US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin wollen sich am 15. August in Alaska treffen, um über ein Ende des Ukraine-Kriegs zu verhandeln. Dies kündigte Trump in der Nacht zum Samstag in den sozialen Medien an. Es wäre der erste Besuch Putins in Amerika seit seinem Treffen mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2015.
Trump beließ es aber nicht dabei, nur das Treffen anzukündigen, sondern deutete vage auch schon das möglicherweise wichtigste Ergebnis der Gespräche an. Die Konfliktparteien stünden kurz vor einer Waffenstillstandsvereinbarung, die auch eine Abtretung von ukrainischem Gebiet erfordern könnte, sagte der US-Präsident vor Journalisten im Weißen Haus. „Es wird einen gewissen Austausch von Gebieten zum Wohle beider Seiten geben“, so Trump.
Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg soll ein mögliches Abkommen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs die Besetzung der von Moskau eroberten Gebiete festschreiben. Ein Vertreter des Weißen Hauses bezeichnete den Bericht als Spekulation. Eine Stellungnahme des Kremls lag zunächst nicht vor.
Der russische Präsident Wladimir Putin beansprucht die vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson sowie die 2014 annektierte Halbinsel Krim für Russland. Die russischen Truppen kontrollieren jedoch nicht das gesamte Gebiet in den vier Regionen.
Moskau bestätigte das Gipfeltreffen. Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow sagte, Trump und Putin würden sich darauf konzentrieren, Optionen für eine „langfristige friedliche Lösung der Ukraine-Krise“ zu erörtern. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lehnt Gebietsabtretungen ab. Die Ukraine könne in territorialen Fragen nicht gegen ihre Verfassung verstoßen, erklärt Selenskyj.
WELT beantwortet die wichtigsten Fragen zu einem möglichen Mega-Deal, der das Ende des Ukraine-Kriegs einleiten könnte.
Wie realistisch sind Gebietsabtretungen?
Sie sind nicht unwahrscheinlich. Putin beharrt darauf und Trump könnte ihm entgegenkommen. Laut dem amerikanischen Fernsehsender CNN hatte Putin dem US-Sondergesandten Steve Witkoff bei einem Treffen am Mittwoch offenbar selbst vorgeschlagen, den Krieg entlang der bestehenden Frontlinie einzufrieren. Zuvor war der russische Machthaber wegen der offensichtlichen Verärgerung Trumps unter Druck gekommen. Die anhaltenden Bombardierungen ukrainischer Zivilisten zog die Androhung neuer scharfer US-Sanktionen gegen Länder nach sich, die russisches Öl kaufen.
Was Trump in der Nacht zum Samstag euphemistisch als „einen gewissen Austausch von Gebieten zum Wohle beider Seiten“ bezeichnet hatte, liefe im Extremfall jedoch darauf hinaus, dass die Ukraine etwa ein Fünftel ihres Territoriums an den Aggressor Russland abgeben muss.
Trumps Regierung hat seit ihrem Amtsantritt immer wieder Gebietsabtretungen ins Spiel gebracht, um den Krieg beenden zu können. Bereits Anfang März hatte der Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz gesagt: „Dieser Krieg muss beendet werden, und dazu sind territoriale Zugeständnisse erforderlich“. Im Gegenzug müsse Russland dann aber auch Zugeständnisse machen bei den künftigen westlichen Sicherheitsgarantien für Kiew, so Waltz damals. Die Ukraine solle allerdings nicht der Nato beitreten.
Kann Selenskyj den Deal noch verhindern?
Das wird schwer. Der ukrainische Präsident weiß, dass derzeit zwei Großmächte über das Schicksal seines Landes verhandeln. Noch hält er tapfer dagegen. „Die Ukrainer werden ihr Land nicht dem Besatzer schenken“, sagte Selenskyj am Samstag.
Lehnt er einen von Trump ausgehandelten Deal allerdings ab, dürfte er den US-Präsidenten, der diesen Krieg endlich beenden will, brüskieren und damit die für sein Land überlebenswichtige militärische Unterstützung der Amerikaner riskieren – wohl wissend, dass die Europäer die Ausfälle alleine niemals kompensieren könnten.
Natürlich muss Selenskyj den im Raum stehenden Deal trotzdem öffentlich ablehnen und vor „Entscheidungen ohne die Ukraine“ warnen, um im eigenen Land nicht als Verräter dazustehen. Er wird auch versuchen, seine einzigen klaren Verbündeten, die Europäer, dafür zu gewinnen, Kiew stärker zu unterstützen.
Allerdings: Die Europäer sind – trotz aller öffentlichen Solidaritätsbekundungen mit Kiew und der verzweifelten Versuche, bei den Verhandlungen einen Fuß in die Tür zu bekommen – in einer schwachen Position. Weder Trump noch Putin nehmen sie in dieser Phase sonderlich ernst. Europa dürfte erst dann ins Spiel kommen, wenn es um die Absicherung eines möglichen Waffenstillstands und um die Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine geht, der hunderte Milliarden Euro kosten wird.
Die aktuelle Entwicklung dürfte die Europäer indes nicht überraschen: Bei vertraulichen Gesprächen mit EU- und Nato-Diplomaten war in den vergangenen Monaten deutlich zu spüren, dass vor dem Hintergrund einer zunehmenden militärischen Übermacht Russlands allgemein mit einem solchen Szenario gerechnet wurde. „Ohne Gebietsverluste für die Ukraine wird es leider wohl nicht gehen“, sagte ein Diplomat der Verteidigungsallianz kürzlich.
