Jahrelang schießen die Verschwörungstheorien um den Sexualstraftäter Jeffrey Epstein ins Kraut. Als Trumps Regierung plötzlich sagt, da sei nichts dran, bricht an der MAGA-Basis eine Revolte aus. Republikaner blockieren die Veröffentlichung der Akten. Nun versucht es der US-Präsident mit einem Machtwort.
Was geschieht, wenn eine Verschwörungstheorie sich verselbstständigt? Sie wird unkontrollierbar. Mit diesem Problem müssen sich US-Präsident Donald Trump und seine Regierung herumschlagen, seitdem das Justizministerium und das FBI schriftlich mitteilten, im Fall des seit Jahren toten Sexualstraftäters Jeffrey Epstein nichts veröffentlichen zu wollen. Es gebe weder eine Liste mit prominenten "Kunden" oder mutmaßlich Erpressten wegen deren sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, noch sei Epstein im Jahr 2019 in seiner Gefängniszelle ermordet worden.
Trump laviert seit einer Woche und versucht, den durch das Dokument ausgelösten Aufruhr und die Zweifel an der eigenen Regierung zu ersticken. Er probierte es mit Schulterzucken und Desinteresse, verteidigte Justizministerin Pam Bondi, FBI-Chef Kash Patel und dessen Vize Dan Bongino, sagte Bondi solle "alles, was sie für glaubwürdig hält" veröffentlichen. Nichts hat geholfen. Nun eskaliert Trump und stellt seine MAGA-Basis und damit die Republikaner vor eine Wahl: Ich oder Epstein. Die Akten über den Sexualstraftäter seien eine Erfindung der "radikalen linken Demokraten" und "meine FRÜHEREN Unterstützer haben diesen Blödsinn voll und ganz geschluckt", pöbelte er auf Truth Social. "Diese Schwächlinge machen die Arbeit der Demokraten." Im Weißen Haus ging es weiter: "Sie sind dumme Leute", sagte er bei einem Pressetermin. Trump greift damit seine eigenen Wähler an.
Die Aufregung über das "Hier gibt es nichts zu sehen" der US-Regierung in Sachen Epstein ist die bisher größte offene Revolte in Trumps zweiter Amtszeit. In einer Umfrage sagen 40 Prozent der republikanischen Wähler, sie seien wegen Epstein unzufrieden mit der Regierung. Unter Demokraten sind es 56 Prozent - auch sie setzen die Regierung unter Druck. Eine - sehr frühe - Umfrage deutet darauf hin, dass die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus, das 2026 komplett neu gewählt wird, gehörig wackelt, wenn die Konservativen gegen die Interessen der eigenen Wähler handeln.
"Ich glaube nicht, dass die Veröffentlichung eines Truth-Social-Postings diese Angelegenheit verschwinden lässt", war Trumps Vertraute Laura Loomer am Dienstag von "Politico" zitiert worden. "Es hatte eine Art Streisand-Effekt, die Leute sind jetzt viel mehr auf dieses Thema fokussiert als vorher." Loomer fordert einen Sonderermittler im Fall Epstein, der auch Justizministerin Bondi unter die Lupe nehmen soll. Die rechte Influencerin äußert sich schon lange äußerst kritisch über die Ressortchefin. Andere Stimmen der MAGA-Basis stellen Bondis Loyalität infrage. Bondi schmettert bislang alle Kritik ab. "Das Memo", meint sie, "spricht für sich selbst".
In seinem Podcast prognostiziert Stephen Bannon, der einflussreiche frühere Berater Trumps, ausbleibende Veröffentlichungen im Fall Epstein als politisches Risiko. "Sie werden zehn Prozent der MAGA-Bewegung verlieren", prognostizierte er. Die Republikaner könnten bei den Zwischenwahlen im kommenden Jahr Dutzende Sitze im Repräsentantenhaus verlieren - und damit die Mehrheit in der Kongresskammer.
Kongresspolitiker fordern Veröffentlichungen
Die dortigen Republikaner fordern vom Justizministerium mehr Informationen über den Fall. Und zwar nicht irgendwer: Der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Mike Johnson ("Die Regierung sollte alles offenlegen und die Menschen entscheiden lassen."), die Abgeordneten aus Trumps mächtigem MAGA-Parteiflügel Marjorie Taylor Greene und Lauren Boebert, Senator John Kennedy und andere. Sogar Trumps Schwiegertochter Lara Trump, Co-Parteivorsitzende der Republikaner, forderte "mehr Transparenz" - und zwar vom Weißen Haus.
