In einem der größten Ballungsräume der Öl- und Chemieindustrie in der westlichen Welt hat Trumps Anti-Umweltpolitik einen morbiden Beigeschmack. Einwohner sterben an Krebs, Hinterbliebene machen Emissionen verantwortlich; die Industrie sagt: ein Mythos.

Am Horizont stehen die Schlote, in der Nähe zischen Autos auf der Schnellstraße vorbei. Ihn beschäftigt der Tod. Robert Taylor nimmt seine Hand von der Grabplatte seiner verstorbenen Frau, geht ein paar Schritte und blickt aus dem Schatten seiner getönten Brillengläser in die Ferne. "Ich verstehe es noch immer nicht wirklich", sagt er leise. "Wo ist sie jetzt?" Ist die Neoprenfabrik, ein paar hundert Meter von seinem Haus am Mississippi entfernt, verantwortlich für ihren Brustkrebs? Für die Herzinsuffizienz, zwei Jahrzehnte voller Krankenhausaufenthalte und schließlich ihren Tod?

"Ich weiß es nicht", meint der schlanke 84-Jährige. "Aber es kann sein." Es wäre nicht überraschend. Seine Mutter ist an Krebs gestorben. Sein Bruder. Der 38-jährige Enkel seiner Schwester hatte ihn. Von seinen vier Kindern hat eine Tochter eine Autoimmunkrankheit, ein Sohn chronisches Nierenversagen. Verantwortlich dafür, sagen er und seine älteste, bislang nicht betroffene Tochter Tish, ist die Chemieindustrie. Und die US-Regierung, weil sie die Grenzwerte nicht durchsetzt.

Ab den 1950er Jahren bauten Unternehmen immer mehr Raffinerien und Chemiefabriken zwischen New Orleans und Louisianas Hauptstadt Baton Rouge. Als Ende der 1980er Jahre im fernen Kalifornien jemand fragte, woher er komme, antwortete Robert Taylor: "Aus Reserve, direkt westlich von New Orleans." Da hörte er zum ersten Mal, wie das restliche Land seine Heimat beschrieb: als "Cancer Alley". Die Krebspassage. Die 1969 eröffnete Anlage nahe Robert Taylors Haus im Landkreis St. John the Baptist ist nur eine von mehr als 200 Fabriken und Raffinerien, die im unteren Delta des Mississippi produzieren. Sie stößt den krebserregenden Schadstoff Chloropren aus.

Es gibt viele Geschichten über den Tod in diesem Teil des Bundesstaats, aber Robert Taylor ist ein Zeitzeuge. Er wuchs hier in Reserve inmitten von Zuckerrohrfeldern auf, gründete seine eigene Familie, sah, wie sich sein Zuhause wandelte. Wie die Öl- und Chemieindustrie es veränderte, die Weißen wegzogen und die Schwarzen blieben, bei denen schwere Krankheiten allgegenwärtig wurden. "Cancer Alley" ist für Aktivisten eine sogenannte Sacrifice Zone; wo die Politik die Umwelt und Bewohner opfert, um die ansässige Industrie nicht zu gefährden. Hunderttausende Menschen wohnen in den USA in solchen Zonen, hat das investigative US-Medium ProPublica im Jahr 2021 festgestellt. Teile von Reserve gehören dazu.

Ein Grab drängt sich ans andere

Louisiana ist einer der drei Bundesstaaten in den USA mit den höchsten Krebserkrankungsraten, und seit fast einem Jahrzehnt spitzt sich der Konflikt um die Ursachen der Erkrankungen zu. Im Jahr 2016, Barack Obama saß im Weißen Haus, teilte die US-Umweltbehörde den Anwohnern nahe der Neoprenfabrik mit, sie seien einem der höchsten Krebsrisiken in den Vereinigten Staaten ausgesetzt. Robert Taylor war geschockt - und gründete eine Bürgerinitiative. Seither trommelt er mit seiner NGO "Concerned Citizens of St. John", kurz CCSJ, gegen die Industrie. Seine Tochter Tish hat wegen seines Alters inzwischen eine Vielzahl der Aufgaben übernommen. Es ist eine von mehreren solchen Initiativen entlang des unteren Mississippi.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden verklagte 2023 den Fabrikbetreiber Denka wegen der Emissionen und deren gesundheitsschädigenden Effekte und wollte eine Absenkung des Ausstoßes erreichen. Donald Trumps Justizministerium hat die Klage wieder fallengelassen. Das ist nur einer der vielen Schritte, mit denen Washington sich davon entfernt, Umweltauflagen juristisch durchzusetzen. Die Bundesstaatsanwaltschaft im Justizministerium geht kaum noch gegen Umweltverschmutzer vor, hat eine ganze Reihe von Klagen fallen gelassen, manche Auflagen wieder abgeschafft und Hilfsgelder für Betroffene eingefroren.

