Die Mauer ist mehr als vier Meter hoch. Sie soll Menschen davon abhalten, illegal die Grenze von Belarus ins benachbarte Polen und damit in die EU zu überqueren. Mehr als 400 Kilometer ist die Grenze zwischen Polen und Belarus lang. Wo aufgrund des sumpfigen Terrains keine Mauer stehen kann, befinden sich Kameras mit Nachtsichtgeräten und Bewegungsmelder, überall können mechanisierte Einheiten des polnischen Grenzschutzes daher schnell vor Ort sein. Verstärkt werden sie von Tausenden von polnischen Soldaten. Ausgestattet sind sie seit 2024, nachdem ein Migrant einen Soldaten mit einem selbst gebauten Speer tödlich verletzt hatte, mit scharfer Munition.

Keine EU-Außengrenze ist so gut gesichert, wie die zwischen Polen und Belarus. Kein europäisches Land geht mit einer solchen Härte gegen illegale Migration an seiner Außengrenze vor, wie Polen. Der Grund: Seit den Sommermonaten 2021 treibt das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko Menschen vorwiegend aus dem Nahen Osten und Afrika nach Polen, oft gewaltsam.

Die Menschen werden den polnischen Behörden zufolge mit Werkzeugen und Waffen ausgestattet, sodass sie die Grenzanlage überwinden können; es kommt zu Scharmützeln, Flaschen und kleinere Brandbomben werden eingesetzt, Schüsse fallen. Die Lage ist äußerst angespannt.

Und doch ist sie in den vergangenen Wochen in den Hintergrund getreten. Die polnische Öffentlichkeit hat sich auf die Entwicklungen an der deutsch-polnischen Grenze gestürzt, angestachelt von den der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nahestehenden Medien, von Kampagnen in sozialen Netzwerken und nicht zuletzt durch Männergruppen sogenannter „Patrioten“ und „Freiwilliger“, die angefangen haben, auf der polnischen Seite der Grenze Fahrzeuge zu kontrollieren – und so die Souveränität des polnischen Staates, sein Gewaltmonopol, infrage gestellt.

Premierminister Donald Tusk hat sie mehrere Wochen gewähren lassen – überraschend lange also –, bis er Anfang Juli anordnete, stichprobenartige Kontrollen an den Grenzübergängen zu Deutschland durchzuführen. Sie sollen sich „spiegelbildlich“ zu den deutschen Kontrollen verhalten und auch erst dann enden, wenn Deutschland jene Praktik zurückfährt.

Zwar werden Kontrollen an den deutschen Grenzen, so auch zu Polen, schon seit Oktober 2023 durchgeführt. Doch hat die neue schwarz-rote Bundesregierung diese Kontrollen ab Mai verstärkt. Weite Teile der polnischen Gesellschaft sind dadurch aufgebracht, sie fürchten, dass deutsche Grenzpolizisten massenhaft illegale Migranten nach Polen bringen können. Gerade erst am Wochenende gab es landesweit große Demonstrationen gegen illegale Migration, die allesamt Bezug auf Deutschland und seine Grenzpolitik nahmen.

In dieser Situation besuchte am Montag Innenminister Alexander Dobrindt Polen. Es ist bereits sein zweiter Besuch im großen östlichen Nachbarland seit dem Antritt der neuen Bundesregierung am 6. Mai. Dobrindt indes wird nicht, wie man hätte erwarten können, die deutsch-polnische Grenze abfahren, er reist an die Grenze zu Belarus, um sich ein Bild von der Lage dort zu machen. Geplant ist sogar ein gemeinsamer Auftritt mit seinem polnischen Amtskollegen Tomasz Siemoniak.

Der Besuch von Dobrindt soll gleich mehrere Zeichen aussenden: Polens Politik an seiner Ostgrenze kann für Berlin zwar kein Vorbild sein. Eine dermaßen harte Grenz- und Migrationspolitik wäre in Deutschland politisch nicht mehrheitsfähig, auch wäre sie der deutschen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln; doch zeigt Dobrindt durch seinen Auftritt mit Siemoniak die Unterstützung der Bundesregierung für die Maßnahmen Warschaus.

Damit unterstreicht er nach dem Migrationsgipfel auf der Zugspitze abermals, dass die Bundesregierung migrationspolitisch umschwenkt und sich einem in der EU dominierenden Wunsch nach einer härteren Migrations- und Asylpolitik fügt.

Harte Kritik an den „Pushbacks“

Polens Vorgehen an der Grenze zu Belarus steht bei Menschenrechtsorganisationen und Aktivistengruppen in der Kritik, vor allem weil polnische Grenzer sogenannte Pushbacks durchführen, Menschen also teilweise gewaltsam über die Grenze zurückdrängen oder zurückführen. Es gibt etliche Berichte über schwer verletzte oder sogar ums Leben gekommene Migranten. Aus der EU-Kommission sowie aus europäischen Hauptstädten war die Kritik daran bislang verhalten.

Warschaus Partner zeigen Verständnis für die Sichtweise, dass Polen es mit einem „Akt hybrider Kriegsführung“ zu tun hat; „Migration als Waffe“, wie es heißt, wird demnach von Belarus und Russland eingesetzt, um Polen, aber auch andere europäische Gesellschaften zu spalten oder zu destabilisieren. Warschau argumentiert, dass seine Grenzsicherung der gesamten EU diene und fordert daher, dass die Union oder die europäischen Partner sich finanziell an der Grenzsicherung beteiligen.

Die Grenzanlage ist ein Aspekt, hinzu kommt das „Schutzschild Ost“. Es ist eine militärische Anlage, die Polen vor einem möglichen russischen Angriff schützen soll. Beides, „hybride Kriegsführung“ und ein möglicher konventioneller Angriff werden in Warschau zusammengebracht. Das Großthema Migration ist in Polen „versicherheitlicht“. Durch seinen Besuch an der Grenze erkennt Dobrindt das an. Inwieweit Deutschland sich künftig finanziell an der Grenzsicherung beteiligen kann, bleibt vorerst offen.

Grenze zu Deutschland ist unauffällig

Das zweite Signal ist, dass die Geschehnisse an der Grenze zu Belarus und die an der deutsch-polnischen Grenze zusammenhängen. Jedoch nicht so, wie rechtsnationale Kreise in Polen es behaupten: Es ist nicht Deutschland, das massenweise Menschen nach Polen bringt, es sind belarussische Grenzer, die genau das versuchen. Das zeigen die Zahlen: Auf Anfrage von WELT teilte das polnische Innenministerium mit, dass zwischen dem 7. und dem 13. Juli lediglich zwei Personen an der deutsch-polnischen Grenze festgenommen worden seien, 24 sei die Einreise verweigert worden. Dabei seien 66.950 Personen und 28.530 „Transportmittel“ kontrolliert worden.

Es ist davon auszugehen, dass in den Folgetagen und bis heute mit einer ähnlichen Intensität kontrolliert wurde und wird. In einer Stellungnahme des Ministeriums für WELT heißt es dazu, „dass Polen keine Anträge auf internationalen Schutz von Ausländern annimmt, die aus dem Hoheitsgebiet von Belarus nach Polen kommen, da die Situation der Instrumentalisierung und des Einsatzes der Migration durch Belarus als ‚Waffe im Rahmen eines hybriden Angriffs‘ zur Destabilisierung der internen Situation Polens und der Europäischen Union fortbesteht.“

Die Zahlen des polnischen Grenzschutzes bestätigen, dass das für Polen wesentliche „Migrationsgeschehen“ an dessen Ostgrenze zu verorten ist. Drei- bis viermal die Woche veröffentlicht der Grenzschutz Material über die Lage im Osten. So registrierte die Behörde zwischen dem 18. und 20. Juli 390 „Versuche eines illegalen Grenzübertritts“ an der Grenze zu Belarus. Was genau mit den Menschen geschieht, wie viele auf welche Weise zurückgedrängt oder vorerst festgenommen werden, wird in der Regel nicht publik gemacht.

Das Treffen von Dobrindt und Siemoniak zeigt darüber hinaus, dass entgegen der Stimmungsmache gegen die deutsche Grenzpolitik die Zusammenarbeit zwischen Warschau und Berlin eng ist. Tatsächlich arbeiten die Grenzbehörden gut zusammen, auch der Austausch zwischen den Innenministerien in Warschau und Berlin gilt als gut. Das bestätigten WELT mehrere mit der Sache vertraute Personen.

Dass das entscheidend dazu beiträgt, dass die Stimmung gegen Deutschland in Teilen der polnischen Gesellschaft sich dreht oder keine Falschbehauptungen durch die der PiS nahestehende Milieus mehr gestreut werden, ist allerdings wenig wahrscheinlich.

Philipp Fritz ist seit 2018 freier Auslandskorrespondent für WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet vor allem aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei sowie aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fragen, aber auch mit dem schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis.

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