„Herzlich willkommen. Heute grillen wir Thüringer.“ Und zwar Thüringer Würste und den Ministerpräsidenten des Freistaats, Mario Voigt (CDU) – beim „Politikergrillen“ von WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard. Diesmal auf einem vor dem Regenwetter geschützten Balkon des Berliner Axel-Springer-Neubaus, nicht auf der Dachterrasse.

Es fängt beschaulich an. „Die Thüringer Bratwurst ist ja mittlerweile Welterbe“, referiert Voigt. „600 Jahre gibt es sie schon.“ Was Burgard für eine Überleitung zur AfD nutzt: „Gut, also Thüringen ist ja nicht nur bekannt für Bratwurst, auch für Dichter und Denker, aber auch für, sagen wir mal, extreme politische Positionen.“ Beleg: das Ergebnis der Landtagswahl im Herbst 2024: AfD, BSW und Linke gemeinsam bei weit mehr als zwei Dritteln der Wählerstimmen, die Wagenknecht-Partei ist jetzt sogar Teil der Regierung Voigts.

„Ja“, antwortet Voigt, sagt dann jedoch: „Der Thüringer an sich ist ein ganz normaler und vor allen Dingen bodenständiger Typ, aber der merkt halt, wenn was schiefläuft. Und wir haben zehn Jahre eine linke, links-grüne Regierung gehabt, und das hat die halt genervt.“ Voigt nennt die Migration als Nervthema oder die Wirtschaftslage. „Aber jetzt haben wir eine neue Regierung, und die packt das zuversichtlich an, und das merkt man auch.“

Alles gut also? „Noch ist ja die AfD stärkste Fraktion im Landtag, das ist nirgendwo anders in Deutschland so“, hakt Burgard nach. Und zwar der AfD-Landesverband, der von Björn Höcke geführt wird. „Also wir haben keine Gesprächsbasis“, sagt Voigt mit Bezug auf den Landes- und Fraktionschef der AfD. „Ich sehe ich jetzt auch keine Notwendigkeit drin. Er ist ja noch deutlich extremer geworden.“ Und für die Sachthemen interessiere sich Höcke auch nicht. Trotz eines „Konsultationsmechanismus“, den die Landesregierung mit allen Parteien erdacht hat, als eine Art kleinster Nenner für die mindestnotwendige parlamentarische Abstimmung.

„Das läuft ganz formalisiert“, sagt Voigt. Aber man müsse es trotzdem ernst nehmen. Denn es haben ja Menschen die AfD gewählt, was der Ministerpräsident etwa verklausuliert ausdrückt: „Sie haben es ja gerade angesprochen, dass es Menschen gibt, die gesagt haben bei einer Wahl: Ich möchte jemand anderes auch unterstützen.“ Diese Wähler wolle er nicht allein lassen. „Ich will ein neues politisches Miteinander.“ Die Polarisierung müsse enden. „Und das bedeutet für mich, wenn wir eine Idee haben in der Regierung, einen neuen Gesetzesentwurf, dann geben wir den ins Parlament. Und die Oppositionsparteien, alle Oppositionsparteien, dürfen ihre Vorschläge einbringen.“

„Kommen da von der AfD auch mal vernünftige Vorschläge?“, will Burgard wissen. Voigt antwortet: „Das Interessante ist, es gab jetzt vor Kurzem einen Brief von Björn Höcke, dass er sich daran gar nicht beteiligen will.“ Da sehe man ja, dass er kein Interesse an politischer Debatte habe, sondern dass es für ihn „einfach nur um Polemik geht“.

Nächste Frage: „Sie haben die AfD jetzt sogar verklagt. Warum?“ Voigt antwortet wieder ein bisschen um die Ecke: „Ja, weil ich finde, zum politischen Diskurs gehört Zuspitzung. Das ist in Ordnung.“ Aber das ist natürlich nicht der Grund für die Klage, sondern: „Was nicht dazu gehört, ist Lüge. Und sie haben bewusst gelogen, offensichtlich auch Falschaussagen getroffen.“

Voigt meint damit eine Zeitung der AfD-Landtagsfraktion, in der der Landesregierung aus CDU, BSW und SPD geworfen wurde, Arbeitspunkte ihres 100-Tage-Programms nicht angepackt zu haben, beispielsweise einen Gesundheitsgipfel oder ein Treffen zur Automobilindustrie. Beides habe es gegeben. „Und da haben wir uns in der Landesregierung gemeinsam dazu entschieden, das nicht durchgehen zu lassen.“