Die Demokraten versuchen derweil, von dem Aufstand bei den politischen Rivalen zu profitieren. Trump "versteckt die Epstein-Liste", schrieb etwa Senator Ruben Gallego. Der Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, sagte, "die Amerikaner verdienen, die Wahrheit zu erfahren". Die Demokraten trollen die Regierung mit dem X-Konto "Hat Trump die Epstein-Akten veröffentlicht?" und verwenden ein Foto der beiden als Titelbild. Täglich postet ein Bot: "Nein". Im Kongress scheiterten ihre Abgeordneten mit dem Versuch, die Veröffentlichung zu erzwingen. Die Republikaner blockierten es im Ausschuss. Die Vorsitzende meinte danach: "Was angemessen ist, wird veröffentlicht, wenn es an der Zeit für den Präsidenten ist, es zu veröffentlichen."
Der bestens vernetzte Epstein, mit Villen in New York und auf einer Privatinsel in den U.S. Virgin Islands, wohin er einflussreiche Leute aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einlud, soll kein Buch geführt haben? Es soll keine Belege für eine Beteiligung an seinen Verbrechen geben? In der MAGA-Welt aus Wählern, Influencern und Medien möchte das kaum jemand akzeptieren. "Wir haben an Trumps Plan geglaubt, aber jetzt ist Trump der tiefe Staat", sagte einer seiner Anhänger exemplarisch im rechten Fernsehnetzwerk "Real America's Voice": "Was ist mehr tiefer Staat als Pädophile zu schützen? Warum würde man auf diese Insel fliegen? Warum würde man dieses Flugzeug besteigen?"
Der tiefe Staat ist der Glaube an Verschwörungen an höchsten Stellen in Washington, und im Fall von Epstein als Nexus eines internationalen Netzwerks von Kindervergewaltigern von Politik und Gesellschaft. Auch in Trumps Regierung hatten viele die Verschwörungstheorien um Epstein weitergetragen, wonach der Finanzinvestor eine Liste der vielen einflussreichen Personen führte, denen er minderjährige Opfer für sexuellen Missbrauch vermittelte - und er deshalb ermordet wurde.
Wer schützt wen?
Warum also wurde nun nichts veröffentlicht, obwohl es immer wieder, unter anderem von Justizministerin Pam Bondi und FBI-Chef Kash Patel selbst, versprochen worden war? Es gibt drei Möglichkeiten.
Erstens, die Beteiligten sind ehrlich. Sie glaubten daran, dass sie, einmal an der Macht, eine Liste und Belege dafür finden würden, dass Epstein ermordet worden war - fanden aber keine. Es stimmt also, was das Justizministerium und das FBI mitgeteilt haben. Zweitens, Trump, sein Vize JD Vance, Bondi, Patel und Bongino wussten, dass es kein Netzwerk an Kindervergewaltigern mit Epstein im Zentrum gab. Sie belogen die Öffentlichkeit und ihre eigene Basis bewusst, um Geld zu verdienen und Trump zurück an die Macht zu bringen. Nun müssen sie sich mit den Folgen befassen. Drittens, das vom Justizministerium und FBI durchforstete Material enthält Hinweise auf Trump auf einer wie auch immer gearteten Kundenliste, und die Regierung versucht, ebendies zu vertuschen, um ihn zu schützen.
Schließlich beruht Trumps politischer Erfolg auch auf Verschwörungstheorien. Seit 2011 stellte er wiederholt infrage, dass der damalige Präsident Barack Obama in den USA geboren ist. Er behauptet noch immer, er habe die Wahl 2020 gewonnen, weil es umfassenden Wahlbetrug gegeben habe. Vergangenes Jahr behauptete er, Einwanderer im Bundesstaat Ohio äßen ihre Haustiere. Und er sagte: "Ich schätze schon", als er gefragt wurde, ob er als Präsident die Akten über Epstein veröffentlichen würde. Doch jetzt, nach einem halben Jahr im Amt, möchte er nichts mehr damit zu tun haben.
Trump macht sich üblicherweise Verschwörungstheorien zunutze, statt sie zu dementieren. Er erfindet sie, lässt sie laufen, treibt sie weiter. Doch dieses Mal haben die Republikaner und er den Geist, der den Präsidenten verfolgt, selbst beschworen und dann aus der Flasche gelassen. Und damit Trumps erste Regierungskrise verursacht.
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