Die außenpolitische Bilanz der schwarz-roten Regierung ist beachtlich. Chapeau. Für innenpolitische Themen trifft das weit weniger zu. Das Desaster bei der Richterwahl wirkt nach. Es muss rasch enden und darf nicht wiederholt werden.

Christ- und Sozialdemokraten können in der Außen- und Sicherheitspolitik erfolgreich sein, weil ihre Schnittmenge ausreicht - selbst wenn zwischendurch ein SPD-Manifest herumgeistert oder der sächsische Ministerpräsident Putins Erdgas fordert. Bei innenpolitischen Themen liegen die zur Koalition Gezwungenen jedoch weit auseinander. Das war absehbar, darf aber kein Daueraufreger werden. Anderenfalls ist die Regierung schneller am Ende als dem Land lieb sein kann.

Weil die Unterschiede stark sind, ist wechselseitiges Vertrauen-können besonders gefragt. Beide Seiten müssen Denke und Schmerzgrenze ihres Partners berücksichtigen, dürfen ihm nicht zu viele Kröten zumuten. Gleichzeitig ist es grundfalsch, die Unterschiede in einer Konsens-Sauce zu ertränken. Dann schrumpft die SPD unter zehn Prozent und die Union zur Ex-Volkspartei. Das bedeutet: Prioritäten setzen, sich auf Machbares beschränken und dieses zügig erledigen, Mut zur Lücke und zur Korrektur.

Es ist schwer vorstellbar, wie die Koalitionspartner bei der Richterwahl wieder einvernehmlich im Bundestag agieren könnten. Da haben sie einander zu viel zugemutet. Eine Neuauflage des Streits nach der Sommerpause ist unbedingt zu vermeiden. Die SPD sollte ihren umstrittenen Personalvorschlag zurückziehen; über neue Vorschläge kann der Bundestag unaufgeregt entscheiden.

Dürftige Schnittmengen in schwarz-roten Koalitionen gab es immer wieder, schon bei der allerersten, 1966 bis 1969. Letztlich hielten damals die beiden Fraktionsvorsitzenden die Regierung zusammen: Helmut Schmidt und Rainer Barzel. Beide waren sehr starke Persönlichkeiten, voll respektiert und unumstritten. Ja, das ist fast 60 Jahre her, es taugt vielleicht dennoch als Gedanke. Die CDU ist gut beraten, ernsthaft darüber nachzudenken, ob ihr Fraktionschef im Amt bleiben soll. Eine Neubesetzung könnte eine vertrauensbildende Maßnahme sein.

Der Haushalt darf kein neues Desaster werden

Die nächste Großbaustelle ist der Haushalt. Im September soll der Bundestag über ihn abstimmen. Es wäre ein Offenbarungseid, falls die Regierung keine Mehrheit findet, nach allen Beratungen in den Ausschüssen. In diesem Haushalt muss die Koalition ihre Fähigkeit belegen, das Land wirtschaftlich auf Vordermann zu bringen. Sie muss bei der Wirtschafts-, Arbeits- und Energiepolitik ähnlich geradlinig und entschlossen zu Werke gehen wie in ihrer Außenpolitik.

Ein halbherziges Hin- und her, à la Stromsteuer, braucht niemand. Bürokratieabbau im Schneckentempo ist Gift für die Wirtschaft. Der Reformstau ist immens - ein schlimmes Vermächtnis aus 16 Jahren Merkel-Regentschaft. Nicht zuletzt deshalb besteht allenthalben Handlungsdruck, auch in der Sozialpolitik. Hier sollte die SPD sich durchringen, dem Land ein paar nötige Prisen Schröder zu genehmigen.

Warum das alles? Weil's Not tut. Würde am Sonntag der Bundestag gewählt, könnte die Koalition einpacken. Für Union und SPD zusammen - ja: zusammen, nicht für eine der beiden! - würden nur knapp 41 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmen. So die Durchschnittswerte bei der Antwort auf die Sonntagsfrage in dieser Woche, gestellt von drei Meinungsforschungsinstituten. Die Zustimmung für die extremen Ränder links und rechts beträgt gut 39 Prozent.

Mögliche Statements zu den Umfragen sind absehbar: Am Anfang einer Legislaturperiode verlieren die Regierungsparteien traditionell; ist noch lange hin bis zur nächsten Bundestagswahl; Umfragewerte sind nur Momentaufnahmen. Alles richtig, aber: Der Moment bei den extremen Parteien hält schon eine ganze Weile an. Eine Trendumkehr scheint nicht in Sicht zu sein. Weder links- noch rechtsaußen.

Die AfD alleine bringt's auf sage und schreibe 25 Prozent

Haben wir bereits eine Massenarbeitslosigkeit? Nein. Lange Schlangen vor Suppenküchen? Noch nicht. Haut die AfD im Wochentakt praktikable Vorschläge raus, um reale Probleme zu lösen? Kaum messbar. Wird sie von eloquenten, sympathischen Charismatikern geführt? Noch eine rhetorische Frage. Trotzdem würde jeder Vierte sie wählen.

Wer AfD-Anhänger fragt, warum wollt ihr die wählen? So untauglich wie die sich bereits in der Opposition gebärden? Wie wollen die an der Macht etwas Gutes reißen? - der bekommt als Antwort: Mag so sein. Aber die anderen Parteien haben lange genug Zeit vergeudet und bewiesen, dass sie es nicht können, nicht einmal wollen. Sie beschäftigen sich vor allem mit sich selbst. Unsere wirtschaftlichen Sorgen interessieren die null. Wir interessieren die null.

Es wird ein Mehrgenerationenprojekt, die Frustrierten und Verirrten an den Rändern wieder für die Mitte zu gewinnen. Unnötig darüber zu grübeln, wie viele von ihnen endgültig verloren sind. Es ist kontraproduktiv und zeitverschwendend, ihnen ihr Ventil qua Verbotsverfahren nehmen zu wollen. Ein AfD-Verbot plus noch ein Ding: Dann kann die Regierung auch umgehend in einige Regionen Ostdeutschlands die Nationalgarde einrücken lassen. Das Problem dabei: Wir haben keine. Was einzig vielleicht funktioniert: die tatsächlichen Probleme des Landes endlich angehen. Ohne Scheuklappen, entschlossen und glaubhaft. Und denen, die noch zuhören wollen, mutig und klar erklären, warum was sein muss, was nicht geht und was geht und jetzt endlich gemacht wird. Letzte Patrone.

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