Wie geht es nach dem Gespräch in Alaska weiter?
Ein Waffenstillstand wird immer wahrscheinlicher. Wie belastbar er sein wird, hängt maßgeblich davon ab, ob Putin mit dem Verlauf der Verhandlungen zufrieden sein wird oder nicht. Im Klartext: Laufen die Gespräche nicht in seinem Sinne, könnten die russischen Streitkräfte in einem begrenzten Umfang vorübergehend wieder angreifen.
Die Verhandlungen über ein langfristiges Ende des Krieges dürften sich über viele Monate, möglicherweise sogar Jahre, hinziehen. Moskau hat Trump bereits zu einem weiteren Gespräch in Russland eingeladen. Putin wird vermutlich schon bald auf eine schnelle Aufhebung der Sanktionen drängen, der Westen sich aber nur auf eine stufenweise Revision einlassen. Kiew dürfte bei den technischen Gesprächen auf Arbeitsebene einbezogen werden, und irgendwann sicher auch Selenskyj bei einem Spitzengespräch zwischen Putin und Trump dabei sein.
Kurzfristig wird es wahrscheinlich zunächst um folgende Fragen gehen: Werden am Ende wirklich alle fünf Oblaste an Moskau fallen, obwohl die russischen Truppen sie noch nicht vollständig eingenommen haben? Wer überwacht einen möglichen Waffenstillstand und wie wird er gesichert? Und: Wie endgültig werden die Grenzen entlang der Frontlinie eingefroren?
Sollte es zu Gebietsabtretungen kommen, will Selenskyj erreichen, dass diese nur „vorübergehend“ sein werden. Moskau dürfte dabei aber nicht mitspielen. Mittelfristig dürfte es zudem heftige Auseinandersetzungen geben über die Forderung aus Russland, die gesamte Ukraine bis zum Fluss Dnepr zu entmilitarisieren, damit ukrainische Raketen Moskau nicht erreichen können.
Wer sind die Gewinner und Verlierer?
Falls es tatsächlich zu Gebietsabtretungen kommen sollte, ist die Ukraine der große Verlierer. Das Land kann nicht Mitglied der Nato werden. Gleichzeitig rückt ein EU-Beitritt in weite Ferne. Die Ukraine verliert zudem wirtschaftlich wichtige Gebiete. Immerhin: Das Töten könnte vorbei sein und die Ukraine Sicherheitsgarantien des Westens erhalten.
Zweiter großer Verlierer sind in dem Fall die Europäer: Ein Krieg, der in Europa stattfindet, wird ohne sie gelöst. Das passt ins Bild: Auch in Nahost spielt die EU keine Rolle und beim Handelsdeal mit Amerika wurde Brüssel kürzlich von Trump ausgebootet.
Als klarer Sieger aus dem Krieg dürfte bei einem solchen Verlauf Russland hervorgehen. Wie groß Putins Triumph am Ende sein wird, ist aber noch unklar. Verhindert Putin tatsächlich den Nato-Beitritt der Ukraine und auch den möglicher weiterer Staaten wie Moldawien, Georgien und einiger Westbalkan-Länder, würde er – über die Köpfe der EU hinweg – die zukünftige europäische Sicherheitsordnung mitbestimmen. Das war immer sein Ziel.
Ein großer Erfolg für Putin könnte auch die nach einem Deal zu erwartende Annäherung an die USA sein. Sie würde ihm nicht nur eine Rückkehr auf die Weltbühne, sondern auch lukrative Geschäfte ermöglichen. Putin dürfte in dem Fall auch versuchen, die US-Regierung sukzessiv von den Europäern zu entfernen.
In zwei Punkten wird sich Moskau aber wohl nicht durchsetzen: Es wird keine moskaufreundliche Marionettenregierung in Kiew geben. Und auch der immer wieder geforderte Austritt der baltischen und osteuropäischen Staaten aus der Nato wird nicht stattfinden.
Welche Ziele verfolgt Trump?
Erstens: Der US-Präsident will sich weltweit als erfolgreicher Friedensstifter inszenieren, spekuliert auf den Friedensnobelpreis. Zweitens: Trump will das lästige Problem Ukraine endlich vom Tisch haben. Den US-Präsidenten interessiert der Kampf der Ukraine für ihre Freiheit und damit auch für die Sicherheit Europas nicht sonderlich, sein Fokus liegt auf politischen und wirtschaftlich lukrativen Deals mit Moskau.
Bei dem Treffen in Alaska könnte es eine Erklärung von Trump und Putin geben, die eine gemeinsame Zusammenarbeit, beispielsweise bei der Exploration der Arktis oder seltener Erden in den russischen Regionen Murmansk und Jakutien ankündigt. Kirill Dmitriev, der Chef des russischen Staatsfonds, hatte das nach einem Treffen mit dem US-Gesandten Witkoff vor wenigen Tagen in Moskau bereits angedeutet.
Drittens: Washington will durch die künftige Zusammenarbeit mit Moskau die russisch-chinesische Achse schwächen und gleichzeitig Russlands Bündnisse mit Ländern wie Nordkorea oder Iran unterminieren.
Viertens: Trump will es künftig weitgehend den Europäern überlassen, für Sicherheit auf ihrem Kontinent zu sorgen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Ukraine-Frage gelöst wird. Der US-Präsident will Ruhe in Europa haben, damit sich seine Regierung voll konzentrieren kann auf die aus ihrer Sicht größte politische, wirtschaftliche und militärische Bedrohung: China.
Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.
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