Niemand steht mehr für die Einsicht, dass die politischen Extreme mehr miteinander verbindet als trennt, als Horst Mahler.

Aus einem bürgerlichen Elternhaus stammend, entwickelte er sich trotz einer großzügigen Förderung als Hochbegabter zum Linksextremisten und eigentlichen Erfinder der Terrorgruppe RAF. Ein Vierteljahrhundert später wechselte er auf die andere Seite und wurde offen rechtsextrem. Das blieb er bis zu einem Lebensende. Gemeinsam war seinen wesentlichen Lebensphasen zweierlei: der politische Extremismus – und der Antisemitismus.

Geboren 1936 als Sohn des Zahnarztes Willy Mahler und dessen Frau Dorothea, hatte er zweifellos eine schwierige Kindheit hinter sich. Im Februar 1945 floh seine Mutter mit ihm und drei Geschwistern aus der Heimat Schlesien vor der anrückenden Roten Armee über Naumburg nach Roßlau an der Elbe. Hier praktizierte sein Vater, bis er sich im Februar 1949 das Leben nahm.

Mahlers Eltern waren überzeugte Nationalsozialisten, obwohl der Bruder seiner Mutter als SA-Funktionär 1934 beim vermeintlichen „Röhm-Putsch“ ermordet worden war. Den Freitod des Vaters erklärte Horst Mahler 2007 mit den Worten: „Er hat Hitler geliebt bis an sein Lebensende. Der konnte die Niederlage des Deutschen Reiches und alles, was damit verbunden war, nicht verwinden.“

Die Witwe und die vier Halbwaisen verließen die DDR und siedelten nach West-Berlin um, wo Horst Mahler die Friedrich-Ebert-Schule im bürgerlichen Bezirk Wilmersdorf erfolgreich absolvierte. Der Direktor des Gymnasiums beschrieb ihn als „vielseitig begabten, besonders interessierten, fleißigen, zielstrebigen jungen Mann“ und empfahl ihn zur Aufnahme in die Studienstiftung des deutschen Volkes.

So konnte er mit einem Stipendium Jura studieren. Im Verlauf dieses Studiums interessierte er sich besonders für „das Politische“, schreibt der Chemnitzer Historiker und Ideologie-Experte Alexander Gallus. Allerdings in scheinbar entgegengesetzten Ausprägungen: Er war zeitweise Mitglied einer schlagenden Verbindung, beschäftigte sich anschließend aber besonders mit der Theorie des Marxismus-Leninismus.

Mahler selbst gestand in einem seiner Semesterberichte an die Stiftung, dass „die eigentliche Jurisprudenz etwas in den Hintergrund“ getreten sei. Trotzdem bestand er 1959 das erste Staatsexamen und nach Referendariat und Promotion auch das zweite.

Anschließend übernahm er im Sommer 1964 die Kanzlei eines verstorbenen Kollegen einschließlich dessen Mandantschaft und profilierte sich als Experte für Wirtschaftsstrafsachen in West-Berlin. Doch er vertrat auch einen KZ-Wächter, der später wegen mindestens zweifachen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe erhielt.

Vom Anwalt zum linksradikalen Akteur

Ab Ende 1966 gehörte Mahler dann zum Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Nach dem gewaltsamen Tod des Demonstranten Benno Ohnesorg durch eine Kugel des West-Berliner Polizisten und Stasi-Spitzels Karl-Heinz Kurras am 2. Juni 1967 kümmerte er sich fast nur noch um linksradikale Mandanten.

Dabei beschränkte er sich nicht mehr auf die Tätigkeit als Anwalt, sondern wurde Teil der Szene: Nach dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 führte Mahler die Demonstranten an, die das Gebäude des Axel-Springer-Verlages in Kreuzberg zu stürmen versuchten, in dem sie ihren Hauptfeind sahen. Dabei kam es zu hohem Sachschaden.

