An einem intensiven Gipfelmontag wird das Weiße Haus zum diplomatischen Nexus Europas. US-Präsident Trump will es anscheinend wissen: Kann er Kremlchef Putin ohne Strafmaßnahmen dazu bringen, den Angriffskrieg in der Ukraine zu beenden?

Viermal in den ersten zehn Sekunden, insgesamt zwölfmal. So häufig bedankt sich Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Gastgeber Donald Trump vor den Kameras für dessen Anstrengungen. Damit beginnt der Marathontag im Weißen Haus, der die Basis legen soll für den Frieden in der Ukraine und damit auch in Europa. "Langfristig" soll dieser angelegt sein, betont der US-Präsident im Oval Office. Selenskyj neben ihm möchte wohl tausendprozentig sichergehen, dass der Eklat aus dem Februar sich nicht wiederholt. Er hat sich sogar von seiner Kleidung in Militärgrün verabschiedet - und trägt nun ein schwarzes Hemd unter schwarzer Jacke.

Es sind entscheidende Tage der internationalen Diplomatie - Trump will offenbar wirklich wissen, ob der Krieg nicht doch diplomatisch und ohne weitere Zölle oder Strafmaßnahmen gegen Moskau möglich ist. Trotz anderslautender, vorheriger Drohungen an Russlands Präsident Wladimir Putin. Erst traf Trump sich am Freitag zum Gipfel auf Augenhöhe mit dem Kremlchef in Alaska, am Montag ist er mit Selenskyj und europäischen Staatenlenkern in Washington zusammengekommen. Die US-Hauptstadt als diplomatischer Nexus Europas.

Dort diskutierten die Beteiligten über zwei Schlüsselfragen, die über die Friedensinitiative entscheiden. Erstens, wie genau werden die Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine aussehen? Zweitens, zu welchen Zugeständnissen sind Selenskyj auf der einen und Putin auf der anderen Seite bereit? Der pocht bislang auf den Einflussanspruch Moskaus über Osteuropa, will unter anderem einen zukünftigen Nato-Beitritt Kiews verhindern. Das transatlantische Verteidigungsbündnis wird sich das kaum von Moskau vorschreiben lassen. Der Kremlchef fordert für Frieden auch Gebietsabtretungen der Ukraine, Selenskyj hat das bislang abgelehnt.

Darüber könnten sie womöglich bald selbst verhandeln: Im Laufe dieses großen Gipfelmontags in Washington wird Trump mit Putin telefonieren und versuchen, ein Zweiertreffen der Kriegsgegner innerhalb der kommenden zwei Wochen in die Wege zu leiten. Selenskyj erklärt sich bereits ohne Bedingungen dazu bereit. Vom Kreml gibt es keine öffentliche Zusage. Falls es stattfindet, soll ein trilaterales Treffen mit Trump folgen. Am Ende des Prozesses könnte eine realpolitische Lösung stehen: Eine, welche den Angriffskrieg Russlands einfriert, alle Beteiligten ihr Gesicht wahren lässt und zudem Russlands imperiale Ambitionen in Europa eindämmt.

Trump ganz der Gastgeber

Dafür ist Selenskyj im Weißen Haus, zudem sind Nato-Generalsekretär Mark Rutte, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sowie fünf europäische Staats- und Regierungschefs da: Bundeskanzler Friedrich Merz, Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premier Keir Starmer und Finnlands Präsident Alex Stubb. Sie haben sich in den vergangenen Tagen äußerst eng abgestimmt, damit niemand auseinanderdividiert werden kann und am Ende über Kiews Kopf entschieden wird.

Zunächst hat sich Selenskyj mit den anderen Europäern zur Besprechung in der ukrainischen Botschaft in Washington getroffen, nun ist er bei Trump. Der lässt sich keine Details zu Sicherheitsgarantien Washingtons für Kiew entlocken, sagt jedoch: "Europa ist die erste Verteidigungslinie, wir werden ihnen helfen." Es würde also eine zwischen USA und Europa koordinierte Abschreckung für Russland sein. Eine Frage nach möglichen US-Truppen in der Ukraine beantwortet Trump ausweichend: "Vielleicht wissen wir das später." Als jemand von Selenskyj wissen möchte, was Kiew für seine Sicherheit bräuchte, sagt der: alles. Also eine starke ukrainische Armee, Waffen, Luftabwehr und Geheimdienstinformationen.

