Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 hat es keine so tiefgreifende Veränderung mehr gegeben: CDU und SPD wollen den Wehrdienst reformieren. Das neue Modell setzt zwar auf Freiwilligkeit. Doch wenn die Bundeswehr nicht ausreichend aufgestockt werden kann, ist auch Zwang möglich.

Die Bundesregierung hat angesichts der russischen Bedrohung das umstrittene Wehrdienstgesetz beschlossen und will notfalls Rekruten auch zwangsweise einziehen. Das Gesetz setzt zwar zunächst auf Freiwilligkeit, bei Mangel an Soldaten kann aber auch eine Pflicht greifen, wie das beschlossene Vorhaben vorsieht.

Die Verteidigungsfähigkeit müsse Deutschland nachhaltig verbessern, um glaubhaft abzuschrecken, heißt es im Entwurf. Dafür ist ein neuer Beschluss der Regierung und auch des Bundestages erforderlich. Vor allem dieser Punkt sorgt für Streit in der Koalition. Zwar zog Außenminister Johann Wadephul am Montag sein Veto gegen den Gesetzentwurf zurück. Die Union hält die Hürden für eine Pflicht aber für zu hoch und warnt vor Soldaten-Mangel. In der SPD gehen die bisherigen Regeln nicht nur den Jusos schon zu weit. Die Freiwilligkeit müsse klar im Vordergrund stehen.

Bis 2029 sollen mit dem Dienst, der mindestens sechs Monate dauern muss, vor allem rund 100.000 ausgebildete Reservisten gewonnen werden. Damit könnte die jetzige Zahl verdoppelt werden. Darüber hinaus will die Bundeswehr in Absprache mit der Nato die aktiven Streitkräfte von jetzt gut 180.000 auf 260.000 ausbauen. Ziel ist es so, die Bundeswehr auf insgesamt 460.000 Soldaten anwachsen zu lassen. Unter Experten gilt dies als sehr ambitioniert.

Der Gesetzentwurf markiert aber die bedeutendste Wende in der deutschen Wehr- und Sicherheitspolitik seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Als erster Schritt sollen alle wehrpflichtigen Männer, beginnend mit dem Jahrgang 2008, wieder erfasst und zu einer verpflichtenden Online-Befragung über ihre Bereitschaft und Fähigkeiten für den Dienst an der Waffe aufgefordert werden. Ab dem 1. Juli 2027 soll für diesen Personenkreis auch die Musterung, also die ärztliche Untersuchung auf Wehrdiensttauglichkeit, wieder zur Pflicht werden.

Spannungsfall für Anordnung von Wehrdienstpflicht nicht nötig

Der entscheidende Punkt des Gesetzes ist jedoch eine neue Ermächtigung für die Bundesregierung: Mit Zustimmung des Bundestages könnte sie künftig auch außerhalb eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls per Rechtsverordnung einen verpflichtenden Grundwehrdienst anordnen. Dieser soll eine Dauer von sechs bis zwölf Monaten haben. Ein solcher Schritt wäre möglich, wenn die "verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist".

Verteidigungsminister Boris Pistorius räumte im Deutschlandfunk ein, dass es vermutlich noch Änderungen im Bundestag gebe: "Kein Gesetz verlässt den Bundestag in der Regel so, wie es hineingegangen ist", sagte er. Mit Blick auf das zwischenzeitliche Veto von Außenminister Wadephul kritisierte er aber die Union: "Ich habe nur kein Verständnis dafür, dass man aus dem Parlament heraus einen Gesetzentwurf in der Regierung schon vorher versucht aufzuhalten über ein Ministerium."

Kritik von den Grünen

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hält den Kabinettsbeschluss für ambitions- und ideenlos. "Der Kabinettsbeschluss zum Wehrdienst kann nicht verdecken, dass Union und SPD bei der Frage von Pflichtdienst oder Freiwilligkeit uneinig sind", sagte Haßelmann. Dabei habe die Bundeswehr ihr Potenzial als attraktiver Arbeitgeber bei der freiwilligen Personalgewinnung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. "Dass die Koalition hier nichts vorlegt, ist ein Ausdruck ihrer eigenen Ambitions- und Ideenlosigkeit", sagte Haßelmann.

Die Bundeswehr müsse ein besserer Arbeitgeber werden. Die Grünen hielten "Zwang und Verpflichtung grundsätzlich nicht für den richtigen Weg, dieses Ziel zu erreichen", sagte Haßelmann. Zudem müssten ihrer Ansicht nach auch in anderen Bereichen neben dem Wehrdienst, etwa beim Freiwilligendienst oder im Bevölkerungs- und Zivilschutz, die Bemühungen verstärkt werden.

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