Im Leben des Israelis Alon K., 62, gibt es viele Zufälle. David Barkay habe ihn einmal angerufen, und kurz darauf will er ihm in Berlin beim Frühstück in einem Hotel das erste Mal persönlich über den Weg gelaufen sein. Zufall. Da habe ihm der israelische Unternehmer von der Firma Cyber Cupula seine Handynummer in die Hand gedrückt.
Barkay gehört zu den Hauptverdächtigen im Entführungsfall Block: Angestellte von Cyber Cupula sollen zwei Kinder der Familie, Theo und Klara, aus der Obhut ihres Vaters Stephan Hensel aus Dänemark entführt haben. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft Barkay vor, die Entführung im Auftrage von Hensels Ex-Frau, der Unternehmerin Christina Block, geplant und ausgeführt zu haben. Er ist zurzeit flüchtig.
Mit dem in Frankfurt residierenden Alon K. habe Barkay – zufällig – einen einflussreichen Mittelsmann zwischen israelischen Geheimdiensten, Regierungen und Unternehmen getroffen. So beschreibt sich K. selbst: eine Art Ein-Mann-Informationsagentur. Im Block-Prozess versucht das Hamburger Oberlandesgericht am Mittwoch herauszufinden, ob der Mini-Mossad vom Main geholfen hat, Barkays Firma mit den Blocks zusammenzubringen.
Und genau diesen Zusammenhang bestreitet der Zeuge Alon K. vehement. „Ich habe überhaupt nichts zu tun mit der Entführung“, sagt er. Vielmehr sei er mit drei Personen aus dem Umfeld der Familie Block bekannt: dem mitangeklagten Anwalt der Familie, Andreas C., dem Ex-BND-Chef August Hanning und dem Hamburger Hafen-Chef Jens Meier. „Hanning ist ein guter Charakter, wir kommen aus der gleichen Welt“, sagt Alon K. Damit deutet er an, dass auch er eine berufliche Vergangenheit bei einem Nachrichtendienst gehabt habe – mindestens. Sie würden einander seit etwa zehn Jahren kennen. Seit seiner Demission beim BND im Jahre 2005 hat sich Hanning als Unternehmer im Sicherheitsbereich einen Namen gemacht.
Mit Andreas C. habe sich Alon K. Anfang September 2022 persönlich ausgetauscht. Der Unternehmer Eugen Block, Vater der Hauptangeklagten Christina Block, wollte demnach Informationen, wie es den Kindern in Dänemark geht. Und den Hafen-Mann Meier „kenne ich gut, der ist häufiger in Israel“. Meier wiederum ist mit Andreas C. befreundet, wie er selbst am vorigen Prozesstag am Montag berichtete. Der Herr über Hamburgs Terminals und Lagerhallen sagte aus, dass er Andreas C. auf dessen Anfrage hin Namen von Firmen gegeben habe, die sich mit IT-Sicherheit auskennen. Mit diesem Thema habe er sich selbst seit Jahren beschäftigt. Nun, da er schon die Kontaktdaten des ihm weitgehend unbekannten Barkay hatte, habe er diese an Andreas C. weitergeleitet.
Erst später will Alon K. herausgefunden haben, dass der Cyber-Cupula-Boss ein Aufschneider gewesen sei, mit dem er lieber gar nichts zu tun haben wolle. Doch es habe eine „weitere Person“ gegeben, die Barkay an ihn vermittelt habe. Wer das ist, will Alon K. nicht sagen, jedenfalls nicht in der öffentlichen Hauptverhandlung. Offenbar handelt es sich um einen Mitarbeiter des israelischen Militärgeheimdiensts.
Richterin Isabel Hildebrandt entscheidet, dass die Zuschauer hinausgehen müssen, da der Person bei Nennung ihres Namens „Gefahr für Leib und Leben“ drohen könnte. Eigene Ermittlungen zu der Frage, ob das stimmt, könne das Gericht in der Kürze der Zeit nicht vornehmen – sie müsse sich auf die Angaben des Zeugen verlassen. Ob Alon K. den Namen in nicht-öffentlicher Sitzung preisgegeben hat, ist also nicht zu erfahren.