Von Robert Taylors Haus weg führt eine Straße hinter dem Deich entlang, durch ein paar Felder, über Bahnschienen; ein paar Dutzend Meter weiter steht eine Ölraffinerie. Er zeigt hinter das Gleisbett in Richtung Fluss: "Sie haben das Land unserer Familien gekauft, alle Häuser und die Kirche abgerissen", erinnert er sich. Die Raffinerie hat den kleinen Protestantenfriedhof der Schwarzen in einen Metallzaun gezwängt; ein Grab drängt sich ans andere, Steinsärge sind übereinandergestapelt. Hier sind Robert Taylors Eltern und weitere Verwandte begraben. Nach wenigen Minuten fährt ein Pickup des Sicherheitsdienstes vor. Es steigt niemand aus. Dies sei nicht ungewöhnlich, sagt Robert Taylor. "Sie wollen mich einschüchtern."

In den Orten entlang des unteren Mississippi greift der Krebs laut Studien und Anwohnern die Menschen an wie kaum woanders in den USA. Die Emissionen brächten die ansässigen Menschen um und den direkten Anwohnern kaum Jobs, sagen Robert Taylor und andere Aktivisten. Sie möchten die Fabriken in ihrer Nachbarschaft deshalb loswerden. Die Industrievertreter halten dagegen, sagen, ihre Arbeitsplätze ließen die Gemeinden aufblühen. Sie bestreiten ein erhöhtes Krebsrisiko und verweisen auf Vergleichszahlen aus dem restlichen Bundesstaat.

Von der Interstate entlang des Flusses, die meilenlang auf Betonpfählen den Sumpf durchschneidet, sind die Anlagen am Horizont zu sehen, ragen Schornsteine in den Himmel. Über rund 130 Kilometer am Mississippi erstreckt sich eines der größten Öl- und Chemieindustriezentren der Welt; über das Delta der wichtigsten Wasserstraße der USA, die in den Golf von Mexiko mündet, spannen sich Brücken für Hochseeschiffe.

Industrie streitet alles ab

Rund eine Stunde dauert es, um mit dem Auto von Reserve in Louisianas Hauptstadt Baton Rouge zu gelangen. Die meisten Straßen sind schnurgerade gezogen, im Zentrum ragt der graue Turm des Kapitols in den Himmel; wenige Hundert Meter weiter erklärt David Cresson im 20. Stockwerk eines schwarzen Büroturms die Position von Louisianas Chemieindustrieverband LCA. "Cancer Alley ist ein Mythos", sagt der CEO im Namen der 70 organisierten Fabrikbetreiber und 600 Partnerunternehmen. "Die Menschen im Industriekorridor haben sogar bessere Gesundheitswerte als der Rest des Bundesstaats", meint Cresson und rattert eine Reihe an Zahlen herunter. Die Lebenserwartung, Beschäftigungsrate und Löhne seien höher, die Armutsrate niedriger als anderswo.

Laut LCA produziert die Öl- und Chemiewirtschaft ein Viertel des Bruttosozialprodukts von Louisiana, zahlt ein Fünftel der Unternehmenssteuern und beschäftigt 300.000 Menschen auf gehobenem Lohnniveau. "Es herrscht Harmonie zwischen den kleinen Gemeinden und der Industrie", meint Cresson. "Sie ist ihr Herzschlag." Angestellte zögen entlang des Flusses ihre Familien auf, gingen in die Kirche, die Kinder in die Schulen. Der CEO öffnet die Arme und guckt sich um. "Alles in diesem Raum wurde von LCA-Mitgliedern produziert", meint er: "Die Stifte, das Papier, das Auto, in dem ich hier hingefahren bin, die Medizin, die ich nehme." Jeder neue Job in der Chemieproduktion schaffe acht weitere.

Was die Unternehmen gerne sehen von der Politik? "Sie mögen Vorhersehbarkeit, Stabilität ist gut", sagt Cresson. "Komplizierte Genehmigungsprozesse sind ein Hindernis." EPA-Chef Lee Zeldin habe offenbar ein gutes Verhältnis zu jedem in Louisiana, der Gouverneur des Bundesstaats sei mit Präsident Trump auf einer Linie. Cresson betont, die Unternehmen orientierten sich an der Wissenschaft, seien für das Pariser Klimaabkommen und Erneuerbare Energien, um ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Hinter dem CEO hängen Bilder des braunen Pelikans, Louisianas Wappentier, und anderer Vögel. Und die Wälzer in den Regalen? "Ach, die 50 Jahre alten Bücher, die sich nie jemand angeguckt hat", scherzt Cresson. Seine Assistentin fügt hinzu: "Es sind alte Gesetzestexte." Der Industrieverband hat im Juli sogar eine Website online geschaltet, die mit Zahlen den "Mythos" entlarven soll. Ist es einer?

"Luftverschmutzung hält sich nicht an Grenzen"

Antworten hat Kimberly Terrell per Videochat. Wer nahe der Denka-Fabrik wohne, sei eben stärker der Verschmutzung durch Chloropren ausgesetzt, sagt die Wissenschaftlerin. "Die Industrie kann nicht leugnen, dass die chemischen Stoffe krebserregend sind und auch nicht, dass sie diese krebserregenden Stoffe ausstößt, da sie diese selbst melden. Deshalb verwirrt mich dieser Gedankensprung, wenn sie sagt, die Schadstoffe seien unwichtig."

Jahrelang forschte Terrell an der Tulane Universität in Louisiana zu Erkrankungen durch den Schadstoffausstoß in Cancer Alley, hat mehrere Studien dazu veröffentlicht. In einer davon belegte sie, dass höhere Luftverschmutzung in Gemeinden am Fluss und mehr Krebserkrankungen zusammenhängen. In einer anderen, dass die dortigen Mütter tendenziell früher ihre Babys bekommen, die ohnehin im Schnitt weniger Gewicht auf die Waage bringen.

Für die Bewohner von Robert Taylors Haus und dessen Nachbarn geht Terrell von einem zehnmal so hohen Krebsrisiko im Vergleich mit dem Rest der USA aus. Bis vor ein paar Jahren lag es sogar 50-mal höher; dann investierte Denka und erreichte eigenen Angaben zufolge eine 80-prozentige Reduzierung seines Chloropren-Ausstoßes. "Für all meine Forschung habe ich von der Industrie gemeldete Daten über ihren Schadstoffausstoß verwendet, wir könnten die Belastung also sogar unterschätzen", meint Terrell. Die Industrie messe nicht, wer wo genau welchen Emissionen ausgesetzt sei, erklärt sie, sondern vergleiche bei ihrer Gegendarstellung nur die Krebserkrankungen entlang politischer Linien der Gemeinden und innerhalb Louisianas. So würden Daten verwässert und die Realität verzerrt.

Mit ihren Schlussfolgerungen über das Verhältnis von Armut, Arbeitsplätzen, ethnischer Zugehörigkeit, Umweltverschmutzung und Erkrankungen hat Terrell in einem politischen Wespennest herumgestochert. Vor wenigen Monaten belegte sie, dass überproportional viele weiße Arbeitnehmer in der Chemieindustrie eingestellt werden, nicht Schwarze, die zugleich mehr von Emissionen betroffen sind. Unternehmen drohten, der privaten Hochschule die finanzielle Unterstützung zu entziehen, Politiker auf Bundesstaatsebene wollten keine Gelder mehr bewilligen, Louisianas republikanischer Gouverneur machte Druck auf die Universitätsleitung. Tulane habe sie innerhalb weniger Wochen kaltgestellt, erklärt Terrell. Sie verließ die Universität. Inzwischen forscht sie bei einer NGO weiter, die auch Betroffene unterstützt.

"Es reicht uns!"

An einem Donnerstagabend im August ist der Parkplatz der Bibliothek in Reserve voller Autos. Im Sitzungssaal im ersten Stock wirft Tish Taylor eine Power-Point-Präsentation an die Wand; ihr Vater ist da, Aktivisten aus anderen Landkreisen von Cancer Alley und Dutzende Anwohner sind gekommen; der Sheriff, sogar die Bürgermeisterin. Es soll um Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln bei einem Hurrikan gehen, schließlich steht die Sturmsaison vor der Tür. Doch Tish, im roten Poloshirt von CCSJ, spricht lange über den großen Konflikt im Landkreis; Bürger gegen die Chemieindustrie.

"Das hier ist Cancer Alley, deshalb sterben hier so viele Menschen", meint sie nach einigen Minuten aufgebracht, als seien auch dafür Verantwortliche im Raum: "Bringt keinen eurer Freunde hierher, es reicht uns!" Die Zuhörer applaudieren engagiert. Dann weist Tish auf die nächste Gefahr hin, die ihr Vater und sie bannen wollen. Die LCA hat zuletzt viel Zeit damit verbracht, bei Politikern in Baton Rouge für die Genehmigung der industriellen Abscheidung von CO2 zu werben - Carbon Capture and Storage (CCS) -, sie würden es durch Pipelines leiten und unter der Erde lagern. Tish ruft eine Karte des Landkreises St. John auf und zeigt die Fläche zwischen mehreren Linien: "Das hier ist die Risikozone", warnt sie vor den Gefahren eines möglichen Zwischenfalls: "die Todeszone".

Nach der Veranstaltung tauschen sich Aktivisten bei gezuckerten Karotten, Makkaroni mit Käse sowie Softdrinks über ihren Widerstand aus. Die Denka-Fabrik hat trotz fallengelassener Klage angekündigt, wegen zu strenger Umweltauflagen ihren Betrieb einzustellen. Die Taylors gehen davon aus, dass sie mit neuem Besitzer weitermachen wird - so wie es schon früher passierte. Sharon Lavigne, die mit ihrer Organisation Rise St. James und erfolgreichem Widerstand gegen eine neue Plastikfabrik bekannt wurde, erzählt, dass Ex-Vizepräsident Al Gore in ihren Landkreis komme, um seine Unterstützung zu zeigen. Tish berichtet, dass in Reserve schon seit einiger Zeit neue, industrieunabhängige Messungen der Luftverschmutzung durchgeführt werden. Ein grundlegender Schritt, da die Aktivisten bessere Daten brauchen, um etwas vor Gericht erreichen zu können. "Das allein können wir feiern", meint sie, steigt in ihr wettergebleichtes Auto und fährt auf der Straße am Mississippi davon.

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