Die Fragerunde verläuft wesentlich verbindlicher als vor einem halben Jahr. Selenskyj weicht möglichen Fallstricken aus und vermeidet tunlichst jeglichen Anflug von Kritik - Vizepräsident JD Vance, im Februar noch derjenige, der verbal zur Attacke gegen den Ukrainer geblasen hatte, sagt kein Wort. Auch wenn Trump betont, dies sei "Bidens Krieg", weiß er jedoch: Will er zügig einen Frieden erreichen, liegt es auch an ihm als Vermittler, der nicht nur Druck auf eine Seite ausübt, sondern sich als Beteiligter an einer Friedenslösung selbst bewegt. Das ist auch in seinem Eigeninteresse. Schließlich sieht er sich schon lange als kommenden Friedensnobelpreisträger.

So gibt er sich auch rund eine Stunde später, nachdem die anderen Europäer hinzugekommen sind. Er ist der gutmütige Gastgeber, der die Beteiligten vorstellt und dabei mit Lob überschüttet. Noch nie in der Geschichte des Weißen Hauses seien so viele Staats- und Regierungschefs gleichzeitig zu Gast gewesen. Trump nennt Merz dabei einen Freund und "starken Anführer". Die acht an der Holztafel im Ostflügel des Weißen Hauses - Dolmetscherkabinen sind ebenfalls aufgebaut -, äußern sich der Reihe nach zu ihren Prioritäten. Und niemand vergisst, Trump zu loben und sich bei ihm zu bedanken.

Mehrmals erwähnen die Europäer die nach Russland entführten ukrainischen Kinder; bekanntermaßen ein Thema, das Trump nicht kaltlässt. Immer wieder sprechen die Europäer die Sicherheitsgarantien an, die der US-Präsident erst neuerdings einräumen möchte. "Das ist ein großer Schritt, der den Unterschied ausmacht!", meint Rutte. Macron betont die Bedeutung für die Sicherheit ganz Europas, und Stubb erklärt seine Anwesenheit - schließlich hätten die Finnen ihre historische Erfahrung mit russischen Angriffskriegen. "Gute Arbeit, Alex!", lobt Trump. Bevor die Runde ihre Diskussionen beginnt, lobt Trump abermals: "Er ist ein sehr gut spielender Golfer!", sagt er über Stubb.

Koalition der Willigen trifft sich

Mehrere Stunden beraten sich die Staatenlenker; erst im Ostflügel, dann im Oval Office. Zwischendurch telefoniert Trump mit Putin, um eine direkte Verhandlung des Kremlchefs mit Selenskyj anzuschieben. Die geeinte Position der Europäer bei den "sehr intensiven Beratungen", wie Merz das Treffen danach beschreiben wird, hat offenbar erreicht, dass die Friedensinitiative einigermaßen geschlossen und strukturiert vorgeht. Als die mehrstündigen Gespräche vorbei sind, schreibt Trump auf Truth Social von einem "sehr guten" Treffen.

Macron äußert sich nach dem Gipfel skeptisch, dass Putin zu echten Verhandlungen bereit sei. "Ich bin nicht davon überzeugt, dass Präsident Putin auch Frieden will", sagt er: "Sein oberstes Ziel ist es, so viel Territorium wie möglich zu gewinnen, um die Ukraine zu schwächen."

Auch Merz tritt vor die Kameras und meint, Verhandlungen könne es nur mit der Ukraine direkt geben und wenn die Waffen schweigen. Kiew dürften auch keine Gebietsabtretungen aufgezwungen werden. Ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj müsse gut vorbereitet sein. Am heutigen Dienstag werde sich eine "Koalition der Willigen" aus 32 Staaten absprechen, welche der Ukraine auch zukünftig helfen wollen. "Das hätte heute auch ganz anders laufen können", zeigt sich Merz ein wenig erleichtert.

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