1968 vertrat Mahler zusammen mit seinem West-Berliner Kollegen Otto Schily vor dem Landgericht Frankfurt/Main die Anarchisten Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Die wegen Kaufhaus-Brandstiftung Angeklagten beschimpften die Justiz als „entartet“ und riefen dazu auf, das Gericht zu attackieren: „Steckt diese Landfriedensbruchbude in Flammen!“ Irgendeine Distanzierung oder wenigstens Mäßigung ließ Mahler nicht erkennen. Das Urteil lautete trotzdem nur: jeweils drei Jahre Haft für die Angeklagten.

Mahler trat im Folgenden so hartnäckig für seine Mandanten ein, dass sie Mitte Juni 1969 nach 14 Monaten Haft, etwas mehr als einem Drittel der verhängten Strafe, freikamen: Es habe keine Fluchtgefahr mehr bestanden. Wenige Monate später tauchten Baader und Ensslin ab. In Rom trafen sie sich Ende des Jahres mit Mahler, der sich inzwischen zur Gewalt bekannte: „Hört endlich auf, vom Widerstand nur zu quatschen!“, hatte er im Herbst 1969 geschrieben: „Macht ihn endlich praktisch!“

Er wollte eine eigene militante Gruppe gründen und den Kampf gegen den Staat aufnehmen; dafür brauchte er die beiden Kaufhausbrandstifter als Galionsfiguren. Mahler hatte 10.000 Mark bei sich, die er auf dem Weg in München bei „irgendso einer Kulturgröße“ eingesammelt hatte. Er wollte mit Baader und Ensslin bereden, wie man gegen den Staat kämpfen könne.

„Dann haben wir die ganze Nacht diskutiert und haben gesagt, a) wir wollen etwas machen, b) was können wir zusammen machen?“, schilderte Mahler selbst das Treffen: „Dann haben wir uns verständigt, ob das reicht, was wir an Konsens hatten. Wir stellten fest, das reicht, und da wurde beschlossen, dass sie nach Berlin kommen und ich in Berlin die Vorbereitungen treffen musste, damit sie hier irgendwo als Illegale leben können.“

Am 12. Februar 1970 kamen Baader und Ensslin in West-Berlin an; ihr erstes Quartier fanden sie in der Wohnung der ehemaligen Journalistin Ulrike Meinhof. Doch schon wenige Wochen später, am 4. April, wurde Baader verhaftet und sollte seine Reststrafe absitzen.

Horst Mahler sorgte dafür, dass es anders kam: Er setzte beim Direktor des Gefängnisses durch, dass der Strafgefangene zu einem Termin mit Meinhof in ein Institut in Berlin-Dahlem „ausgeführt“ wurde – angeblich, um an einem gemeinsamen Buchprojekt für den Wagenbach-Verlag zu arbeiten. Eine Finte, die Mahler organisiert hatte, wie Verleger Klaus Wagenbach nach Verjährung eingestand: „Ich wusste natürlich, dass geplant war, Andreas Baader zu befreien. Das fand ich im Prinzip auch richtig.“

Am 14. Mai 1970 erfolgte die Gefangenenbefreiung, bei der ein Unbeteiligter lebensgefährlich verletzt und zum Pflegefall geschossen wurde. Es war die Geburtsstunde der Terrorgruppe RAF. Mahler tauchte mit Baader und Meinhof unter. Zur Guerilla-„Ausbildung“ ging es nach Jordanien, in ein Camp antisemitischer Palästinenser.

Knapp fünf Monate später wurde er wieder in Berlin festgenommen. Zur Last gelegt werden konnten ihm „nur“ die Gründung einer kriminellen Vereinigung und mehrere Banküberfälle, jedoch (noch) kein Mord. So erhielt er lediglich 14 Jahre Haft.

Im Gefängnis vollzog er im Frühjahr 1974 eine weitere ideologische Kehrtwende und distanzierte sich von der RAF. Daraufhin beschimpfte das RAF-Mitglied Holger Meins ihn: „Die Gefangenen, die in der RAF organisiert waren, haben eine Ratte weniger (…). Der Herr Mahler hat sich selbst den Papierhut aufgesetzt. Als Revisionist, Kolonialherr, Schleimscheißer und Marxausbeuter wird er sich demnächst wohl irgendein Parteibuch zulegen.“ Tatsächlich bekannt sich Mahler wenig später zur (maoistischen) KPD-AO.

Als vermeintlich geläuterter intellektueller Linker bekam Mahler viel Aufmerksamkeit. Sogar Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) suchte ihn zu Gesprächen im Gefängnis auf. Nach nur zehn Jahren Haft wurde er dank seines Anwaltes Gerhard Schröder, des späteren Bundeskanzlers, auf Bewährung entlassen und verdingte sich, da ihm die Zulassung als Rechtsanwalt noch entzogen war, als juristischer Berater.

Abseits seiner kruden politischen Auffassung war Mahler ein fachlich brillanter Jurist, dessen Schriftsätze Gerichte und Staatsanwälte schon in den 1960er-Jahren vielfach herausforderten. Auch im persönlichen Gespräch konnte seine Neigung, die Argumentation seines Gegenübers zu antizipieren, einschüchternd wirken. 1988 erreichte abermals Schröder die erneute Zulassung Mahlers als Rechtsanwalt.

In den folgenden Jahren vollzog sich in nicht genau nachzuvollziehenden Schritten seine nächste Kehrtwende.

Als Rechtsextremist bezeichnete er Grundgesetz als „Provisorium“

Über den deutschnationalen Flügel der FDP kam Mahler Anfang der 1990er-Jahre zur Neuen Rechten. Öffentlich breit wahrgenommen wurde dies erstmals Ende 1997, als er eine Laudatio auf den rechtskonservativen Philosophen Günter Rohrmoser hielt. Darin bezeichnete er die „Gefährlichkeit der Deutschen“ als „nicht in ihrem Nationalcharakter begründet (wie die Sieger über Deutschland uns das anerzogen haben), sondern in der Beschädigung oder gar Zerstörung ihrer Identität als Volk und Nation“.

1998 bekannte sich Mahler dann offen zum Rechtsextremismus und nahm unter anderem an Demonstrationen gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin teil. Zwei Jahre später nannte Mahler das Grundgesetz der Bundesrepublik ein „Provisorium für die Übergangszeit bis zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“. Das war sein erstes deutliches Bekenntnis zur „Reichsbürger“-Bewegung. In einem „Appell an die Bürger des Deutschen Reiches“ vertrat er pseudojuristisch die mit allerlei fehlinterpretierten Verfassungsartikeln „begründete“ Vorstellung, die Bundesrepublik sei gar kein Staat, sondern eine GmbH, die als „Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich“ tätig sei.

Im ersten Verbotsverfahren gegen die NPD vertrat Mahler die neonazistische Partei vor dem Bundesverfassungsgericht und war zeitweise auch ihr Mitglied. Nach dem (wenig überzeugenden) Ende des Verfahrens aus formalen Gründen trat er aus der NPD aus, weil sie ihm zu moderat war.

In den gut zwei Jahrzehnten seither sammelte Horst Mahler geradezu Verurteilungen wegen Volksverhetzung, meist wegen Leugnung des Holocausts. Von Mai 2006 bis Juli 2015 und erneut von Mai 2017 bis Ende Oktober 2020 saß Mahler in Haft.

Die zeitweilige Entlassung erfolgte aus Gesundheitsgründen, doch Mahler nutzte die Gelegenheit, nach Ungarn zu flüchten und dort politisches Asyl zu beantragen, das abgelehnt wurde. Ein erneuter Strafprozess wegen Volksverhetzung und Holocaust-Leugnung wurde 2023 wegen Verhandlungsunfähigkeit Mahlers eingestellt.

Er starb am 27. Juli 2025 im Alter von 89 Jahren.

Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur bei WELTGeschichte. Als gelernter Historiker forscht er seit den frühen 1990er-Jahren regelmäßig in Archiven, stets auf der Suche nach bislang unzureichend ausgewerteten Quellen für historisch relevante Ereignisse.

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