Die zehnminütigen Morgennachrichten des Staatssenders „Perwyj Kanal“ hatten am Samstag nur ein Thema: die Gespräche zwischen Wladimir Putin und Donald Trump in Anchorage. Worüber die beiden Staatschefs in Alaska konkret gesprochen haben, ist dabei aus Sicht des russischen Fernsehens nachrangig.
Was wirklich zählt, ist die Inszenierung des Spitzentreffens, insbesondere die Aufwartungen des US-Präsidenten gegenüber Putin. Trump habe noch niemanden so empfangen wie Putin in Alaska, der US-Präsident habe „maximale Gastfreundschaft und Respekt“ gezeigt, heißt es in Russland. „Die ganze Welt“ habe angesichts der Aussagen der Präsidenten „den Atem angehalten“, beide Seiten hätten betont, das Gespräch sei „konstruktiv“ und „nützlich“ verlaufen. „Die Präsidenten haben gute Laune“, sagte ein Kommentar, „sie lächeln, und zum Abschied gab es einen warmen Händedruck“.
Positiv fällt auch die offizielle Lesart des Kreml aus: „Die Ergebnisse des Gipfels erlauben weiterhin, unbeirrt den Weg der Lösung des Ukrainekonflikts zu gehen“, wird ein Sprecher zitiert. Wieso bei der Pressekonferenz keine Fragen von Journalisten erlaubt waren? Die beiden Staatschefs hätten „ihre Positionen präzise und erschöpfend“ dargelegt. Der Hinweis von Trump, dass gar kein „Deal“ erzielt wurde, wird einfach übergangen.
Stattdessen wird eine Aussage des US-Präsidenten aus dem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender „Fox News“ zitiert, die Gespräche seien „10 out of 10“, also bestens verlaufen. Zum Schluss wird Putin noch beim Niederlegen von Blumen auf einem sowjetischen Militärfriedhof in Alaska gezeigt. Dort liegen Piloten begraben, die bei der Überführung von US-Flugzeugen für die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg starben.
Zwischen 1941 und 1945 kämpften die USA gegen Nazi-Deutschland und unterstützten vor allem die Briten und die Sowjets mit Waffen-, Material und Lebensmittellieferungen. Die Sowjetunion erhielt insgesamt 17 Millionen Tonnen Fracht, die heute knapp 150 Milliarden Dollar wert wären, musste davon aber nur einen Bruchteil zurückzahlen.
In Putins Russland wurde über dieses als Lend-Lease bekannte Programm der Amerikaner zuvor nur selten gesprochen. Nun scheint es im Sinne der „guten Nachbarschaft“ politisch opportun, das Programm zu erwähnen.
Putin, der Ausgestoßene soll wieder dazugehören
Das Spitzentreffen sollen die russischen Fernsehzuschauer vor allem als eine Bekundung des Respekts seitens der Amerikaner werten, eine Geste der Normalisierung, eine Betonung der Gemeinsamkeiten. Dazu passt: Agenturen und Telegram-Kanäle verbreiteten genüsslich ein vom Kreml veröffentlichtes Video, das eine Eskorte von US-Kampfjets zeigt, die Putins Flugzeug begleiten.
Amerikas B2-Bomber, die Trump zuvor als Machtdemonstration am Himmel über Alaska hatte vorführen lassen, lässt der Staatssender lieber aus. Nichts soll das Bild stören: Putin, im Westen einst ein Ausgestoßener, soll jetzt wieder dazugehören.
Was davon Realität ist und was Wunschdenken, bleibt aber in der Schwebe. Von Trump gab es über die Form des Spitzentreffens hinaus bislang keine Gesten des guten Willens – gleichzeitig aber auch keine neuen Drohungen im Zusammenhang mit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine.
Das Treffen fiel kürzer aus als geplant, das gemeinsame Mittagessen wurde gestrichen, genau wie Konsultationen im erweiterten Format. Auf die hatten die Russen wegen der Projekte zur Wirtschaftszusammenarbeit gehofft, die der Kreml Trump schmackhaft machen will. Was im Vorfeld als einfach umsetzbare Zugeständnisse des US-Präsidenten diskutiert worden war, etwa die gegenseitige Wiedereröffnung von zuvor geschlossenen Konsulaten oder die Wiederaufnahme direkter Flugverbindungen zwischen den Ländern, kam zumindest öffentlich nicht zur Sprache.
Eine Einschätzung der Stimmung jenseits der ersten triumphalen Inszenierung für das russische Publikum liefert ausgerechnet Ex-Präsident Dmitri Medwedjew, der sich nach dem Treffen nicht als Hardliner, sondern als nüchterner Analyst gibt. Auf seinem Telegram-Kanal spricht er vorsichtig von „ersten Ergebnissen“ des Treffens. „Das Weiße Haus“ habe auf „Eskalation des Drucks auf Russland“ verzichtet – „jedenfalls noch“. Der Druck, so sieht es Medwedjew zurecht, ist also noch da.
Die Gespräche, so ungewiss ihr Ergebnis sein mag, waren „ohne Vorbedingungen“ möglich, so der frühere russische Präsident, und ohne Unterbrechung der „Spezial-Militäroperation“, wie Moskau seine völkerrechtswidrige Aggression in der Ukraine nennt.
Das verbucht Russland zu Recht auf der Haben-Seite. Genau wie die Tatsache – so sieht es jedenfalls Medwedjew – dass die Verantwortung für die „Erzielung von künftigen Verhandlungsergebnissen“ auch aus der Sicht von Trump nun in Kiew und in Europa liegt. Doch auch er weiß nicht, welchen Druck der US-Präsident in den nächsten Stunden und Tagen auf die Europäer und Ukrainer ausüben will.
Nach einem Rückzug der Amerikaner sieht es derzeit zumindest nicht aus. Trump habe nach bisherigem Kenntnisstand „keinen Ausverkauf der Ukraine“ und „kein neues München“ bewirkt, wie es der Historiker Sergey Radchenko von der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität formuliert. Nach dem Treffen mit Putin schrieb Trump auf seiner Online-Plattform Truth Social, dass er am kommenden Montag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Washington zusammentreffen werde. Die vom Kreml behauptete russisch-amerikanische Freundschaft könnte also von kurzer Dauer sein.
Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.
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