Der Kanzler muss viel über die gescheiterte Richterwahl reden, aber sagt dazu wenig. Dabei könnte schon eine simple Entschuldigung bei der verfemten Richterkandidatin Brosius-Gersdorf vieles verändern. Warum aber traut sich Merz das nicht?

Friedrich Merz ist ein Mann, dem Anstand etwas bedeutet. Nach allem, was so über ihn zu erfahren ist, schätzt der Bundeskanzler gleichermaßen Manieren im Umgang als auch Grundtugenden wie etwa Verlässlichkeit und Ehrlichkeit. Es sind Eigenschaften, die dem CDU-Vorsitzenden zuweilen über das eigene Lager hinaus Sympathien verschaffen. Umso mehr verwundert es, dass Merz sich in seiner ersten Koalitionskrise nicht an den eigenen Prinzipien orientiert. Sich stellvertretend für seine Partei bei der Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zu entschuldigen und Verantwortung für die zerfahrene Situation zu übernehmen, wäre anständig gewesen. Und es hätte den Weg geebnet, hin zu einer Lösung des Streits um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts.

Zweimal schon hat sich der Bundeskanzler ausführlich zur am vergangenen Freitag gescheiterten Neuwahl dreier Richter äußern müssen. Am Sonntag im Sommerinterview in der ARD und fünf Tage darauf in der Bundespressekonferenz. Merz wusste beide Male, dass ihn dort viele Fragen zur von der Union verhinderten SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf erwarteten. Viel mehr Fragen, als ihm lieb war, wollte er doch lieber über die Erfolge seiner noch jungen Regierungskoalition sprechen. Umso mehr war Merz bemüht, den Streit zwischen Union und SPD kleinzureden. "Kein Beinbruch", sagte er am Sonntag. "Keine Krise", sagte er am Freitag darauf. Was er nicht zum Ausdruck brachte, war eine Übernahme von Verantwortung.

Es ist ein Versagen der Union

"Was Frau Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erlebt hat, ist völlig inakzeptabel", sagte Merz immerhin in der Bundespressekonferenz. "Die Kritik, die da teilweise geäußert worden ist, ist unsachlich gewesen, polemisch gewesen; zum Teil persönlich beleidigend und herabsetzend." Verantwortung dafür sieht Merz aber nicht bei seiner CDU und der Schwesterpartei CSU. "Das ist eine allgemeine Atmosphäre. Ich bedauere das sehr", sagte Merz zu den Gründen der Empörungswelle, die über Brosius-Gersdorf hinwegrollt. Dabei steht die Union natürlich in maßgeblicher Mitverantwortung: Sie hätte die bis dato weitgehend unbekannte Kandidatin ablehnen können, statt im Richterwahlausschuss noch grünes Licht zu geben. Die Union hätte sich vor die Frau stellen können, als in den Tagen vor der Abstimmung im Bundestag die - vor allem im Internet verbreitete - Kritik an der Juristin jegliches Maß verlor.

Beides aber haben die Verantwortlichen von CDU und CSU versäumt. Die Union hätte Brosius-Gersdorf auch einfach mitwählen können, angesichts ihrer nun wirklich nicht extremen Ansichten. Das muss sie tatsächlich nicht. Sie steht aber in der Pflicht, mit einer derart in die Öffentlichkeit gezerrten Kandidatin verantwortungsvoll umzugehen, sprich: schützend. Die Ereignisse dieser Tage, einschließlich Morddrohungen, werden auf künftige Kandidaten abschreckende Wirkung haben, insbesondere auf hochqualifizierte Frauen. Dass Merz den entstandenen Schaden relativiert, um die Beschädigung der eigenen Regierung kleinzureden, kommt erschwerend hinzu. Zumal der über Brosius-Gersdorf ausgeschüttete Dreck teils aus seiner eigenen Fraktion kommt, etwa von der CDU-Abgeordneten Saskia Ludwig.

Ist sich Merz der Union nicht sicher?

Ein simples: "Auch wenn wir die Kandidatin am Ende nicht wählen sollten, möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei Frauke Brosius-Gersdorf für die entstandene Situation entschuldigen" wäre anständig. Brosius-Gersdorf hat sich niemandem aufgedrängt. Sie wurde von der SPD gefragt und die Union hat ihre Zustimmung überdeutlich signalisiert, bis sie es sich plötzlich anders überlegte. Jetzt scheinen Merz und Co. ganz auf einen Rückzieher der SPD und der Kandidatin zu setzen. Wenn das aber wirklich die - ausgesprochen dünne - Strategie sein sollte, hätte eine Entschuldigung geholfen, den entrüsteten Koalitionspartner SPD zu versöhnen. In der Folge würde den Sozialdemokraten auch ein gesichtswahrender Verzicht leichter fallen.

Merz dürfte das wissen. Dass er sich dennoch nicht zu solch klarer Verantwortungsübernahme überwinden kann, ist alarmierend. Es deutet darauf hin, dass Merz nicht mal für eine Entschuldigung ausreichenden Rückhalt seiner Fraktion verspürt. Wenn dem so sein sollte, steht die Regierung auf noch viel wackligeren Beinen, als es Demokraten lieb sein kann.

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