Er ist das Stehaufmännchen der tschechischen Politik: Andrej Babis. Der milliardenschwere Unternehmer, der bereits von 2017 bis 2021 Premierminister seines Landes war, kann nicht von der Macht lassen. Der Vorwurf von Interessenkonflikten, die zu Massenprotesten von Menschen geführt hatten, die ihn zum Rücktritt aufforderten: All das hat Babis noch nie beeindruckt.
Nachdem seine Regierung aus dem Amt gewählt wurde, kandidierte er 2023 störrisch für das Amt des Präsidenten. In einer Stichwahl musste er sich dem ehemaligen General und Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses Petr Pavel geschlagen geben. Doch jetzt scheint der 71-jährige Babis tatsächlich noch mal zurückkommen zu können. Am 3. und 4. Oktober wählen die Tschechen ein neues Parlament – und Babis’ Partei ANO liegt in Umfragen mit 30 Prozent der Stimmen deutlich vorn. Ihr folgt das Mitte-Rechts-Wahlbündnis Spolu des amtierenden Regierungschefs Petr Fiala mit gerade mal 20 Prozent.
In den Debatten in Tschechien dreht sich jetzt schon alles um Babis. Daran, dass seine Partei ANO als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen wird, zweifelt kaum ein politischer Beobachter. Doch mit welcher anderen Partei, ob mit einer oder mehreren, Babis in eine Regierung eintreten wird, ist vollkommen unklar. Am liebsten würde Babis mit einer absoluten Mehrheit alleine regieren, doch das ist nahezu ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob und mit was für einem Stimmenanteil kleinere, extremistische Parteien ins Parlament einziehen und wie sich das auf die Sitzverteilung auswirkt.
Das ist nicht nur wichtig für Babis persönlich, es dürfte auch grundlegend die tschechische Außenpolitik beeinflussen. Denn zu den potenziellen Partnern des Milliardärs zählen Ukraine-kritische bis antiukrainische Parteien am linken und rechten Rand. Mit ihnen an der Regierung dürfte Tschechiens proukrainischer Kurs, die bislang beherzte Unterstützung Kiews, infrage gestellt werden. „Dieser Wahl in Tschechien kommt eine besondere Bedeutung zu, weil das Land eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Ukraine spielt, zum Beispiel durch die Munitionsinitiative“, erklärt Milan Nic im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. Er ist Experte für Tschechien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Die Wahl könne über eine Neuausrichtung dieser Politik entscheiden, so Nic weiter. Tatsächlich ist Tschechien mit seinen 10,5 Millionen Einwohnern ein überaus wichtiger Unterstützer der Ukraine. Das Land ist stets, wie auch Polen und die baltischen Länder, bei Waffenlieferungen für die Ukraine und Sanktionsforderungen für Russland in Europa vorangegangen. Maßgebend ist die tschechische Munitionsinitiative: Seit dem vergangenen Jahr organisiert Prag – angeregt durch Präsident Pavel und finanziert von weiteren europäischen Partnerländern, vor allem auch Deutschland – die Beschaffung von Artilleriemunition für die Ukraine, zu großen Teilen aus Beständen von Drittstaaten und auf Märkten außerhalb Europas. Experten wie der Chef der tschechischen Denkfabrik AMO, Vit Dostal, sagen, dass diese Initiative aufgrund spezieller Netzwerke nur von Prag aus koordiniert werden könne.
Das Aus der Munitionsinitiative?
Das stünde durch einen möglichen Sieg von Babis auf der Kippe. Im Wahlkampf forderte dieser, die Munitionsinitiative an die Nato auszulagern. Damit zeigt er sich schon jetzt offen für Bündnisse mit den Extremisten, die die Waffenhilfen für die Ukraine einstellen möchten und eine neutrale Rolle Tschechiens fordern. An einem Ende des Spektrums steht die rechtsextreme Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD). Sie liegt in Umfragen bei zwölf bis 14 Prozent der Stimmen. Am anderen Ende steht das linke Wahlbündnis „Es reicht!“, auf Tschechisch „Stacilo!“. Es besteht aus den Sozialdemokraten und der Kommunistischen Partei (KSCM).
Zusammen kommen die Linken auf sechs bis acht Prozent. Das Regierungslager wirft ihnen, wie auch den Rechtsextremisten mit ihrem in Japan geborenen Vorsitzenden Tomio Okamura vor, offen mit Russland zu kollaborieren. Sowohl von rechts als auch von links kommen dabei Forderungen, Tschechien solle aus EU und Nato austreten.
Babis selbst klingt anders. Er möchte nicht, dass sein Land die EU und das westliche Militärbündnis verlässt. In Bezug auf die Ukraine und Russland indes ist er weitgehend indifferent und hält sich mit Bekenntnissen zurück, um sich Koalitionsmöglichkeiten nicht zu verbauen. Er setzt stattdessen voll auf das Thema Wirtschaft, verspricht seinen Wählern bessere Lebensverhältnisse und teilt auch mal gegen die EU aus. Den sogenannten Green Deal etwa kritisiert er, was bei vielen der europäischen Klimapolitik gegenüber skeptisch eingestellten Tschechen gut ankommt.
Auffällig ist, dass viele Menschen offenbar bereit sind, eine grundlegende Änderung der tschechischen Ukrainepolitik in Kauf zu nehmen, obwohl das Thema, wie Umfragen zeigen, besonders wichtig für viele Wähler ist. Eine Mehrheit der Tschechen trägt den proukrainischen Kurs der amtierenden Regierung mit – worauf das Regierungslager im Wahlkampf entsprechend reagiert.
Premierminister Fiala, aber auch Außenminister Jan Lipavsky zeigen sich als verantwortungsbewusste Staatsmänner und warnen vor den prorussischen Linken und Rechtsextremisten. Ihr Erfolg aber ist mäßig, die Umfragewerte sind nicht gut. Experte Nic erklärt dieses Phänomen wie folgt: „Babis’ Kampagne verstärkt die Frustration bei Menschen in wirtschaftlich abgehängten Regionen Tschechiens. Es geht um Wirtschaft, nicht um Außenpolitik“, sagt er. Dass es am Ende eine proukrainische Koalition von Babis mit Teilen des Regierungsbündnisses gibt, halten Beobachter für eine absolute Notlösung und damit für unwahrscheinlich.
Babis gilt als Populist, als jemand, der gerne austeilt. Einer politischen Strömung lässt er sich, wie seine Partei, dabei nur schwerlich zuordnen. Die ANO vereint in sich rechtspopulistische, EU-kritische, konservative und auch marktliberale Strömungen. Das beste Beispiel für den liberalen Flügel der Partei ist Vera Jourova, die im vergangenen Jahr erst, mit ihrem Ausscheiden aus der Politik, ihr ANO-Parteibuch abgegeben hat. Sie war als EU-Justizkommissarin eine Verfechterin rechtsstaatlicher Standards in Europa und bis 2024 Vizepräsidentin der EU-Kommission, gewissermaßen die zweite Frau der Kommission nach Ursula von der Leyen.
Wohin es Babis nun zieht, zeigt die Gründung der Fraktion „Patrioten für Europa“ im EU-Parlament im vergangenen Jahr. Babis’ ANO gehört wie die Partei Fidesz von Viktor Orbán und die französischen Rechtsextremisten vom Rassemblement National und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) dazu.
Philipp Fritz berichtet im Auftrag von WELT seit 2018 als freier Korrespondent in Warschau über Ost- und Mitteleuropa.
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