischof von Joliet, einer Stadt von 150.000 Einwohnern, die südwestlich von Chicago liegt.

Als Hicks jetzt erfuhr, dass er bald in eine etwas größere Stadt umziehen wird, reagierte er, indem er gegenüber den „Vatican News“ seine Liebe zu Jesus Christus, sein Streben nach Nächstenliebe, seinen Wunsch, sich vom Heiligen Geist leiten zu lassen, betonte.

Das sind keine Floskeln. Bischof Hicks rüstet sich mit diesen Worten für einen Kulturkampf. Denn in der MAGA-Bewegung finden sich auch etliche Katholiken. Steve Bannon, der rechtsradikale Podcaster, der einst Trumps Berater im Weißen Haus war, ist katholisch. Tucker Carlson, der Medienstar, der Holocaustleugner in seine Show einlädt, hat, nachdem er laut eigener Aussage von einem Dämon attackiert wurde, hat wachsendes Interesse an der katholischen Kirche bekundet.

Und nicht zuletzt ist der amerikanische Vizepräsident ein Katholik: J. D. Vance fand 2019 in den Schoß der Ecclesia Sancta, und wie alle Konvertiten meint er es mit seinem neuen Glauben besonders ernst.

Die rechtsradikalen Katholiken fühlen sich nicht nur deshalb von Donald Trump angezogen, weil er den Supreme Court mit konservativen Richtern bestückt hat, die das Abtreibungsrecht kippten. Sie wenden sich auch gegen Tendenzen in der katholischen Kirche, die sie für „woke“ halten.

Dabei berufen sie sich auf eine Doktrin, die auf Kirchenvater Augustinus zurückgeht: den „ordo amoris“, die Ordnung der Liebe. Der „ordo amoris“ besagt etwas sehr Vernünftiges, ganz Pragmatisches: Da die Liebe zwar unendlich, die Ressourcen aber begrenzt sind, muss man Prioritäten setzen. Als Erstes soll man sich um sich selbst, dann um die eigene Familie und erst zuletzt um Fremde kümmern, mit denen man nichts zu schaffen hat.

Auf amerikanische Verhältnisse übertragen, würde dies ungefähr bedeuten: Ein Erzbischof von New York sollte sich zuvörderst um jene Katholiken kümmern, die, weil ihre Vorfahren schon vor 100 oder 150 Jahren eingewandert sind, mittlerweile als „weiß“ gelten.

Für katholische Amerikaner hispanischer Abkunft, die ihrer dunkleren Hauttönung wegen noch als „Andere“ kenntlich sind, sollte er sich weit weniger zuständig fühlen. Und jenen El Salvadorianer, Guatemalteken und Mexikaner, die illegal über die Grenze kamen, soll er die kalte Schulter zeigen, denn sie gehören nicht zur Familie.

Dies allerdings würde eine Abkehr von der universalen Mission der katholischen Kirche bedeuten. Es würde die Kirche mit einem Gift infizieren, gegen das sie bislang weitgehend immun war, dem Gift des Rassismus. Es wäre ein Verstoß gegen das Jesus-Wort: „Amen, ich sage euch: Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Matthäus 25,40).

Mit seiner Berufung auf Jesus, die Nächstenliebe und den Heiligen Geist kündigt Hicks an, dass er den „ordo amoris“ anders auszulegen gedenkt als der amerikanische Vizepräsident. Gewiss, man muss pragmatisch sein, aber wer zur Familie gehört, um die man sich zuvörderst kümmern müsse, wird weder von der Hautfarbe noch vom Rechtsstatus bestimmt.

Erzbischof Hicks kommt in einer interessanten Zeit nach New York. Im Januar wird Zhoran Mamdani sein Amt antreten, der erste muslimische Bürgermeister in der Geschichte der Stadt, der sich selbst als demokratischen Sozialisten bezeichnet. Dass Mamdani Muslim ist, wird zu keinem Konflikt führen.

Aber sollte Mamdani – der Schwierigkeiten hatte, sich von dem Slogan „Globalisiert die Intifada“ zu distanzieren – als Amtsträger nicht sein Äußerstes geben, um die jüdische Gemeinschaft in New York vor Anfeindungen zu schützen, könnte dies zu einer harten Konfrontation führen. Papst Leo XIV. hat klargestellt, dass die katholische Kirche keine Art von Antisemitismus duldet.

Ein wirkliches Problem für Hicks wird das Geld sein. Die Erzdiözese hat sich bereiterklärt, 1300 Menschen, die von katholischen Priestern sexuell missbraucht wurden, Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 300 Millionen Dollar zu zahlen. Die Erzdiözese hat schon den Verkauf von Liegenschaften in Manhattan in die Wege geleitet, aber das wird nicht ausreichen.

Der neue Erzbischof begegnete Papst Leo XIV. vor vielen Jahren, als der in einem der Pfarrbezirke, für die er als Bischof von Joliet zuständig war, eine Rede hielt. Damals hieß der Papst noch Kardinal Prevost. Hicks saß in der ersten Reihe und hörte zu.

Nach der Rede ging er auf den Kardinal zu, um ein bisschen zu plaudern. Sie sprachen über Papst Franziskus, die Weltkirche, die Arbeit in Joliet. Aus fünf Minuten wurden zehn, dann fünfzehn, dann zwanzig. Der Kardinal hörte neugierig zu.

Die beiden Männer stellten fest, dass sie im selben Viertel aufgewachsen waren. Als Kinder hatten sie in denselben Parks gespielt, waren in denselben Freibädern schwimmen gegangen, erinnerten sich an dieselben Pizzaläden. Außerdem kannten beide Lateinamerika gut, weil sie beide dort Missionare gewesen waren.

Der neue Erzbischof von New York kann also als enger Vertrauter des Papstes gelten. Nur einen kniffligen theologischen Disput gibt es zwischen den beiden: Der Papst unterstützt als Baseballfan die Chicago White Sox, während der neue Erzbischof von New York ein Fan der Chicago Cubs ist.

Hannes Stein berichtet im Auftrag von WELT als freier Autor über die USA.

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