Am Freitag blamieren sich die Regierungsfraktionen mit einer gescheiterten Verfassungsrichterwahl. Am Sonntag gibt Friedrich Merz sein erstes Sommerinterview als Kanzler. Die Strategie hinter der Krisenkommunikation wird klar erkennbar, doch wichtige Antworten bleibt Merz schuldig.

48 Stunden sind nach den Maßstäben der politischen Krisenkommunikation ein luxuriös langer Zeitraum. Zumal an einem Wochenende, an dem just ein Großteil des politischen Betriebs in die Sommerferien enteilt ist. So konnten Bundeskanzler Friedrich Merz und seine Führungsriegen in CDU und Kanzleramt zwei volle Nächte und Tage überlegen: Was soll der Regierungschef in seinem ersten Sommerinterview sagen zu der am Freitag im Bundestag so krachend gescheiterten Bundesverfassungsrichterwahl? Die Antwort: Eigentlich, so Merz im Gespräch mit der ARD, sei überhaupt nichts Aufsehenerregendes passiert. Jedenfalls nichts, was den gelungenen Start seiner Regierungskoalition aus Union und SPD schmälert.

"Das ist nicht schön, aber das ist nichts, was uns umwirft", sagt Merz über die kurzfristig abgesagte Wahl von insgesamt drei neuen Richtern, nachdem in der eigenen Fraktion der Widerstand gegen die von der SPD vorgeschlagene Juristin Frauke Brosius-Gersdorf unüberwindbar geworden war. "Wir hätten früher erkennen können, dass es da zumindest Unmut gibt", so Merz, der Verständnis für die Gewissensentscheidung der CDU- und CSU-Abgeordneten äußerte. Dass Partei- und Fraktionsführung diesen "Unmut" nicht rechtzeitig erkannt hätten, führt Merz auf eine Überforderung durch das "straffe" Gesetzgebungsprogramm der vergangenen Wochen zurück. Dennoch: "Das ist nun wirklich kein Beinbruch."

Keine Andeutungen zu Lösungsweg

Der Kanzler setzt also nach den so plötzlich wie heftig aufgetretenen Rissen im eigenen Regierungsbündnis darauf, die aufgeheizte Stimmung erst einmal herunterzukühlen. Offenbar auch deshalb, weil er selbst noch keine Antworten auf eine mögliche Lösung der Krise zwischen CDU und CSU einerseits und Sozialdemokraten andererseits geben kann. "Da gibt es jetzt keinen Zeitdruck, das werden wir jetzt in Ruhe miteinander besprechen", sagt Merz und lässt sich auch auf wiederholte Nachfrage keine Antwort zum Wie entlocken. Schließlich hat die SPD deutlich gemacht, weiter an Brosius-Gersdorf festhalten zu wollen.

"Ich wiederhole es jetzt zum dritten Mal", sagt Merz zur Frage, was er über den SPD-Vorschlag eines Vorstellungsgesprächs von Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion denke. "Ich werde hier keine weiteren Ankündigungen machen." Dass der Kanzler gerade genervt wirkt, muss der Zuschauer sich dazu denken. Der CDU-Vorsitzende ist erkennbar gefasst auf die ihn erwartenden Fragen. Er bleibt ruhig und verzieht keine Miene, wo Amtsvorgänger Olaf Scholz selten seine Missachtung für nervige Fragen verbergen konnte. Seinen Fraktionsvorsitzenden nimmt Merz in Schutz: Jens Spahn sei für den Job der richtige, "eindeutig ja".

Dass er Spahn in einem Fernsehinterview abräumen könnte, war indes auch nicht zu erwarten. Dieser hat sich seit Freitag noch gar nicht öffentlich eingelassen und auch der Rest der Fraktionsspitzen hält sich zurück. Insbesondere aus der Union: überwiegend beredtes Schweigen. Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil sagt auch lieber nichts, doch bei seinen Genossen brodelt es nach dem Wahleklat. Auch Merz weiß das.

Kritik von Ex-Verfassungsrichter und Bundespräsident

Dass die Bundesregierung durch den Richterstreit "beschädigt" sei, wie es Ex-Verfassungsrichter und CDU-Ministerpräsident Peter Müller formuliert, teile er "ausdrücklich nicht", sagt Merz. Im ebenfalls am Sonntagabend ausgestrahlten ZDF-Sommerinterview stimmt Frank-Walter Steinmeier dagegen zu. "Es geht hier um Autorität und Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts, die müssen wir erhalten", mahnt Steinmeier. "Die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt". Und: "Natürlich rührt das auch an der Autorität des Parlamentes", so das deutsche Staatsoberhaupt. Merz dagegen sagt über den Streit: "Meine feste Überzeugung ist, dass große Teile der Bevölkerung das höchstens aus dem Augenwinkel verfolgen."

