Der bayerische Landesverband der AfD hat einen ehemaligen Neonazi als Rechtsanwalt beauftragt. Ausgerechnet für eine Klage gegen die Aufnahme der AfD in das „Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen“ bevollmächtigte die Landespartei einen früheren Funktionär der NPD und NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Dies zeigt eine Recherche von WELT.
Die bayerische Staatsregierung hatte Ende Juni beschlossen, die AfD in das genannte Verzeichnis aufzunehmen. Bewerber für den öffentlichen Dienst müssen in Bayern daher künftig eine Mitgliedschaft in der Rechtsaußen-Partei offenlegen. Eine Aufnahme in den Staatsdienst wird im Einzelfall geprüft. Dagegen klagt die AfD vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München. In einem Eilverfahren hat das Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Anfang September in einem WELT vorliegenden Beschluss abgelehnt. Die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.
Der heutige Anwalt Frederick S. war im Jahr 1998 in die NPD eingetreten und wurde dann 1999 zum Vize-Landesvorsitzenden der JN Bayern, als Beisitzer in den bayerischen Landesvorstand der NPD sowie als Kreischef der NPD Neuburg/Schrobenhausen gewählt. 2000 wurde er JN-Landeschef und blieb dies bis Mitte 2001. Im Jahr 2000 kandidierte er erfolgreich als Beisitzer im JN-Bundesvorstand sowie als Vorsitzender des NPD-Bezirksverbands Oberbayern. In den Jahren 2000 und 2001 gehörte S. außerdem bereits kurz nach der Gründung dem Sprecherrat der „Revolutionären Plattform – Aufbruch 2000“ (RPF) an, einer Vertretung von neonazistischen Kameradschaften innerhalb der NPD.
Im schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2001 wird die RPF als „innerparteiliche Opposition mit nationalsozialistisch-revolutionärem Selbstverständnis“ bezeichnet. In der Gruppierung habe „neo-nationalsozialistische Basisarbeit“ stattgefunden, hieß es bereits im Bericht für das Jahr zuvor. Diese habe „neben einer ‚härteren Gangart‘ vor allem die verstärkte Einbindung parteiexterner Kräfte“ propagiert, geht es aus dem sachsen-anhaltischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2000 hervor. Die RPF bezeichnete die NPD-Parteiführung etwa als „feige“, „kopfscheu“ und „wankelmütig“.
Gegenüber WELT wollte sich S. nicht von seiner Vergangenheit und seinen jahrelangen Aktivitäten in neonazistischen Strukturen distanzieren. „Tut mir leid, kein Kommentar“, sagte er am Telefon. Da der heutige Anwalt zu seiner aktiven Zeit in der Szene zwischen 17 und 21 Jahre alt war und bereits seit 24 Jahren keine entsprechenden Aktivitäten mehr bekannt sind, nennt WELT den Nachnamen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte dennoch nicht.
Frederick S. wird mehrmals namentlich im Antrag der Bundesregierung für ein Verbot der NPD genannt, den das Bundeskabinett im November 2000 beschlossen hatte. Demnach äußerte S. im August 1999, Ziel der Politik müsse sein, eine „Kopie des Dritten Reiches in Wort und Bild“ zu erreichen. Drei Monate zuvor hatte S. laut Antragsschrift bei einer gemeinsamen Veranstaltung der NPD und des „Nationalen Widerstandes Nordschwaben“ referiert. Zur damals bevorstehenden Europawahl gab S. demnach die folgende Devise vor: „Jeder, der uns wählt, ist ein Stachel im Fleische des Systems, mehrere Stacheln ergeben einen Speer, der den Todesstoß gegen das System führt.“ S. sprach damals auch von einer „Auferstehung des Reiches“.
Im Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz für das Jahr 2000 heißt es mit Bezug auf ein Rundschreiben des JN-Landeschefs S., die JN verstehe sich als „junge Mannschaft des neuen Reiches“. „Höchstes Ziel unseres Strebens“ sei die „Volksgemeinschaft“, die es in den eigenen Reihen an jedem Tag vorzuleben gelte. Man wolle der Mutterpartei „weltanschaulich geschulten und charakterlich gefestigten Führungsnachwuchs“ liefern, um die NPD zum politischen „Willensträger der deutschen Nation“ zu erheben.