Ansonsten gelte: keine Zusammenarbeit, keine gemeinsame Regierung. „Das ist für mich vollkommen klar. Weil die AfD natürlich eine menschenverachtende Politik betreibt, gerade unter Björn Höcke.“

Übergangslos wirft Voigt dann der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel vor, sie sei im ARD-Sommerinterview nach drei Dingen gefragt worden, die gut seien in Deutschland, „da hat sie nicht eine einzige Antwort gehabt. Verzeihung, das sind Leute, die sind unpatriotisch.“ Burgard wirft ein, dass das Thema dieses Interviews ja sei, dass es massiv gestört wurde. „Wie bewerten Sie den Umgang der ARD mit Alice Weidel?“

Darauf will Voigt nicht eingehen. „Mit der ARD, das habe ich gar nicht zu bewerten.“ Es ärgere ihn, dass „wir die AfD nicht in ihren Inhalten stellen, sondern immer wieder versuchen, durch solche Aktionen eigentlich abzulenken“. Die Aktion der Störer habe der Partei und ihrem Image eher genützt. „Ich glaube, es ist wichtiger, sie in der Sache zu stellen, mit ihnen zu diskutieren und deutlich zu zeigen, dass sie eigentlich keinen Plan für Deutschland haben. Und ich finde, AfD steht eher für Abstieg für Deutschland.“

Zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren hält sich Voigt eher bedeckt. Der Thüringer Innenminister von der SPD prüfe genau das, konfrontiert ihn Burgard. Voigt antwortet, es gebe da noch „Klärungsbedarf“. Das Gutachten des Bundesverfassungsschutzes sei da auch nicht völlig klar. Aber er habe „vollstes Vertrauen“ in die Länder-Innenminister. Und überhaupt: Es bleibe sowieso dabei, dass man die AfD politisch stellen muss.

Ganz ohne Abstimmung geht es aber nicht, wie Voigt eingesteht. Auch in Thüringen gebe es Ämter zu besetzen, etwa von Richtern, mit Zwei-Drittel-Mehrheit wie im Bund. Aber auch da verweigere sich die AfD. „Das lässt sich in den Mehrheitsverhältnissen ablesen. Und daran sieht man schon deutlich, sie haben kein Interesse, dass es funktioniert.“

Voigt will Social-Media-Verbot für Unter-16-Jährige

Apropos Richterwahl – nach dem einstweiligen Scheitern der Wahl neuer Bundesverfassungsrichter im Bundestag wird darüber vor allem innerhalb der Union diskutiert, deren Abgeordnete nicht zu einem geschlossenen Ja für die von der SPD nominierte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zu bewegen waren. Burgard fragt Voigt: „Jetzt mal Hand aufs Herz: dafür oder dagegen?“

Voigt mag aber weder Ja noch Nein sagen. „Zuerst einmal beginnt es im Bundestag jetzt, sich gemeinsam darüber zu verständigen. Eine abgesagte Wahl ist in der Demokratie nichts Problematisches. Das kann sein. Aber klar muss auch sein, man muss Kandidaten aufstellen, die am Ende mehrheitsfähig sind in einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Und das glaube ich, da gab es gerade im Hinblick auf das Thema Lebensschutz durchaus Diskussionen, die mich als Christ durchaus herausfordern, weil da wird jemand in ein Gericht gewählt, und muss dann doch sehr grundsätzliche Entscheidungen fällen. Das würde mir schwerfallen.“

Brosius-Gersdorf tue ihm aber auch leid, „weil sie natürlich auch öffentlich Häme hat über sich hat ergehen lassen“ müssen. „Das zeigt uns, wie mittlerweile die Verrohung durch Social Media Einzug gehalten hat.“

Die sozialen Medien scheinen für Voigt auch ein persönliches Thema zu sein. Er spricht über seine beiden Söhne, elf und 13 Jahre alt: Sie seien in der Schule die Letzten gewesen, die ein Handy bekamen. „Also wenn wir uns überlegen, Kinder werden auf Social-Media-Kanäle losgelassen, wo Fremde auf sie zugehen können, wo sie im Prinzip Enthauptungen, wo sie Pornos, wo sie Dinge sehen können, mit denen sie quasi kindlich gar nicht umgehen können.“

Woraus Voigt politisch schlussfolgert: „Es muss oberste Priorität für uns haben, die Gesundheit unserer Kinder zu schützen. So wie wir Alkohol und Zigaretten aus gutem Grund erst ab 16 oder 18 erlauben, sollten wir auch Social Media nicht länger ungefiltert an Zehnjährige lassen. Angesichts der nachgewiesenen negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit brauchen wir eine Altersgrenze für Social Media – mindestens ab 16.“

Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke