Der massive Gewinneinbruch der größten Autokonzerne weltweit löst in Deutschland Besorgnis und Rufe nach einem politischen Kurswechsel aus. Dabei sind sich Union und SPD uneins – nicht nur über die künftige Rolle der Autos mit Verbrennermotor. „In Europa werden seit der Pandemie drei Millionen Fahrzeuge weniger im Jahr verkauft, in China sinken die Absatzzahlen europäischer Hersteller rapide, und auch die neue US-Zollpolitik geht nicht spurlos an den deutschen Autobauern vorbei“, sagte der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Tilman Kuban (CDU), WELT.
„Um Arbeitsplätze zu schützen und der Industrie den Rücken zu stärken, brauchen wir einen Kurswechsel beim Verbrenner-Aus, weniger Regulierung und das Aussetzen der Strafzahlungen“, sagte Kuban mit Blick auf Geldbußen, die Autoherstellern drohen, wenn sie die festgelegten CO₂-Grenzwerte für ihre Fahrzeugflotte überschreiten. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, so Kuban, könnten die Menschen am Ende selbst entscheiden, welche Autos sie kaufen wollten.
Für die 19 weltweit größten Autobauer hat sich im ersten Halbjahr der operative Gewinn (Ebit) gemeinsam betrachtet nahezu halbiert. Von Januar bis Juni lag er demnach bei 42,8 Milliarden Euro, nach 84,3 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz stagnierte in Summe. Das geht aus einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervor. Angesichts einbrechender Gewinne stecke die etablierte westliche Auto-Industrie in einer tiefen und strukturellen Krise, sagte EY-Autoexperte Constantin Gall laut Mitteilung. E-Autos verkauften sich deutlich schwächer als angenommen, und auf wichtigen Absatzmärkten herrsche ein ruinöser Preiswettbewerb.
„Die Zukunft ist elektrisch“
SPD-Fraktionsvize Armand Zorn sprach von einer „Phase großer Turbulenzen“ für die deutsche Autobranche. Gerade in diesem Umfeld sei es entscheidend, dass die Politik die Automobil-Industrie unterstütze und ihr Planungssicherheit gebe. Festes Ziel sei, einen möglichst großen Teil der Wertschöpfung in Deutschland zu halten und damit Arbeitsplätze, Innovation und Wohlstand zu sichern. „Die Zukunft des Autos ist in nahezu allen Anwendungsfällen elektrisch“, sagte Zorn WELT. „Deshalb arbeiten wir gemeinsam mit der Industrie und den Gewerkschaften daran, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen – von gezielten Kaufanreizen über den Ausbau der Ladeinfrastruktur bis hin zu mehr Flexibilität bei der Transformation. Die deutsche Automobil-Industrie braucht Rückenwind in die Zukunft – keine Anker in der Vergangenheit.“
Der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Leif-Erik Holm machte die Zollpolitik der USA für die Misere der Autokonzerne in Europa mitverantwortlich. „In der EU haben wir dazu ein massives strukturelles Problem. Die europäischen Hersteller brauchen endlich wieder einen vernünftigen Wettbewerbsrahmen, um mit der wachsenden weltweiten Konkurrenz mithalten zu können.“ Es werde höchste Zeit für eine massive Deregulierung. „Natürlich muss das Verbrennerverbot fallen, die dramatischen CO₂-Strafzahlungen müssen verhindert werden.“ Die neuen Zahlen zeigten, dass Politik nicht schlauer als der Markt sei, denn der E-Auto-Absatz bleibe deutlich hinter den Erwartungen zurück.
„Die Merz-Regierung muss endlich Druck in Brüssel für ein Ende des Verbrennerverbots aufbauen. Und sie muss dringend für eine vernünftige Energiepolitik mit bezahlbaren Energiepreisen sorgen“, forderte Holm. „Beides ist allerdings von Schwarz-Rot nicht zu erwarten. Warme Worte auf der IAA und ein Auto-Show-Gipfel reichen ganz sicher nicht aus, um das Sterben unserer wichtigen Automobil-Industrie zu verhindern.“
Julian Joswig, Mitglied der Grünen im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie, sagte hingegen, die Botschaft der gerade zu Ende gegangenen Internationalen Automobil-Ausstellung IAA in München sei klar: Deutsche Hersteller investierten massiv in E-Mobilität und bauten technologisch führende Fahrzeuge. „Jetzt braucht es Planungssicherheit statt Debatten über die Verlängerung fossiler Technologien – es braucht Klarheit für den Hochlauf der Elektromobilität.“ Die Bundesregierung müsse deshalb endlich die Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos bis 2035 sichern, ein staatlich gefördertes „Social-Leasing-Programm“ für europäische E-Autos einführen und die Stromsteuer für alle senken. „Nur so sichern wir Arbeitsplätze bei Herstellern und Zulieferern, stärken den Industriestandort Deutschland und machen den Umstieg auf E-Mobilität attraktiv.“
Jorrit Bosch, Linke-Sprecher für Straßenverkehr und Verkehrsinfrastruktur nannte die sinkenden Absatzzahlen der großen Automobilhersteller „erschreckend“. „Gerne wird jetzt die Schuld beim Verbrenner-Aus gesucht. Doch wer mitten im Transformationsprozess in den Rückwärtsgang schalten will, wird die Krise weiter verschärfen“, sagte Bosch WELT. Der Linke-Politiker warf den Konzernspitzen in der deutschen Automobil-Industrie vor, die Transformation „verschlafen“ zu haben. „Verlierer sind die 100.000 Beschäftigten bei den Herstellern und Zulieferern, die ihren Job in diesem Jahr verloren haben.“ Es wäre Aufgabe der Bundesregierung, mit gezielten Zukunftsinvestitionen für Beschäftigungsgarantien in der kriselnden Branche zu sorgen und den Rahmen, wie verbraucherfreundliche E-Ladesäulen oder ein Social Leasing, auszubauen. Nur so könne das Vertrauen von Beschäftigten und Kunden wiederhergestellt werden.
Claudia Kade ist Politik-Chefin bei WELT.
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