S. vertrete nach dem Motto „Kampf – Aktion – Widerstand“ einen „aktionistischen Kurs“, heißt es im bayerischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2000. Der Anteil an Neonazis und Skinheads unter den JN-Mitgliedern liege bei „annähernd 40 Prozent“. „Möge uns dieses Kampfjahr im nationalistischen Befreiungskampf weiter voranbringen“, schrieb S. Anfang 2000 im Mitteilungsblatt der JN Bayern. „Mitten im Sturm Nationalismus voran! Heil Euch!“
Immer wieder bei Neonazi-Demos aufgetreten
Der nun von der Bayern-AfD beauftragte Rechtsanwalt war in den Jahren 1999 und 2000 bei zahlreichen Neonazi-Aufmärschen als Redner aufgetreten. Im März und Mai 1999 war er Redner bei der Kameradschaft Marxheim. Im Juli 1999 verantwortete er eine Demonstration unter dem Motto „Junge Nationaldemokraten – Jugend für Deutschland“ in Ingolstadt.
Im Januar 2000 sprach er bei einer Versammlung der JN in Neuburg an der Donau zum Thema „Deutschland in Not – Widerstand jetzt“, im Februar bei einer NPD-Demonstration in Gera zum Thema „Kein Asylantenheim im Stadtzentrum“. Auf Transparenten hieß es damals etwa „Arbeitsplätze nur für Deutsche“ und „Das System ist der Fehler“. Im Zusammenhang mit dem Aufmarsch nennt der Thüringer Verfassungsschutz S. im Bericht für das Jahr 2000 in Bezug auf die rechtsextreme Szene einen „überregional bekannten Aktivisten“. S. habe es verstanden, „mit seinen demagogischen Appellen die Zuhörerschaft mitzureißen“. S. schloss seine Rede demnach mit „Heil Deutschland“.
Im März 2000 sprach S. beim politischen Aschermittwoch der NPD im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn, im April bei einer NPD-Demonstration unter dem Motto „Aufstehen! Stoppt die Repressionen gegen den nationalen Widerstand“ im thüringischen Pößneck. Im selben Monat war S. Redner bei einem Aufmarsch der NPD in Berlin, die am Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an NS-Deutschland unter dem Motto „Nationale Solidarität mit Wien – Wir sind ein Volk“ stattfand.
Im Mai 2000 trat S. bei einem Fackelmarsch der NPD und JN im niederbayerischen Kelheim zu Ehren der im Zweiten Weltkrieg getöteten deutschen Soldaten auf. Im September war er schließlich einer der Redner der NPD-Kundgebung „Argumente statt Verbote“ in München. Charlotte Knobloch, damalige Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, verurteilte den Aufmarsch als „Schlag ins Gesicht der Demokratie“.
An weiteren NPD-Demonstrationen war S. als Teilnehmer dabei, etwa im Dezember 1998 in Berlin („Gegen Euro und Großkapital“). Als Mitte 2001 bekannt wurde, dass S. Mitglied der Prager Burschenschaft Teutonia zu Würzburg ist, behauptete die Burschenschaft gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, S. sei „gerade aus der NPD ausgetreten“. Die Verbindung ist Mitglied im Rechtsaußen-Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) sowie der völkischen Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG). In der NPD hatte es zuvor Ausschlussverfahren gegen Mitglieder der „Revolutionären Plattform“ gegeben.
WELT fragte S., inwiefern die AfD Bayern von seinen öffentlich bekannten Aktivitäten im organisierten Rechtsextremismus wusste. „Dazu gebe ich keine Auskunft“, sagte er.
Der bayerische AfD-Landesvorsitzende Stephan Protschka sagte WELT: „Wir haben den Rechtsanwalt zur Abwehr des politisch gegen die Volkspartei AfD immer übergriffigeren Innenministeriums des Freistaats mandatiert und nicht für ein politisches Amt im Namen der AfD.“ Für die AfD zähle in der Beurteilung von Fachleuten allein fachliche Expertise und nicht eine „politische Gesinnung aus der Frühzeit der wiedervereinigten Bundesrepublik“. Protschka sagte weiter: „Jegliches nationalsozialistisches Gedankengut lehnen wir bekanntermaßen aus tiefster Überzeugung ab.“
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Am 15. September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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