Im Krieg gegen Russland baut die Ukraine auch auf Soldaten aus Kolumbien. Die südamerikanischen Männer kommen mit vergleichsweise viel Erfahrung aus jahrzehntelangem Bürgerkrieg an die Front. Viele kehren nicht mehr zurück.
Dort, wo auf der Welt Krieg und Gewalt herrschen, sind Männer aus Kolumbien oft nicht weit. Das südamerikanische Land hat gut ein halbes Jahrhundert im dauerhaften Ausnahmezustand gelebt, Krieg war in dem 50-Millionen-Einwohner-Land im Norden Südamerikas an der Tagesordnung. Seit den 1960er-Jahren haben sich Guerillagruppen, Drogenkartelle, kriminelle Banden, Paramilitärs und die Armee bekämpft. Es war einer der längsten Bürgerkriege der Welt, mit über 200.000 Toten.
Viele Männer in Kolumbien haben ihr Geld ihr ganzes Leben lang an der Waffe verdient, sind kampf- und kriegserprobt. Und gehen jetzt immer öfter ins Ausland. Auch für die Ukraine sind tausende Kolumbianer im Einsatz.
2016 hat die Regierung mit der FARC, der größten Guerillagruppe, ein Waffenstillstandsabkommen vereinbart. Danach ist die Gewalt in Kolumbien zurückgegangen. Vom Krieg geprägte Männer sind geblieben. Viele von ihnen haben seitdem keine Arbeit mehr. Das kolumbianische Militär hat seine Truppe verkleinert. Viele Ex-Soldaten halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und haben Geldsorgen. Einige von ihnen heuern deshalb im Ausland an.
Die Liste an Kampfgebieten, wo sich kolumbianische Soldaten in den vergangenen Jahren aufgehalten haben, ist lang. Sie kämpfen für Drogenkartelle in Mexiko oder Milizengruppen im Sudan. Früher waren Kolumbianer im Irak und in Afghanistan als Söldner im Einsatz, beauftragt von amerikanischen Sicherheitsfirmen. Oder für Saudi-Arabien im Jemen gegen die Huthis. Allein 26 Kolumbianer sollen an der Ermordung des Präsidenten von Haiti, Jovenel Moïse, im Juli 2021 beteiligt gewesen sein.
Außenminister: Über 300 gefallene Kolumbianer
Besonders präsent sind Kolumbianer derzeit in der Ukraine. Sie haben sich bei der Fremdenlegion gemeldet und sind dann 10.000 Kilometer weit nach Europa gereist. "Präsident Selenskyj hat ausländische Soldaten dazu aufgerufen, sich seiner Armee anzuschließen und sein Land zu verteidigen. Da habe ich alles in Bewegung gesetzt, um hierherzukommen", sagt ein kolumbianischer Soldat im Interview mit der Deutschen Welle.
"Am Bahnhof, im Hotel, in Kiew und im Landesinneren" - überall habe er Landsleute getroffen, wird Alexander Gómez vom Schweizer "Tagesanzeiger" zitiert. Der Kolumbianer ist 2024 in die Ukraine gereist, um für Kiew in den Krieg zu ziehen. Bei seiner Ankunft im Rekrutierungszentrum habe er "einen Mann aus Panama, einen Brasilianer und mindestens 150 Kolumbianer" getroffen.
Wie viele kolumbianische Männer insgesamt für die ukrainische Armee kämpfen, weiß niemand genau. Die Ukraine hält genaue Rekrutierungszahlen unter Verschluss, Kolumbien weiß es nicht. Die meisten Schätzungen gehen von mindestens 1000 bis 2000 Kolumbianern im Dienst der ukrainischen Armee aus.
Ein Anhaltspunkt sind die Todeszahlen, aber auch hier widersprechen sich die Quellen. Kolumbiens Außenminister Luis Gilberto Murillo hatte Ende letzten Jahres in einem Radiointerview gesagt, dass schon etwa 310 Kolumbianer in der Ukraine gefallen sind. Im Februar sprachen kolumbianische Behörden von offiziell 64 Gefallenen.
"Sie sind an der Front beliebt"
Warum ziehen so viele Kolumbianer nach Ende eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs in der eigenen Heimat direkt weiter in den nächsten Krieg, Tausende Kilometer entfernt von der eigenen Heimat? "Sie sind an der Front beliebt", schreibt die "Neue Zürcher Zeitung": Männer aus Kolumbien "kennen kaum etwas anderes, als zu kämpfen."
"Nirgendwo gibt es bessere und billigere Soldaten als in Kolumbien", bestätigt Alexander Gómez dem "Tagesanzeiger". Soldaten würden immer gebraucht. Die Welt sei eben kein friedlicher Ort - und werde es auch nie sein.
Weil die USA jahrzehntelang die kolumbianische Armee im Krieg gegen die Drogenkartelle unterstützt haben, ist viel militärisches Know-how nach Kolumbien geflossen. Deshalb kennen sich Soldaten wie Alexander Gómez mit modernster Kriegstechnik und -taktik aus - und sind nicht nur in der Theorie kampferprobt.
Ukrainischer Sold ist für Kolumbianer ein Vermögen
Interessierte Soldaten aus dem Ausland können sich über die offizielle Internetseite der ukrainischen Fremdenlegion für den Fronteinsatz bewerben. Die Homepage lässt sich mit einem Mausklick in die gewünschte Sprache übersetzen: in Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Deutsch, Polnisch, Belarussisch, Taiwanesisch oder Griechisch. Das Motto: "Verteidige die Freiheit der Ukraine, Europas und der ganzen Welt".
Die ukrainische Fremdenlegion zahlt ausländischen Kämpfern umgerechnet etwa 3100 Euro im Monat. Dazu kommen gut 1500 Euro Bonus für jeden Monat an der Front. Für kolumbianische Verhältnisse ist der Sold ein Vermögen - bei ihrem Militär bekommen sie nur einen Bruchteil davon. "Hier verdient ein Berufssoldat nach sechs Jahren Dienstzeit weniger als 600 Dollar. Das ist absolut nichts, um 24 Stunden im Dschungel bloßgestellt zu werden, sagt ein kolumbianischer Ex-Soldat im Interview mit "Associated Press".
Über 300.000 Euro für Hinterbliebene - in der Theorie
Kiew hat die Fremdenlegion bereits kurz nach der Invasion durch Russland im Februar 2022 ins Leben gerufen. Seit Ende 2023 akzeptiert die Ukraine auch Legionäre, die nur Spanisch sprechen. Somit konnten auch Kolumbianer anheuern.
Nur die Anreise in die Ukraine zahlt Kiew nicht. "Andernfalls wäre dies ein Schlupfloch für eine kostenlose Reise nach Europa", argumentiert die Fremdenlegion.
Wenn ein Soldat im Krieg gegen Russland fällt, zahlt das ukrainische Militär umgerechnet etwa 315.000 Euro Entschädigung an die Familie. Zumindest in der Theorie - die Realität sieht oft anders aus. Hinterbliebene von kolumbianischen Gefallenen und Vermissten beklagen, dass sich die Ukraine nicht bei ihnen meldet und auch keine Entschädigungen zahlt. Geld gibt es erst, wenn die Leiche eines Soldaten geborgen und der Tod eines Soldaten damit offiziell dokumentiert ist. Außerdem wird ein ukrainisches Bankkonto benötigt.
Ausländische Soldaten werden von Kiew rechtlich aber als "vollwertige Soldaten der ukrainischen Streitkräfte" und nicht als Söldner angesehen. "Wir empfehlen Ihnen jedoch dringend, die Gesetze Ihres Landes zu prüfen und die Haltung Ihres Staates gegenüber Personen zu prüfen, die in anderen Ländern gedient haben", schreibt die Fremdenlegion auf ihrer Internetseite.
Rückreise über Venezuela führt zur Festnahme
Manche Länder verbieten ihren Staatsbürgern den Kriegseinsatz in einem fremden Land. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro hat Ende November einen solchen Schritt ebenfalls angekündigt. Noch ist aber kein entsprechendes Gesetz auf dem Weg. Die kolumbianischen Männer kämpfen daher nicht illegal an der Seite der Ukraine gegen Russland.
Wichtig ist nur, dass sie auf der Rückreise keinen Zwischenstopp in Venezuela einlegen. Das zeigt die Geschichte von José Medina. Über sein Schicksal hat die "Neue Zürcher Zeitung" berichtet. Der Mann aus einem kolumbianischen Armenviertel reist aus Geldnot in den Krieg, verbringt insgesamt acht Monate bei der ukrainischen Armee. Als einer seiner besten Freunde im Kampfeinsatz getötet wird, beschließt er, nach Hause zurückzukehren. Aber nicht auf direktem Wege von Madrid nach Bogotá. Um Geld zu sparen, will er von Polen über Spanien und Venezuela nach Kolumbien reisen.
Doch nur wenige Minuten nach seiner Landung in Venezuela wird José Medina verhaftet. Das Land pflegt mit Russland eine enge Partnerschaft, das Militär und die Geheimdienste arbeiten zusammen. So sind ihm die venezolanischen Behörden auf die Spur gekommen. Aufnahmen vom festgenommenen José Medina laufen wenig später im russischen Propagandasender Russia Today. Seitdem hat es kein Lebenszeichen mehr von dem Kolumbianer gegeben.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke