Donald Trump vorzuwerfen, dass ihm die Prinzipien einer idealistischen Außenpolitik egal sind, ist wenig originell. Für den US-Präsidenten und Dealmaker-in-chief stehen bekanntlich nicht hehre Werte im Mittelpunkt. Für ihn geht es um handfeste Interessen von Nationen – und damit steht er in der guten Tradition der Schule einer realistischen Außenpolitik.
Allerdings entbindet ein solch transaktionales Verständnis von Diplomatie nicht von der Notwendigkeit, strategisch klug auf klar definierte Ziele hinzuarbeiten. Welche Strategie und welches Ziel Trump bei seiner Ukraine-Diplomatie verfolgt, erscheint nach dem Treffen mit Wladimir Putin in Alaska jedoch unklarer denn je.
Zwar ist noch nicht klar, was genau besprochen oder womöglich vorvereinbart wurde auf der Elmendorf Air Force Base. Der Eindruck ist: Trump hat massiv investiert – und bisher nichts bekommen. Er hat Russlands Machthaber, der in mehr als 100 Ländern als Kriegsverbrecher gesucht ist, ein überfreundliches Treffen auf Augenhöhe geschenkt inklusive einer Fahrt in seiner Präsidentenlimousine.
Jenseits einer moralischen Bewertung dieser Bilder, die nicht zuletzt für die Menschen in der Ukraine unerträglich sein müssen, bleibt in Trumps Deal-Denken die entscheidende Frage: wofür? Eine nachvollziehbare Strategie wäre zum Beispiel, dass Trump den russischen Präsidenten aus der bequemen Position des globalen Parias heraus wieder ins Zentrum internationaler Diplomatie holt – um ihn dann hinter verschlossenen Türen flankiert von massiven Sanktionsdrohungen zu einem Kurswechsel zu bewegen.
Wenn das der Ansatz gewesen sein sollte, ging er offenbar nicht auf. Es ist nicht erkennbar, welche Rendite Trump für sein Investment bekam. „Es gibt keinen Deal, bis es einen Deal gibt“, sagte der US-Präsident bei der Pressekonferenz nach dem Treffen. Trumps zuvor erklärtes Minimalziel, ein Waffenstillstand, wurde zunächst nicht erreicht.
Und das ist womöglich paradoxerweise sogar die gute Nachricht von Alaska.
„Mach einen Deal. Russland ist mächtig“
Denn zu befürchten war, dass ein Waffenstillstand der Welt als Erfolg verkauft, aber geflissentlich übersehen wird, dass damit langfristig nichts gelöst ist. Und die nach wie vor entscheidenden Fragen verdeckt werden. Die da lauten: Muss die Ukraine Territorium an den Aggressor abgeben? Und: Wie groß ist die Gefahr, dass die Waffenruhe nur eine Pause ist, bevor Russland erneut angreift, um die Ukraine komplett zu erobern?
Zu diesen entscheidenden Punkten – Gebietsabtretungen und Sicherheitsgarantien – sagte Trump schon vor dem Treffen wenig, und auch danach ist fast alles unklar. Was es bei der Pressekonferenz von Trump und Putin zu hören gab, verheißt für Europa und die Ukraine wenig Gutes: Es könne keinen Frieden geben, wenn die „tieferliegenden Ursachen“ des Krieges nicht beseitigt würden, sagte Putin da. Für Russlands Staatschef ist das Kernproblem, das hat er oft genug gesagt, dass er die Ukraine nicht als eigenständige Nation sieht, sondern als integralen Bestandteil Russlands.
Trumps seinerseits sagte bei der Pressekonferenz, er würde Selenskyj raten: „Mach einen Deal. Russland ist mächtig.“ Bei diesen Worten dürfte so mancher in Europa fast nostalgisch an die Gipfeltreffen zwischen den USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg zurückdenken. Damals war zumindest klar, dass sich Feinde treffen für einen Interessenausgleich.
Aber in Alaska blieb völlig unklar, in welcher Rolle Trump sich sieht und in welcher Beziehung die beiden Präsidenten zueinander stehen. Hält sich Trump für den Anführer des freien Westens, der die Interessen Europas und der Ukraine vertritt? Sieht er sich viel mehr als neutralen Vermittler? Oder etwa als Partner Putins, der von Atommacht zu Atommacht über das Schicksal schwächerer Nationen verhandelt?
Es ist nach diesem Treffen rätselhafter denn je. Und es steht zu befürchten, dass dies nicht kalkulierte Unberechenbarkeit ist, sondern ein Mangel an strategischer Klarheit.
Zuletzt wurde oft verwiesen auf Trumps erfolgreiche Friedensbemühungen im Konflikt zwischen Indien und Pakistan, Thailand und Kambodscha oder Armenien und Aserbaidschan. Es ist aber eines, als Supermacht einen kurzfristigen Waffenstillstand in einem Regionalkonflikt zu erreichen. Etwas anderes ist es, zu einer dauerhaften Lösung in einer hochkomplexen Lage zu gelangen.
Die treffendere Parallele zu Trumps Ukraine-Bemühungen ist sein Agieren im Korea-Konflikt während seiner ersten Amtszeit. Auch dort schenkte er dem Diktator Kim Jong-un grandiose Bilder auf der Weltbühne. Dem Ziel, Nordkorea zur Aufgabe der Atombombe zu bewegen, kamen die USA aber keinen Schritt näher – und gaben die Sache bald auf. Auf der koreanischen Halbinsel herrscht seitdem schlicht wieder der Status quo.
Im heißen Krieg in der Ukraine steht weit mehr auf dem Spiel – für ganz Europa.
Klaus Geiger ist Managing Editor des Axel Springer Global Reporters Networks. Von 2018 bis 2024 leitete er das Ressort Außenpolitik von WELT.
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