Die Stimmung in Deutschland ist mies, viele Leute haben den Blues. "Das ist nachvollziehbar, wenn man eine Pandemie und drei Jahre Rezession hinter sich hat", konstatiert Wolfram Weimer. Der Journalist und Medienunternehmer wurde im Mai von Bundeskanzler Friedrich Merz überraschend zum Kulturstaatsminister ernannt - und versprüht im "ntv Salon" dennoch Optimismus: "Die Stimmung wird schon im nächsten Jahr deutlich besser sein als jetzt." Er verspricht im ausführlichen Gespräch schon für das kommende Jahr einen Aufschwung. Größere Sorgen bereiten Weimer die widerspenstige ARD und auch Google: So viel Meinungsmacht bei einer Plattform, die sich im Zweifel dem Willen Donald Trumps unterwirft? "Wir müssen Google zerschlagen", sagt der Kulturstaatsminister. Er ist überzeugt: Auch die USA werden dieses Vorhaben unterstützen.
ntv.de: Die Bayern haben eine Schwäche fürs Berlin-Bashing. Sie sind vom Tegernsee in die Hauptstadt gezogen. War das ein Kulturschock?
Wolfram Weimer: Der Kulturschock ist nicht groß, wenn man sich wie ich seit 30 Jahren mit dem politischen Betrieb beschäftigt. Mental verändert sich nicht viel.
Aber der Blick von außen ist ein Vorteil?
Das hoffe ich. Den Blick des Verlegers oder Journalisten legt man nicht ab. Ich möchte das Amt gut ausüben, beobachte aber auch das Geschehen, bleibe also in einer Doppelrolle. Offen gesagt, macht mir das große Freude: Man steckt auf einmal mittendrin. Das ist ein Geschenk für jeden Reporter.
Schreiben Sie später ein Buch über Ihre Zeit im Kanzleramt?
Ganz sicher werde ich später ein Buch schreiben, aber nicht darüber. Ich bin kein Mensch, der Indiskretionen sammelt und hinterher auspackt.
Hat sich die Arbeitsbelastung vom Journalismus zur Spitzenpolitik spürbar verändert?
Es ist viel anstrengender, als man denkt. Ich bin Journalist geworden, weil ich ein Abendmensch bin und ausschlafen wollte.
Das können wir bestätigen: Ihre Kolumne "Person der Woche" hat uns immer zwischen 0 Uhr und 2.30 Uhr erreicht.
Das ist meine beste Schreibzeit. Zwischen 23 und 1 Uhr laufe ich zur Höchstform auf. (lacht)
Und wann geht es jetzt los?
Viel zu früh. Der Kanzleramtschef beginnt seinen Tag um 4.45 Uhr. Der schnürt schon um 5.15 Uhr seine Laufschuhe und joggt jeden Morgen in der Berliner Dunkelheit. Gegen 6 Uhr kommt er zurück ins Kanzleramt und wundert sich, wo die anderen bleiben. Auch der Bundeskanzler ist in der Hinsicht ein Preuße: Er arbeitet viel und intensiv. Manchmal ruft er morgens um 6 Uhr an, um mir etwas mitzuteilen. Diesen Rhythmus bin ich nicht gewohnt. Auch die Dichte der Termine und Ereignisse … Das ist intensiver, als ich dachte.
Es bleibt aber dabei: Sie haben den schönsten Job der Welt und im Kanzleramt auch das Büro mit der besten Aussicht. Weiß das Friedrich Merz eigentlich?
Ich gehe häufiger zu ihm ins Büro als er in meins, deswegen merkt er das hoffentlich nicht. (lacht) Ich glaube, das sollte ursprünglich eine Penthousewohnung für besondere Staatsgäste sein, denn das Büro hat ein Badezimmer mit Badewanne. Aber Gerhard Schröder hat wohl entschieden, dass das keine Wohnung wird, sondern das Büro für den Kulturmann oder die Kulturfrau. Seitdem ist dieses Penthouse der Ort für Kulturgespräche im Kanzleramt. Das genießen wir und die Kulturmenschen natürlich.
