Es knallt mal wieder zwischen Union und SPD. Diesmal zerlegen sich die Regierungsfraktionen über das Wie einer Wehrpflicht für den Fall, dass es nicht bald genügend Freiwillige gibt. Das Thema ist aber zu ernst und zu weitreichend, um die Debatte auf den üblichen Koalitionskrach zu reduzieren.

Kurz vor der Verkündung ihrer Einigung zur Zukunft des Wehrdienstes in Deutschland haben Union und SPD am Dienstagabend ihre hierzu angekündigte Pressekonferenz wieder abgesagt. Man ist sich uneins. Ein zwischen Vertretern der Fraktionen ausgehandelter Kompromiss, der ein Losverfahren beinhaltet, stößt auf Widerstand sowohl aus Teilen der SPD als auch von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius persönlich. Der Bewertungsreflex ist naheliegend: Die Koalition kann es mal wieder nicht, zerlegt sich nach der geplatzten Kanzlerwahl und dem Streit um die Bundesverfassungsrichter einmal mehr auf offener Bühne. Diese Deutung ist naheliegend, aber nicht zielführend. Das Thema Wehrpflicht ist zu wichtig, um es auf eine dieser "Koalitionskrach"-Empörungsspiralen zu reduzieren.

Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob Putins Russland konkret und zeitnah einen militärischen Angriff auf die Bundesrepublik oder einen ihrer Verbündeten plant. Schließlich wird Deutschland unterhalb dieser Schwelle schon längst von Russland attackiert - durch Hacker, Saboteure, Stimmungsmacher. Auch vor Mordanschlägen auf deutschem Boden schreckt der Kreml nicht zurück.

Schon um sich gegen solche nichtmilitärischen Angriffe verteidigen zu können, muss jede Gegenmaßnahme durch glaubhafte Abschreckung vor einer weiteren Eskalation unterfüttert sein. Diese Abschreckung darf auch nicht davon abhängen, wer gerade die USA regiert und was diese Person zuletzt auf Fox News konsumiert hat. Daraus folgt: Deutschland braucht mehr Soldaten, um sein Territorium und seine demokratische Staatsform aus eigener Stärke verteidigen zu können.

Die Koalition macht es sich nicht leicht

Dafür nun Heranwachsende zum Dienst an der Waffe zu gewinnen, sie gar dazu zu verpflichten, ist keine Banalität. Das öffentliche Werben für die Bundeswehr militarisiert zwangsläufig, wie im Land gedacht und geredet wird. Eine Verpflichtung, ob allgemein oder durch Losverfahren, ist ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Bürgers, auch wenn es die Option eines Ersatzdienstes gibt. Bei aller Eile, die die Koalitionäre verspüren: Gründliches Abwägen ist geboten und findet auch statt. Das gilt es anzuerkennen. Niemand macht sich die Sache leicht. Die Union trägt Pistorius' Primat der Freiwilligkeit mit. Die SPD weiß, dass sie Antworten liefern muss für den Fall, dass auch ein noch so attraktiv gestalteter freiwilliger Wehrdienst nicht genügend Interessenten anzieht.

Längst haben sich der populistische Teil der Opposition sowie interessierte Dritte aufgemacht, die schwierige Debatte zu verhetzen. Das BSW behauptet, die Bundesregierung wolle im Interesse der USA die Söhne des Landes im Krieg mit Russland verheizen. Ähnlich sieht es AfD-Politiker Björn Höcke, weshalb nun die gesamte Partei nicht mehr über den im eigenen Wahlprogramm verankerten Wehrdienst sprechen mag. Populisten meiden unpopuläre, komplexe Themen - oder verdrehen sie zum eigenen Vorteil. Höcke sagt etwa, nicht Russland, sondern die deutsche Regierung sei Kriegstreiber.

Die Debatte lohnt sich

Auch die Linke wittert im Thema Wehrdienst Spaltmaterial: Fraktionschef Sören Pellmann war sich intellektuell nicht zu schade für einen Vergleich eines Wehrdienst-Losverfahrens mit der Romanserie "Tribute von Panem". In der dystopischen Geschichte wird ausgelost, wer für eine perverse Unterhaltungsshow töten und letztlich mit großer Sicherheit sterben muss. Dass Union und SPD nach Wegen suchen, den Wehrdienst von einem zwingenden Kriegsdienst im Ernstfall zu entkoppeln: Derlei Unterschiede versuchen die auf Empörung Setzenden gezielt zu verwischen.

Man muss der Idee des Zufallsverfahrens nicht zustimmen. Fakt ist aber, dass sich die Regierungskoalitionen mit Wegen befassen, die den Grundrechtseingriff einer Dienstverpflichtung möglichst beschränken sollen- auf die Anzahl an Soldaten, die die Bundeswehr wirklich braucht, ausbilden und versorgen kann. Das Losverfahren muss so dennoch nicht kommen. Das Konzept zeigt aber, dass bisher vielleicht nicht alle Optionen ausreichend abgewogen wurden. Die Debatte lohnt sich und verdient breite Beteiligung, um breite Akzeptanz für das Ergebnis herzustellen. Zugleich kommt allen Beteiligten große Verantwortung zu: die Debatte nicht selbst durch unprofessionelle Außendarstellung zu zerschießen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke