Die Botschaft der örtlichen Sozialdemokraten im Wahlkampf ist einfach, klingt fast brachial: „Aufbruch durch Abbruch.“ Und sie wird mit schwerem Gerät untermalt.
Im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck reißen Bagger Häuserzeilen am Ahlmannshof nieder. Was jahrzehntelang als „städtebaulicher Missstand“ galt, wird nun beseitigt: Fensterhöhlen, durch die niemand mehr schaut; Wohnungen, in denen niemand mehr wohnen soll. Illegal vermietet, verwahrlost, bewohnt von Armutsmigranten, die von der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren – und vor Ort für zahlreiche Probleme sorgen.
An diesem Donnerstag vor Ort: Bundesarbeitsministerin und SPD-Co-Bundesvorsitzende Bärbel Bas. Sie soll die Genossen vor Ort als prominente Wahlhelferin im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf unterstützen. Bas, die aus dem benachbarten Duisburg stammt, ist angereist, um der Gelsenkirchener Oberbürgermeister-Kandidatin Andrea Henze (SPD) Rückenwind zu geben – und um zu zeigen, dass die soziale Schieflage in den Städten im Ruhrgebiet auch der Bundespolitik bewusst sei. „Wir sehen die Menschen und ihre Probleme. Und wir gehen aktiv gegen die Gettoisierung der Viertel vor“, erklärt Bas vor Journalisten, während im Hintergrund ein Bagger dabei ist, eine Schrottimmobilie abzureißen.
Henze steht mit der Arbeitsministerin neben dem Schutt. Das Signal ist klar: Das Alte verschwindet, damit eine neue Ordnung entstehen kann. Eine Kita soll hier gebaut werden. Und viel „bezahlbarer Wohnraum“, wie die Kandidatin sagt. Das alles findet nur ein paar Hundert Meter entfernt vom ehemaligen Zechengelände Consol statt, das heute ein gepflegter Stadtteilpark ist.
In ihrer Stadt habe man „manchmal das Gefühl, dass sich hier die Probleme der Republik wie unter einem Brennglas verdichten“, sagt Henze. Der Alltag hier sei aus den Fugen geraten: „Wir müssen den Menschen wieder zuhören. Ihre Sorgen und Nöte ernst nehmen. Das ist der erste Schritt zurück ins Vertrauen.“
Gelsenkirchen kämpft aktuell mit gravierenden Problemen. Von einst 400.000 Einwohnern sind nur noch 270.000 übrig. Laut der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ lag die Arbeitslosenquote in der Stadt im Juli dieses Jahres bei 15,3 Prozent. Viele Bewohner sind auf Sozialhilfe angewiesen.
Zwei von ihnen trifft Bas auf ihrem Rundgang, als sie gerade mit Müllgreifern Schmutz von der Straße beseitigen. Sie arbeiten im „Quartierservice“ – ein Programm, das darauf abzielt, Langzeit-Arbeitslosen eine neue Beschäftigung zu geben. Die beiden grüßen die Bundesministerin freundlich, die drei unterhalten sich kurz. Auch einer älteren Frau mit Nordic-Walking-Stöcken begegnet sie, die sich darüber beschwert, dass die Baustelle schon so lange bestehe. „Es wird bald besser“, versichert Bas ihr.
„Wir müssen diese Stadtteile verändern“
Die SPD will in Gelsenkirchen also beweisen, dass sie praktikable Lösungen bietet. Wobei der Werkzeugkasten nicht allein der Stadt gehört, denn ohne Bundesmittel wäre der geplante Aufbruch gar nicht möglich: Gelder aus Förderprogrammen, etwa aus der Städtebauförderung, fließen auch nach Gelsenkirchen. Das Ziel der Politik vor Ort ist es, Problemhäuser aufzukaufen, abzureißen und durch funktionierende Strukturen zu ersetzen. „Wir müssen diese Stadtteile verändern, nicht nur für die Kinder, die dort leben, sondern auch für die Erwachsenen, die schon lange das Gefühl haben, abgehängt zu sein“, erklärt Bas.
Die Häuser am Ahlmannshof hatten ihre besten Zeiten schon hinter sich, als Rumänien und Bulgarien 2007 der EU beitraten. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit habe sich in Gelsenkirchen zu einer „Sozialleistungsfreizügigkeit“ entwickelt, stellte die scheidende Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) einmal fest.
Arme Rumänen und Bulgaren zogen zu, kriminelle Vermittler organisierten billige Mietverträge, viele der Zuwanderer landeten in prekären Minijobs – und beantragten ergänzendes Bürgergeld. Ein System, das laut Arbeitsministerin Bas ein mafiöses Netz schuf: „Es gibt ausbeuterische Strukturen, die Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland locken und ihnen Mini-Arbeitsverträge anbieten – und gleichzeitig lassen sie diese Menschen Bürgergeld beantragen und schöpfen die staatlichen Mittel dann selbst ab.“ Dass die AfD bei der Bundestagswahl im Februar knapp vor den Sozialdemokraten stärkste Kraft in Gelsenkirchen wurde, lasse sich vor allem auf diese Entwicklungen zurückführen, heißt es aus der SPD-Fraktion im Stadtrat.
Auch Markus Töns (SPD), der als direkt gewählter Abgeordneter für Gelsenkirchen im Bundestag sitzt, macht bei dem Termin mit Bas hauptsächlich die Armutszuwanderung für die angespannte Lage verantwortlich. „Das Ergebnis dieser Zuwanderung sind überfüllte Kitas, überforderte Schulen, Müllberge in den Straßen und wachsender Frust in der Nachbarschaft“, sagt Töns.
Besonders kritisch sieht er den Umstand, dass der hohe Anteil an Armutszuwanderung aus Südosteuropa im bestehenden Verteilungsschlüssel für Migranten gar nicht berücksichtigt werde. Als Duisburgerin dürfte Bas diese Problematik bewusst sein: Auch in ihrer Heimatstadt ist das Thema von großer Bedeutung.
Auch deshalb plant die Ministerin, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland so anzupassen, dass ein Missbrauch verhindert wird: Sie kritisiert etwa, dass viele Arbeitsverträge gar nicht mit dem Ziel der Freizügigkeit übereinstimmten und den sozialen Frieden gefährdeten. „Wenn jemand für einen Fünf-Stunden-Arbeitsvertrag nach Deutschland kommt, find‘ ich das schräg. Davon kann man eine Familie nicht versorgen“, erklärt Bas. Ein möglicher Ansatz sei, Kriterien wie eine Mindeststundenanzahl im Arbeitsvertrag einzuführen – dies werde derzeit geprüft.
Zusätzlich betont Bas, das vom Bundeskabinett beschlossene Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit sei ein weiteres wichtiges Instrument. Das Gesetz verpflichtet unter anderem den Zoll, Auffälligkeiten im Aufenthaltsstatus eines Migranten sofort den Jobcentern zu melden, um schneller gegen missbräuchliche Arbeitsverhältnisse vorgehen zu können.
Maximilian Heimerzheim ist Volontär im Innenpolitik-Ressort.
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