Es ist ein eher stereotypes Bild, das gemeinhin von Computerspielern gezeichnet wird. Eins von schlecht gewaschenen, redefaulen Nerds, die den ganzen Tag in ihrem zu klein gewordenen Kinderzimmer vor dem Rechner daddeln und sich unbeeindruckt vom Lauf der Welt und dem realen Leben in ihrer ganz eigenen Blase bewegen.
Wie falsch dieses Bild ist, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Anlässlich der am Mittwoch startenden Spiele-Messe Gamescom in Köln hat die Stiftung 6435 Internetnutzer ab 16 Jahren zu ihrem Spielverhalten im Internet und ihren Einstellungen zu Demokratie, Politik und Medien befragen lassen.
67 Prozent der Befragten aus allen Bildungsschichten – in der Altersgruppe der 16- bis 34-Jährigen sind es sogar 86 Prozent – gaben an, im Alltag digitale Spiele zu spielen, manche gelegentlich oder nur auf dem Handy, andere häufig bis täglich. Die Spanne reicht dabei von vor allem bei Frauen und Älteren beliebten Handy-Games wie „Candy Crush“ über Denkspiele wie „Solitaire“ bis hin zu Rollenspielen mit Online-Community.
Als „Gamer“ oder „Gaming-Enthusiasten“, die mehrfach in der Woche am Computer oder an der Konsole spielen, bezeichneten sich 15 Prozent der Befragten beziehungsweise 23 Prozent aller Spieler, in der Stichprobe waren das 1203 Menschen. 55 Prozent von ihnen sind in der Altersgruppe 16 bis 34 Jahre zu finden, 75 Prozent sind männlich. Das durchaus überraschende Ergebnis: Die „Gaming-Enthusiasten“ sind nicht nur überdurchschnittlich jung und gut gebildet, sondern haben auch ein hohes Interesse an Politik und ein deutlich größeres Vertrauen in die Funktionsfähigkeit demokratischer Prozesse als die restlichen Befragten.
Auf die Frage, ob sich der Zustand der Demokratie hierzulande in den letzten Jahren eher verbessert oder verschlechtert hat, attestierten 65 Prozent aller Befragten der Demokratie hierzulande eine Verschlechterung. Nicht so die Gruppe der Gaming-Enthusiasten. Hier geben deutlich weniger – 46 Prozent – an, eine Verschlechterung wahrzunehmen; 34 Prozent betrachten die Demokratieentwicklung sogar positiv und 19 Prozent gleichbleibend. 65 Prozent sagen, das politische System in Deutschland funktioniere „alles in allem gut“.
„Das illustriert Bemerkenswertes“, heißt es in der Studie. Offenbar blicke diese eher junge, digital affine und in Gaming-Kulturen involvierte Gruppe „deutlich positiver auf die allgemeine Entwicklung hierzulande und den Zustand der Demokratie, als es der Durchschnitt der Bevölkerung und alle anderen Subgruppen tun“.
Und nicht nur das: Über die Vernetzung in Gaming-Communitys auf Plattformen wie Twitch, TikTok, YouTube oder Discord finde neben dem Gespräch über das gemeinsame Hobby auch viel Austausch über politische und gesellschaftspolitische Themen statt. Jeder Zweite gab bei der Umfrage an, mit anderen Spielern über politische Themen zu diskutieren. „Gaming-Communitys sind alles andere als unpolitisch. Für viele junge Menschen sind sie wichtige Kanäle der politischen Meinungsbildung und helfen beim Erlernen demokratischer Spielregeln“, sagt Studienautor Joachim Rother, Experte der Bertelsmann-Stiftung für Gaming und Demokratie. „Bislang werden sie von Politik und Öffentlichkeit aber zu wenig ernst genommen oder übersehen.“
Dabei habe die Umfrage gezeigt, dass gerade Vielspieler, die sich selbst als „Gamer“ bezeichnen, sich häufiger in demokratische Prozesse einbringen als der Durchschnitt. 44 Prozent haben demnach im vergangenen Jahr an einer Unterschriftenaktion oder anderen Maßnahmen zur Bürgerbeteiligung teilgenommen. In der Gesamtbevölkerung waren es 39 Prozent.
Noch größer fällt der Abstand bei politischen Kommentaren in Social-Media-Kanälen (43 Prozent zu 25 Prozent) und bei der Teilnahme an Demonstrationen (27 Prozent zu 14 Prozent) aus. „Diese jungen Leute vertrauen auf die Demokratie und vertreten ihre eigene Meinung selbstbewusst. Es ist an der Zeit, das demokratische Potenzial der Gaming-Communitys zu nutzen“, schlussfolgert Rother.
Frauen- und Judenfeindlichkeit unter männlichen Gamern
Er will allerdings auch vor den problematischen Entwicklungen die Augen nicht verschließen. Denn gerade unter den überwiegend männlichen „Gaming-Enthusiasten“ sind auch sexistische und queerfeindliche Einstellungen deutlich häufiger verbreitet sind als im Durchschnitt aller Befragten. Grund dafür könne sein, dass Gamer überdurchschnittlich viel Zeit in interaktiven Online-Räumen verbringen, die zum Teil von hoher Kommunikationsdichte, schwacher sozialer Regulierung und teils problematischen Diskurskulturen geprägt seien. „Dort entstehen Community-Strukturen, die sowohl integrativ als auch exkludierend wirken können – je nachdem, welche Akteur:innen, Narrative und kulturellen Codes prägend sind“, heißt es dazu in der Studie.
Auch antisemitische Haltungen sind demnach unter den intensiven Gamern verbreitet. So stimmten 43 Prozent von ihnen dem Satz „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss“ zu – im Durchschnitt sagen dies 25 Prozent der Befragten. Hier mahnte Rother allerdings vor vorschnellen Schlussfolgerungen. In der Tat hätten antisemitische Äußerungen stark zugenommen. „Wir sehen diese Entwicklung aber eher in der Korrelation zu Alter und Geschlecht als im Kontext des Gamings.“
Insgesamt bewegen sich stark spielaffine Menschen noch deutlich intensiver auf Social-Media-Plattformen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das betrifft grundsätzlich gängige Plattformen wie YouTube, TikTok oder Instagram, vor allem aber Gaming-Plattformen wie Steam, Discord oder Twitch, die vielen Nichtspielern gar nicht geläufig sein dürften. Die Informationsbeschaffung über sogenannte Content Creators und Influencer gehört für die hochgradig digital Affinen mit zum Medienmix.
Mit einer interessanten Folge: Während das Vertrauen in „die Medien“ in der Gesamtbevölkerung von Skepsis geprägt ist – nur 45 Prozent vertrauen ihnen –, sind die Gamer zuversichtlicher. 56 Prozent von ihnen geben an, dass man der politischen Berichterstattung in den Medien grundsätzlich glauben kann. Gleichzeitig aber stimmen 53 Prozent von ihnen der Aussage zu, die Bevölkerung in Deutschland werde von den Medien „systematisch belogen“ (Durchschnitt: 45 Prozent).
Für Studienautor Rother ist das nicht unbedingt ein Widerspruch – eher ein Zeichen von Ambivalenz. „Wir beobachten hier einen sehr kritisch-reflektierten Blick auf die Medien in all ihrer Pluralität“, sagt Rother. „Die jungen Leute sind sich sehr bewusst darüber, was online alles passiert, welchem Influencer sie vertrauen und welche Missbrauchsoptionen es gibt.“ Die alternativen Informationsbeschaffungsmöglichkeiten würden von daher „mit allen Chancen und Risiken“ gesehen.
Aber auch ein Überraschungsergebnis gab es für Rother. Die Tatsache nämlich, dass bei aller Zockerei auch das analog Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt. So habe mehr als jeder Zweite in der Altersgruppe von 16 bis 34 Jahren angegeben, über eine Gaming-Community schon einmal eine Freundschaft geschlossen zu haben.
„Das hat mich dann schon überrascht“, gibt der Experte zu. Zumal die Freundschaft nicht im Digitalen verharre. „Die treffen sich dann offline auf ein Bierchen. Das zeigt, welch ein verbindendes Medium Spiele sein können.“
Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.
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