Macron diniert mit Merz in Berlin. Kein großes Ding, möchte man meinen. Doch genau diese Beziehungen, auch zum Briten Starmer, können noch richtig wichtig werden - vor allem mit Blick auf Trump und Putin.

Im Vergleich zu Emmanuel Macron und Keir Starmer sieht es für Friedrich Merz noch richtig gut aus: Die Zustimmungswerte im ntv-Trendbarometer sind für den Kanzler seit der Amtsübernahme im Mai von 38 auf 32 Prozent gefallen. Schlechter Trend, aber ein fast komfortables Polster, wenn man die 23 Prozent Zustimmung zum Vergleich heranzieht, die der französische Präsident und der britische Premier zuhause jeweils noch zusammenkratzen können.

Womöglich ist also auch innenpolitischer Druck im eigenen Land ein gewisser Treiber für die drei Staats- und Regierungschefs, sich derzeit mit sehr viel Verve in die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik zu stürzen. Donald Trump im Präsidentenamt hat die Verlässlichkeit transatlantischer Partnerschaft im Handumdrehen abgeräumt. Seitdem sieht die "New York Times" "seine Amtskollegen in den mächtigsten Ländern Europas parallele diplomatische und verteidigungspolitische Institutionen für eine Zukunft" aufbauen, in der die USA "nicht mehr der wichtigste Garant für wirtschaftliche und militärische Sicherheit sind".

Scholz hat's nicht verstanden

Der Besuch Macrons am Abend bei Merz in Berlin mit Dinner in der Borsig-Villa ist dabei nur einer in einer ganzen Reihe wichtiger Schritte, die das Trio unternimmt, um Europa gemeinsam verteidigungsfähig zu machen.

Was naheliegend erscheint, war in den Jahren zuvor nicht die Maxime. Merz' Vorgänger im Kanzleramt, Olaf Scholz, verstand nicht, dass die USA auch unter Joe Biden schon keine europäischen Partner brauchten, die sich hinter Washingtons Waffenarsenal verstecken. Merz hingegen scheint deutlich stärker auf Augenhöhe mit den Erwartungen des Weißen Hauses sowie mit den wichtigsten europäischen Spielern, die diese Erwartungen maßgeblich erfüllen müssen .

Zum Kick-Start der gemeinsamen Initiative geriet im Mai ein Trio-Trip per Zug nach Kiew zum gemeinsamen Treffen mit dem polnischen Präsidenten Donald Tusk beim ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Von dort aus klingelte man den US-Präsidenten kurz telefonisch aus dem Bett, um ihn für weiterreichende Sanktionen gegen Russland ins Boot zu holen. Das klappte zwar letztlich nur so halb, hinterließ aber Eindruck - in Europa und womöglich auch im Weißen Haus.

Zum Nato-Gipfel im Juni in Den Haag ließ Deutschland schon im Vorfeld keinen Zweifel daran, dass man Trumps Forderung zustimmen werde, die Verteidigungsausgaben der Bündnisländer sukzessive auf fünf Prozent zu erhöhen. Nicht (nur), um Trump bei Laune und in der Nato zu halten. Sondern auch, weil ein deutliches Aufstocken der nationalen Wehretats in Anbetracht der volatilen Weltlage und eines kriegerischen Kremls angezeigt erscheint. Der Einigkeit von Den Haag folgten im Juli bilaterale Verträge zwischen London und Berlin über eine vertiefte Zusammenarbeit in der Verteidigung sowie zwischen London und Paris zur Koordination ihrer beiden Atomarsenale.

Dass die drei europäischen Staatslenker im Jahr 2025 anders auf das Gaspedal treten als es in den drei Jahren Ukrainekrieg zuvor der Fall war, dürfte auch daran liegen, dass sich die Bedrohungslage konkretisiert. Laut Nato-Schätzung wäre Russland beim derzeitigen Aufrüstungstempo etwa 2029 in der Lage, die Nato durch einen massiven Angriff etwa an der Ostflanke herauszufordern.

Europa steckt im "Verwundbarkeitsfenster"

Vier Jahre sind in der Rüstungsbranche mit ihren langen Entwicklungs- und Produktionsphasen so gut wie gar nichts. Zudem beobachtet man auch vom Kreml aus die Anstrengungen der Europäer, sich bis 2029 wehrhafter aufzustellen. Den Zeitraum bis dahin nennt Sicherheitsexperte Frank Sauer das "Verwundbarkeitsfenster", in dem Europa sich derzeit befinde. "Man wäre geradezu dumm im Kreml, wenn man bis 2029 wartet", sagt der Forscher der Universität der Bundeswehr im neuesten DGAP-Podcast.