Zunehmend geraten Nachrichtendienste und Sicherheitsfirmen, die von ehemaligen Agenten gegründet wurden, in den Fokus des Prozesses. Kaum einer ist so umtriebig wie Hanning, der in gleich mehreren solcher Firmen mitmischt – und der mit Eugen Block befreundet ist.
Was Alon K. nun tatsächlich beruflich macht, bleibt im Nebel. Er sei mal in einem Regierungsdienst beschäftigt gewesen, gab er an. Es erscheint angesichts seiner Geheimniskrämerei keinesfalls ausgeschlossen, dass er weiter für den Mossad arbeitet – entweder als „freier Mitarbeiter“ oder eine Art Statthalter des Dienstes.
„Wer schützt mich?“, fragt Christina Block
Am Ende des Tages meldet sich die Angeklagte Block mit einer Einlassung zu Wort. Alle Augen richten sich auf sie, sofort breitet sich Spannung im Saal aus. Wer konkrete Aussagen zu den Tatvorwürfen erwartet, den enttäuscht sie allerdings. Dafür wehrt sich Block gegen die ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Auswertung ihrer Tagebuch-Aufzeichnungen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen müssten. Einen entsprechenden Antrag ihres Anwalts Ingo Bott wies die Richterin bereits am 29. September zurück.
Block sagt dazu, dass sie ihren „Widerspruch aufrecht“ erhalte, weil ihre Persönlichkeitsrechte und ihre Intimsphäre verletzt würden. Dass diese beiden Bereiche in einem Strafverfahren nun mal thematisiert werden müssen, um zur „Wahrheitsfindung“ zu gelangen, scheint ihr Rechtsanwalt ihr nicht erklärt zu haben.
Block wirbt um Verständnis für ihre Sichtweise, schildert den „täglichen Spießrutenlauf“, wenn sie aufgrund von weitergegebenen Akteninhalten „flächendeckend vorverurteilt“ werde. „Es ist mir wichtig, wieder selbst eine Stimme zu bekommen“, so die Angeklagte, die jede Beteiligung an der Entführung ihrer Kinder in der Silvesternacht 2023/24 vehement abstreitet. „Ich frage mich: Wer schützt mich?“, so Block. Sie werde „fertig gemacht“.
Vorwürfe mache sie sich schon, abseits der Anklagepunkte. „Ich denke jeden Tag, wie ich Theo und Klara besser vor der Wut, die ihr Vater in sich trägt, hätte schützen müssen“, sagt die Mutter. Aber die habe die zahllosen Vorhaltungen ihres früheren Mannes „als Wahn“ abgetan und nicht ernst genug genommen.
Trost findet Christina Block ihrer Aussage zufolge vor allem in der Bibel. „Sie wissen, dass ich Christin bin. Ich glaube nicht nur an Gott, sondern auch, dass er eine Lösung aufzeigt.“ Dann zitiert sie aus dem Matthäus-Evangelium den Vers 21,22: „Und alles, was ihr bittet im Gebet: so ihr glaubt, werdet ihr’s empfangen.“ Daran halte sie sich fest – anders könne sie morgens gar nicht aufstehen, sagt Block unter Tränen.
Im Saal 237 des Hamburger Landgerichts aber gilt zuvörderst das irdische Gesetzbuch der Strafprozessordnung. Hilfe von oben ist unwahrscheinlich; Block und ihre sechs Mitangeklagten sind in den Händen der drei Berufsrichter. Dem Anschein der vorangegangenen Verhandlungstage nach sind sie dort auch gut aufgehoben.
Bertolt Brecht formulierte es mit einem wohlgesetzten Doppelpunkt einmal so: „Der Mensch denkt: Gott lenkt.“
Chefreporter Per Hinrichs schreibt über Kriminalität, Justiz und weitere Gesellschaftsthemen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke