Wenn die Tschechinnen und Tschechen an gleich zwei Tagen wählen gehen, stimmen sie auch über die geopolitische Zukunft des Landes ab. Nähert sich der deutsche Nachbar dem Kreml an? Die Umfragen deuten darauf hin.

Tschechien und Ungarn haben manches gemeinsam: zwei mitteleuropäische Länder, beide früher mitunter widerspenstige Mitgliedstaaten des kommunistischen Ostblocks, und beide wehren sich vehement gegen irreguläre Einwanderung. Doch in ihrer Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterscheiden sich die beiden Länder bislang deutlich. Sollte die Partei ANO des früheren Regierungschefs Andrej Babis die Abgeordnetenhauswahl am Freitag und Samstag gewinnen, könnte Tschechien in diesem Punkt allerdings deutlich ungarischer werden.

Das bisher eng mit der Ukraine verbündete Tschechien könnte zum dritten Freund Russlands in der EU werden, neben Ungarn und dessen Regierungschef Viktor Orban und der zwischen beiden Ländern liegenden Slowakei unter Ministerpräsident Robert Fico. Letzte Umfragen sehen Rechtspopulisten Babis und seine Partei vorne.

Tschechien zählt unter dem bisherigen konservativen Regierungschef Petr Fiala und dessen Fünfparteien-Koalition bislang zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine. Prag hat Rüstungsgüter geliefert, zahlreiche ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und eine "Munitionsinitiative" ins Leben gerufen, um Kiew in seinem Verteidigungskampf zu unterstützen.

Babis will der Ukraine keine Waffen mehr liefern

Der Großunternehmer und Multimilliardär Babis hingegen bezeichnet sich selbst als "Friedenstreiber", hat zu einem Waffenstillstand in der Ukraine und zu einem Stopp der Militärhilfe aufgerufen. Sein Motto "Silne Cesko" - starkes Tschechien - lassen Babis-Anhänger seit Jahren auf rote Baseballcaps drucken, die aussehen wie die tschechische Version der "Make America Great Again"-Kopfbedeckungen der Unterstützer von US-Präsident Donald Trump.

Babis' Beliebtheit rührt von seiner direkten, bisweilen ungehobelten Art, seinem Image als Selfmade-Milliardär, seinem liberalen Wirtschaftsprogramm - aber auch davon, dass die Regierung Fiala bei vielen Tschechen unbeliebt ist. Sie werfen ihr vor, wichtige Wahlversprechen wie Steuersenkungen, höhere Lehrergehälter und eine Justizreform nicht eingelöst zu haben. Ein ebenfalls verbreiteter Kritikpunkt: Fiala und seine Koalitionspartner hätten der Ukraine zu viel Aufmerksamkeit und Ressourcen gewidmet - und ihrem eigenen Land zu wenig.

In diese Kerbe schlägt Babis. Der 71-Jährige versteht sich gut mit dem slowakischen Regierungschef Fico und dem ungarischen Ministerpräsidenten Orban. 2024 gründete Babis mit Orban im Europaparlament die Rechtsaußen-Fraktion Patrioten für Europa. Babis' Partei ANO ist darin verbündet mit mehr oder minder offen russlandfreundlichen Kräften wie Orbans Fidesz, dem französischen Rassemblement National der mehrfachen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, der italienischen Lega und der österreichischen FPÖ.

Wo steht Tschechien geopolitisch?

Es sei "keine Übertreibung, dass diese Wahl Tschechiens geopolitische Position bestimmen wird", sagt Politikexperte Petr Just von der Metropoluniversität in Prag. Babis' Partei ANO kann laut den Umfragen mit rund 30 Prozent der Stimmen rechnen, die konservative Parteiengruppierung Spolu von Amtsinhaber Fiala liegt bei 20 Prozent. Der Wahlsieger wird höchstwahrscheinlich einen oder mehrere kleinere Koalitionspartner benötigen.

Nach seinem ersten Wahlsieg im Jahr 2017 hatte Babis es zuerst mit einer ANO-Minderheitsregierung probiert - und dann mit den Sozialdemokraten koaliert, mit externer Unterstützung der Kommunisten. Vor der diesjährigen Wahl erscheinen die rechtsradikale Partei SPD und die linksradikale Sammelbewegung Stacilo! (zu Deutsch: Es reicht!), in die Kommunisten und Teile der Sozialdemokraten abgewandert sind, als realistische Partner. Beide versprechen in ihren Wahlprogrammen ein Referendum über einen EU-Austritt Tschechiens.

Politikexperte Just erwartet "komplizierte und wahrscheinlich lange" Koalitionsverhandlungen. Doch selbst wenn Babis eine offen EU-kritische Koalitionsregierung bilden sollte, bliebe seine Macht deutlich stärker eingeschränkt als die von Orban in Ungarn.

Tschechiens Parlament besteht - anders als das Einkammerparlament in Ungarn - aus zwei Kammern. Im Senat, der an diesem Wochenende nicht zur Wahl steht, gibt es eine deutliche pro-europäische Mehrheit. Und Staatspräsident Petr Pavel, der laut tschechischer Verfassung den Auftrag zur Regierungsbildung vergibt, ist ehemaliger Nato-General, entschiedener Pro-Europäer und entschlossener Unterstützer der Ukraine.

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