Russland wäre laut Fachmeinungen schon jetzt in der Lage, die Nato mit einem Angriff geringerer Reichweite - etwa auf einen der Baltenstaaten - zu testen. Die notwendigen Fähigkeiten für solch einen begrenzten Einfall seien vorhanden. Warum also warten, bis Europa seine Verteidigungslücken weiter schließt und auch andere für den Kreml günstige Umstände sich verändern könnten? "Donald Trump ist jetzt im Amt", sagt Sauer. "Wir sind jetzt nicht vorbereitet. Jetzt ist der Moment."

Unter diesen Gesichtspunkten scheint die britisch-französisch-deutsche Initiative und die neue Freude am Führen in Europa nicht mehr nur angemessen, sondern auch dringlich. Denn auch wenn die Verträge unterzeichnet sind, lauert der Teufel bekanntlich im Detail. Davon gibt es im Rüstungswesen jede Menge, und ihre Zahl scheint sich exponentiell zu vergrößern, sobald es sich um ein Gemeinschaftsprojekt europäischer Partnerländer handelt.

Ob es um FCAS geht, den zukünftig ersten Kampfjet der sechsten Generation, den Airbus Defence & Space für Deutschland und Dassault aus Frankreich gemeinsam mit Spanien entwickeln. Um MGCS, den hochmodernen Panzer, der teils bemannt oder unbemannt in intensivsten Gefechten den deutschen Leopard und für Frankreich den Leclerc ersetzen soll. Oder aber um die Eurodrohne, die Frankreich und Deutschland gemeinsam mit Spanien und Italien entwickeln.

Innovativ, aber voll aus dem Zeitplan

Für alle drei Rüstungsvorhaben gilt: hochgelobte Leuchtturm-Projekte, sehr innovativ und technologisch hoch entwickelt. In der Umsetzung allerdings leider etwas aus dem Zeitplan gefallen, weil die Abstimmungen zwischen den Unternehmen kompliziert sind und die Aufteilung der Kompetenzen ebenso. Über FCAS war jüngst zu hören, das Projekt stehe wegen nicht lösbarer Unstimmigkeiten womöglich ganz auf der Kippe. Wenn es gut läuft, ist der Jet 2040 fertig.

Mit der Entwicklung eines neuen Kampfjets und eines neuen Panzers ist es zudem nicht getan. Europa muss dringend Fähigkeiten entwickeln, mit denen es sich vorher kaum bis gar nicht beschäftigt hat - weil die USA diesen Teil der Wehrfähigkeit für Europa bislang mit abdeckten. Strategische Verlegefähigkeit nennt Frank Sauer hier als erstes, "Aufklärungsfähigkeiten vom All bis ein paar Meter über dem Gefechtsfeld, Fähigkeiten zum deep precision strike, die wir nicht haben" - Waffen für tiefe Präzisionsschläge, die punktgenau und mit hoher Reichweite strategische Ziele tief im Gebiet des Gegners ausschalten.

All das könnten die Europäer im schlimmsten Fall schon bald selbst vorhalten müssen, sollten die USA als aktiver und starker Verteidigungspartner verloren gehen. Dieser Verlust müsste nicht mal durch die bewusste US-Entscheidung eintreten, das gemeinsame transatlantische Bündnis zu kündigen. Es könnte auch schlichte Überforderung sein, wenn die USA genötigt wären, sich militärisch im Indopazifik zu engagieren.

Unlängst beorderte das Pentagon ein Waffen- und Munitionspaket auf dem Weg in die Ukraine zurück. Bei Inventur der eigenen Rüstungsdepots war aufgefallen, dass die Lieferung nicht entbehrlich war. Beunruhigend, schließlich ging es mit Blick auf Flugabwehr um nur 30 Lenkflugkörper für Patriot. 30 Raketen verfeuert ein durchschnittlich großes Patriotsystem, ohne auch nur einmal nachzuladen. Und die haben die USA derzeit nicht übrig?

Das Trio muss die Zeit nutzen

Der Schulterschluss von Merz, Macron und Starmer, der zusätzlich zu strategischen Motiven durchaus auch auf persönlicher Sympathie zu fußen scheint, kommt zur rechten Zeit. Zumal alle drei aufgrund fragiler innenpolitischer Lagen nicht sehr fest im Sattel sitzen. Macron ist ohnehin qua Verfassung nur noch maximal knapp zwei Jahre im Amt.

Die Zeit scheint das Trio nutzen zu wollen, zumal Macrons Nachfolger deutlich weniger europafreundlich gestimmt sein könnte, als der amtierende Präsident. Und mit ihrer Bereitschaft, Tempo zu machen, nehmen die drei auch Einfluss auf schwerfälligere Tanker, wie die Nato etwa. Da können drei europäische Führungspersönlichkeiten andere mitziehen und ein behäbiges Schiff manövrierbarer machen. Der Gipfel im Juni hat das gezeigt, weitere Beispiele werden und müssen folgen.

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