Wer eine Badewanne im Kanzleramt hat, braucht keine Wohnung in Berlin. Wie wollen Sie diese positive Stimmung auf Deutschland übertragen?
Das Land fühlt sich kollektiv sehr niedergeschlagen an, auf jeder Ebene ist Blues.
Sie haben gesagt, Deutschland sei am Versacken.
Ja, die Stimmung ist schlecht, aber das ist nachvollziehbar, wenn man aus einer Pandemie kommt und drei Jahre Rezession hinter sich hat. Dazu kommen der Krieg und die Tatsache, dass es die Ampel nicht richtig hinbekommen hat. Die Wirtschaft schwächelt. Alle spüren, dass wir nicht mehr so stark sind, wie wir einmal waren. Die Aufgabe dieser Regierung ist es, neue Lebensfreude zu wecken und zu zeigen, dass es vorwärts geht. Deutschland sollte wieder Leuchtland sein.
Trauen Sie Deutschland das zu? Man hat manchmal den Eindruck, das ganze Land sei ambitionslos oder mutlos.
Ja, total. Wir haben in der Vergangenheit so viele Krisen erlebt, wir Deutschen zeigen Comeback-Qualitäten der ungeahnten Art - über Jahrhunderte hinweg. Aber manchmal sind wir ein bisschen verliebt in die Depression, das gehört zu unserem faustischen Naturell. Wir leiden gerne und suchen den Sinn hinter dem bewölkten Himmel, aber finden ihn nie. Trotzdem raffen wir uns seit mehr als 1000 Jahren immer wieder auf.
Wo kommen dieses Mal die Impulse dafür her?
Vor 25 Jahren ging es Deutschland ähnlich, wir waren der "kranke Mann Europas" und wurden wirtschaftlich durchgereicht. Dann hatte Kanzler Schröder den Mut, mit allen möglichen Verwerfungen die Agenda 2010 durchzusetzen. Das war keine schlimme soziale Revolution, die Millionen ins Elend gestürzt hat, sondern eine Reform, die im Wesentlichen den Aufschwung der Merkel-Ära mitgetragen hat. Jetzt müssen wir ebenfalls einige Dinge reformieren, damit es wieder vorwärtsgeht.
Im aktuellen RTL/ntv Trendbarometer wurde abgefragt: Was trauen die Leute der Regierung an Reformen zu …
Ganz wenig, oder?
Ganz, ganz wenig.
Aber das Zutrauen wird wachsen. Das ist wie mit dem Appetit: Der kommt beim Essen. So herum ist es mir offen gesagt sogar lieber. Erinnern Sie sich an den Start der Ampel? Es gab eine riesige Euphorie. Das war die Modernisierungsregierung mit coolen Bildern und neuen Figuren in einer spannenden Konstellation. Ich habe damals selbst geschrieben: Das könnte was werden. Dann brach der Erwartungshorizont nach und nach ein.
Sie und Schwarz-Rot machen es umgekehrt?
Vielleicht. Wenn uns keiner etwas zutraut, wir die Dinge aber Stück für Stück besser machen, ändert sich die Stimmung schnell. Ich vertrete die These: Sie wird schon im nächsten Jahr deutlich besser sein als jetzt, weil wir einen Aufschwung kriegen werden. Ganz egal, ob unsere Reformen groß oder klein sind. Die Kapitalströme haben sich umgekehrt, das ist die erste große Veränderung seit vielen Jahren. Wir sehen einen massiven Kapitalzufluss nach Deutschland. Dieser Impuls wird uns im Winter überraschen.
Benötigen wir neben dem wirtschaftlichen auch einen geistig-moralischen Impuls, der zum Aufschwung beiträgt?
Ich bin nicht der Typ für ein Pathos des Überschwangs und der Euphorie. Friedrich Merz ist als Sauerländer auch Pragmatismus pur. Wir möchten die Dinge sachlich voranbringen und liefern: Wir müssen die Sozialsysteme reformieren, die Wirtschaft stärken und das Migrationsproblem lösen. Dann kommen die Dinge Stück für Stück in Fahrt.
Wie bewerten Sie denn die Fälle Jimmy Kimmel und Julia Ruhs? Kann man die in einen Topf werfen?
Nein, das sind unterschiedliche Kategorien. Donald Trump versucht, in den USA die Verfassungsgrenzen zu überschreiten. Das ist übel und schwierig, aber die amerikanische Gesellschaft leistet Widerstand. Der hat sich in diesem Fall in der kapitalistischen Grundierung der USA gezeigt: Der Aktienkurs von Disney ist so stark gefallen, dass sich das Unternehmen entschieden hat, Jimmy Kimmel wieder auf Sendung zu lassen. Das kann nicht die Grundmechanik sein, um einen übergriffigen Präsidenten und potenziellen Despoten einzuhegen, aber ich vertraue der amerikanischen Demokratie.
Warum?
Die amerikanische Demokratie wird im nächsten Jahr 250 Jahre alt. In dieser Zeit haben wir uns Königen, Kaisern, Diktatoren und den Kommunisten unterworfen und alle möglichen irren Diktaturen ausprobiert. Die Amerikaner? Sind trotz aller zeitgeistigen Moden eine stabile Demokratie geblieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach 250 Jahren ausgerechnet an diesem Mann scheitern.
Und Julia Ruhs? Wurde sie gecancelt und gefeuert? Oder hat der NDR einfach nur nach drei Testsendungen festgestellt: Wir setzen das lieber nicht fort.
Nein, das ist ein Vorgang der politischen Kultur. Das registrieren die Leute ganz genau, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Kern unserer kollektiven Willensbildung ist. ARD und ZDF haben kein passives Publikum, sondern ein aktives. Wir zahlen verpflichtend neun Milliarden Euro im Jahr, jede Familie muss jeden Monat den Rundfunkbeitrag überweisen. Deshalb ist es fatal, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie in diesem Fall die breite Akzeptanz gefährdet. Viele Menschen, speziell in Ostdeutschland, sind überzeugt, dass die Sender politisch einseitig und zu sehr links berichten. Dass die Sender dieser Vermutung selbst so deutlich Nahrung geben, ist ein grober Fehler.
Finden Sie es als Kulturstaatsminister in Ordnung, wenn sich die Politik in dieses Thema einmischt? ARD und ZDF arbeiten per Auftrag unabhängig. Speziell aus der CDU sieht man Versuche, diese Unabhängigkeit zu untergraben.
Haben wir Meinungsfreiheit oder nicht? Darf jeder etwas sagen oder nicht? Ist die ARD sakrosankt und darf nicht kritisiert werden? Natürlich darf man sie kritisieren, genauso wie alles andere auch. Das gehört dazu. Ich empfinde es als wichtig, dass die Öffentlichkeit und auch die Politik sagen, was sie denken. Das muss ein öffentlich-rechtlicher Sender ertragen.
Haben Sie sich die Sendung angeschaut und dazu eine Meinung gebildet?
Nein, ich kann kein Urteil journalistischer Art fällen.
Der NDR räumt ein, dass es zumindest kommunikativ eine totale Panne war.
Die öffentlich-rechtlichen Sender sind von der Politik über den neuen Medienstaatsvertrag zu einer Reform gezwungen worden. Der geistige Kern ist: Achtet auf Ausgewogenheit und breite Akzeptanz in der Bevölkerung und öffnet euch für private Sender und Verlage. Ein Beispiel ist das Embedding: Private Plattformen sollen öffentlich-rechtliche Inhalte bei sich einbetten, platzieren und anbieten dürfen. Aber die Öffentlich-Rechtlichen tun das nicht, sondern sperren sich. Das Gesetz tritt am 1. Dezember in Kraft, wahrscheinlich warten sie damit bis zum letzten Tag. Das finde ich schwierig, wenn der Appell der Menschen offensichtlich ist: Öffnet euch. Beendet diesen Kampf zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern, denn der eigentliche Gegner heißt Google.
Sie haben vorgeschlagen, dass man Google zerschlagen sollte. Das erwartet man eher von linken Aktivisten.
Ich halte die Macht-, Medien- und Meinungsbildungskonzentration bei einer so großen amerikanischen Plattform für ein Problem. Das ist keine rein wirtschaftliche Monopolfrage, sondern Google greift tief in die kollektive Willensbildung ein. Google kontrolliert 90 Prozent des Suchmaschinenmarktes und immer mehr auch den Werbemarkt. Wir erleben seit 14, 15 Monaten, wie Lokalzeitungen, Magazinen, Fernsehsendern und Radiostationen die Werbeerlöse wegbrechen, weil alle zu Google gehen - einer Plattform, die sich wie beim Golf von Mexiko dem Willen Donald Trumps unterwirft. Wollen wir das ernsthaft so laufen lassen? Das ist gefährlich, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht. Ich bin Marktwirtschaftler, Ludwig Erhard war es auch. Aber auch Ludwig Erhard hätte gesagt: Wir müssen Google zerschlagen. Monopole darf man nicht dulden, weil sie Wettbewerb unterbinden. In diesem Fall auch den Meinungswettbewerb.
Aber es gibt doch niemanden, der Google zerschlagen könnte.
Wir haben Kartellgesetze. Das Kartellamt ist sowohl in Amerika als auch in Europa dran. Die Prüfungsverfahren sind durchaus interessant. Man kann Google auch von regulatorischer und von der Steuerseite adressieren. Das war mein erster Vorschlag: Warum zahlt Google eigentlich keine Abgabe oder Steuer? Das ist doch irre. Die verdienen hier Milliarde um Milliarde mit riesigen Margen, aber schleichen das Geld über ein Steuersparmodell in Dublin raus und geben der Gesellschaft nichts zurück.
Von diesem Vorschlag hört man nicht mehr so viel. Gibt es Widerstände?
Der größte Widersacher dieser Idee sitzt an einem dicken Schreibtisch in Washington.
Und die Bundesregierung möchte Donald Trump aktuell nicht provozieren?
Es gibt im Bundestag eine überwältigende Mehrheit für eine Digitalsteuer, auch bei den Grünen. Das könnten wir breit in der Mitte beschließen. In der Regierung gibt es auch keinen Widerstand, aber klar: Während der Zollverhandlungen wollten die Regierungsverantwortlichen vermeiden, dass die Zölle auf Autoexporte durch einen möglichen Plattformsoli noch mal um 10 Prozent steigen. Aber wir sind an dem Thema dran, wir erarbeiten die Gesetzesvorlagen und gucken, wie weit wir kommen. Natürlich kann es passieren, dass Donald Trump uns frontal attackiert und wir zurückziehen müssen, aber dann versuchen wir es ein Jahr später wieder.
Würde Trump nicht erst recht eine Zerschlagung verhindern?
In der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte gab es ähnliche Situationen in anderen Schlüsselfeldern. Vor 100 Jahren war die Energiewirtschaft praktisch ein Monopol, das von Washington einfach zerschlagen wurde. In den Jahrzehnten darauf entstanden daraus die erfolgreichsten Ölkonzerne der Welt. Ähnlich war es vor 30, 40 Jahren in der Finanzindustrie. Man denkt immer, dass die Amerikaner dem großen Kapital folgen. Das tun sie, aber sie haben auch einen tiefen Glauben an den Wettbewerb. Ich bin überzeugt, dass die Forderung "Zerschlagt Google" in den kommenden zehn Jahren auch in Amerika mehrheitsfähig wird.
Mit Wolfram Weimer sprachen Sebastian Huld und Tilman Aretz. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das vollständige Gespräch können Sie sich hier als Podcast anhören oder hier anschauen.
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