Das kann man Merz glauben, doch der Vorgang vom Freitag rüttelt am zentralen Versprechen seiner noch jungen Regierungszeit: dass Schwarz-Rot anders als Scholz' Ampelkoalition eben nicht durch permanenten Streit auffällt, sondern durch ruhiges Abarbeiten des Koalitionsvertrags. Und genau darüber möchte Merz an diesem Abend am liebsten reden: "Wir haben ihn [den Koalitionsvertrag] im Übrigen, ich will es noch einmal sagen, bis zur parlamentarischen Sommerpause, 11. Juli, punktgenau eingehalten."

Der Bundeskanzler erinnert an den Bundesrat, der ebenfalls am Freitag in Berlin zusammenkam und 13 Gesetze der Koalition durchwinkte - darunter das umfassende Entlastungsprogramm für die deutsche Wirtschaft. Dass die ebenfalls im Koalitionsvertrag für dieses Jahr vereinbarte Absenkung der Stromsteuer so erst einmal nicht kommt, wird nicht Thema des Gesprächs. Dabei trug der genauso öffentliche Streit hierüber zum Eindruck ein, dass zwischen Union und SPD viel mehr im Argen liegt als nur fehlender Enthusiasmus füreinander.

"Ich prophezeie Ihnen, das bleibt schwierig"

Merz' dritte Botschaft der Krisenkommunikation neben "nichts schlimmes passiert" und "wir lösen das" lautet: "könnte wieder passieren". In Merz Worten: "Ich prophezeie Ihnen, das bleibt schwierig. Richterwahlen in diesem Deutschen Bundestag durchzuführen, bleibt schwierig." Das gelte auch für die Kanzlerwahl, bei der Merz im ersten Durchgang durchfiel, und für Gesetzgebungsverfahren. "Das wird ein Stück politische Normalität in unserer Demokratie werden, die sich so weit auffächert, wie sie dann auch im Deutschen Bundestag sich widerspiegelt."

Dennoch zeigt Merz auf Nachfrage keine Bereitschaft zu Gesprächen mit der Linkspartei, deren Stimmen die Regierung für Zweidrittelmehrheiten ohne AfD braucht. Die Linke fordert dagegen einen direkten Austausch mit der Union. Sei es nun über die Wahl eines Bundesverfassungsrichters oder über etwaige Grundgesetzänderungen. Solch eine nämlich wäre die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform der Schuldenbremse. Die Reform soll nun laut Merz im ersten Quartal 2026 kommen. Der Koalitionsvertrag hatte sie für das laufende Jahr festgelegt. Ebenfalls ein Punkt, der nicht "punktgenau" eingehalten wird.

"Wir arbeiten weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zusammen", wiederholt Merz. "Das heißt nicht, dass man im Parlament nicht auch Abstimmungen haben kann, wo mal der eine, mal der andere bestimmten Vorhaben zustimmt." Was dabei offen bleibt: Die Linke will auch etwas haben für ihre Stimmen. Eine Schuldenbremsenreform, die auch ihren Vorstellungen entspricht. Das Vorschlagsrecht für eine Richterstelle, das bis zu ihrem Bundestagsrauswurf der FDP zukam. Außerdem: Die Linke dürfte ihre Zustimmung zum derzeitigen Richterkandidaten der Union, Günther Spinner, nun ebenfalls von einer Zustimmung zu Brosius-Gersdorf abhängig machen. Schon allein, um die Sozialdemokraten noch ein wenig mehr zu quälen, sollten diese Abstand von der eigenen Kandidatin nehmen, die derzeit so im öffentlichen Feuer steht.

Kommt alles viel, viel schlimmer?

Merz muss sich also darauf einstellen, dass das Thema Richterwahl seine Koalition auch in den kommenden Wochen belasten wird. Und das ist schon das bessere Szenario unter den im Raum stehenden. Sollten die USA, wie am Samstag angekündigt, tatsächlich EU-Produkte ab 1. August mit 30 Prozent Zöllen belegen, erwartet Merz noch vor Ablauf seiner ersten 100 Amtstage eine Krise heftigen Ausmaßes. Er engagiere sich "wirklich intensiv" für eine Verhandlungslösung mit US-Präsident Donald Trump, sagt Merz. "Das setzt zweierlei voraus: Geschlossenheit in der Europäischen Union und vernünftige Gesprächsfäden zum amerikanischen Präsidenten."

Für den Fall, dass die Zollaufschläge dennoch kommen, zeichnet der so gar nicht zu Fatalismus neigende Kanzler ein düsteres Bild. "Wenn das käme, dann könnten wir große Teile unserer Anstrengungen um die Wirtschaftspolitik hinten anstellen. Denn das würde alles überlagern und würde die deutsche Exportwirtschaft ins Mark treffen." Im Vergleich zu einer ausufernden Wirtschaftskrise anstelle der zuletzt verbesserten Wachstumsprognosen ist eine verschobene Richterwahl wohl tatsächlich "kein Beinbruch". Wie die Regierung aber einer solchen Herausforderung gewachsen wäre, wo sie schon vormalige Formalien nicht reibungslos geregelt bekommt, dürfte auch Friedrich Merz nicht herausfinden wollen.

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