Mitte 2015 war die AfD so gut wie verschwunden, dann kam der Flüchtlingssommer und sie fand rasch ihr neues Kernthema. Fast parallel zur Zahl der Schutzsuchenden gingen die Umfragewerte für die Rechtsaußenpartei nach oben. Trotz eigener Radikalisierung wächst sie auch heute - und macht nun gar der Union den Rang als stärkste politische Kraft streitig. Wie konnte das passieren?
Wie stand es im Sommer 2015 um die AfD?
Bei drei bis fünf Prozent dümpelte die AfD im Hochsommer 2015 herum. Intern herrschte Streit: Parteichef Bernd Lucke scheiterte beim Parteitag in Essen an seiner Wiederwahl, Frauke Petry leitete die AfD fortan gemeinsam mit Jörg Meuthen. Damals sahen viele in dem neuen Spitzenduo einen Rechtsruck, heute würde es wohl als relativ gemäßigt gelten.
Thematisch konnte die AfD kaum punkten: Ihr einstiges Hauptthema - die Finanz- und Eurokrise - schien vorbei und polarisierte die Gesellschaft ohnehin nicht besonders. Mit den Flüchtlingen war das anders. Zwar gab es in der Gesellschaft eine starke Willkommenskultur - aber auch Skepsis an Kanzlerin Angela Merkels Losung "Wir schaffen das". Die Umfragewerte der AfD schossen rasch nach oben, schon im Sommer 2016 lagen sie bei 11 bis 13 Prozent.
Warum hat die Flüchtlingsbewegung der AfD so sehr genutzt?
Die AfD hat sich - abgesehen von der CSU - als einzige größere Partei in Deutschland direkt sehr migrationskritisch aufgestellt und fast alle ihrer politischen Positionen daraus abgeleitet. Damit traf sie offenbar einen Nerv. "Die Flüchtlingsbewegung war eine ungewöhnliche Situation. Der AfD ist es gelungen, das als Krise zu framen", sagt Politologin Paula Diehl von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Dieses "Framing" sei klassisches Mittel von Populisten: "Herausforderungen im öffentlichen Diskurs als bedrohliche Krise zu präsentieren", sagt Diehl. Parteivize Alexander Gauland bezeichnete die Flüchtlingsbewegung Ende 2015 als "Geschenk für uns": "Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise." Politologin Diehl nennt eine Krisensituation "die beste Chance für Populisten - insofern hatte Gauland aus seiner Perspektive recht".
2015 gab es Diehls Analyse zufolge aber schon "mehrere Probleme, die als Krise hätten dargestellt werden können und einen Nährboden für Populismus bieten: die Wirtschaftskrise, ein zunehmendes soziales Gefälle und ein starkes Gefühl, nicht gehört und repräsentiert zu werden." Populisten profitierten von Krisen, verstärkten sie aber auch durch ihre Diskurse, sagt sie. "An diesen Krisen knüpfte die AfD an, inszeniert sie aber als Flüchtlingskrise."
Hat also Merkels Flüchtlingspolitik die AfD groß gemacht?
Merkel selbst bestreitet das. Am Ende ihrer Amtszeit 2021 lag die AfD bei elf Prozent - "dass sie jetzt bei 20 Prozent liegt, ist jetzt nicht mehr meine Verantwortung", sagte Merkel im Februar. Aus den 20 Prozent sind inzwischen 24 bis 25 geworden.
In der ARD wies Merkel in dieser Woche darauf hin, dass die AfD nicht aus der Flüchtlingskrise, sondern aus der Euro-Krise entstanden ist. Sie sah aber Parallelen zur Migrationspolitik: "Damals habe ich gemerkt, wenn ich mich für den Euro entscheide, gibt es Menschen, die wollen das nicht, und genauso war das mit der Flüchtlingsfrage", sagte Merkel. Ihre Politik habe allerdings auch "Menschen dazu gebracht, die AfD zu wählen", räumte sie ein.
Für die Politologin Diehl war allerdings auch der offene Migrationsstreit innerhalb der Union Futter für die AfD. Der damalige CSU-Chef Horst Seehofer, der Merkel immer wieder für ihre Politik kritisierte, nannte die Migration im Jahr 2018 die "Mutter aller politischen Probleme". "Das hilft natürlich der Akzeptanz der AfD-Position", sagt Diehl.
Wie hat die AfD seit 2015 das politische System verändert?
Erstmals ist seit 2015 eine große Partei rechts der Union entstanden. Alle Vorgänger Merkels an der Parteispitze konnten das verhindern. Der Verfassungsschutz stufte die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein, legte die Entscheidung aber nach einer Klage der AfD vorübergehend auf Eis.
Politologin Diehl sieht durch den Aufstieg der AfD auch eine Radikalisierung des politischen Diskurses. Thesen, die einst unsagbar waren, würden akzeptiert, Rechtspopulisten würden zum Mainstream.
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