Seit ihrem Amtsantritt verfolgt Wirtschaftsministerin Reiche der Verdacht, die Erneuerbaren im Interesse der großen Energieunternehmen ausbremsen zu wollen. Eine von ihr in Auftrag gegebene Studie gibt der Skepsis weiter Futter.

"Die Ausbauszenarien überhaupt für Energie, die muss sich eine nächste Bundesregierung nochmal anschauen", sagt Katherina Reiche Mitte April. Die heutige Bundesministerin für Energie und Wirtschaft ist damals, als sie im Podcast von Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen zu Gast ist, noch Energie-Managerin. Eine Woche darauf wird bekannt, dass Reiche besagter Bundesregierung angehören wird. Ihre Forderung kann sie nun selbst umsetzen: Ende August soll bereits ein finaler Bericht vorliegen, wie eine "Neuausrichtung der Energiepolitik" Deutschlands aussehen könnte. Das sogenannte Monitoring wird Folgen haben - nicht wenige befürchten: zum Nachteil der Energiewende.

Am Dienstag veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ein Papier, in dem Reiches Ministerium die Anforderungen an das Monitoring ausführlich beschreibt. Das Aufgabenpapier bestätigt jene, die von der CDU-Politikerin nicht weniger als einen Angriff auf den Ausbau der erneuerbaren Energien erwarten. "Katherina Reiche hat ideologische Scheuklappen auf: Anstatt Innovationen und die Erneuerung des Wirtschaftsstandorts in Schlüsselbereichen voranzubringen, möchte sie offenbar Stillstand und Stagnation verwalten", kommentierte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner den Bericht.

Für Stirnrunzeln in Fachkreisen sorgt sowohl die Auftragsbeschreibung als auch die Vergabe an ein Institut, dem qua Entstehungsgeschichte eine geistige Nähe zur fossilen Energiewirtschaft zugeschrieben wird: Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln - kurz: EWI - wurde ursprünglich vor allem von den Energieriesen RWE und Eon finanziert. Eon ist auch Muttergesellschaft des Verteilnetzbetreibers Westenergie. Dort führte Reiche zuletzt die Geschäfte, bevor sie von Friedrich Merz ins Bundeskabinett berufen wurde, weil CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nicht Nachfolger von Robert Habeck werden wollte.

Rütteln an den Klimazielen

Reiches biografische Nähe zu den großen Energieversorgern macht sie in den Augen ihrer Kritiker seit Tag eins verdächtig. Die Bundesministerin quittiert entsprechende Anwürfe mit Ironie. Als die 51-Jährige Anfang Juni beim Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft ein Grußwort spricht, sagt sie unter Bezugnahme auf die Lobbyismus-kritische Organisation: "Vielleicht darf ich auch sagen: Liebe Ex-Kollegen! Aber dann schreit wieder Lobbycontrol auf."

Einen Aufschrei gibt es tatsächlich und er könnte noch lauter werden, denn Reiche sägt am gesetzlich verankerten Ziel der Klimaneutralität Deutschlands bis 2045. Wiederholt wirbt sie für eine "Harmonisierung mit internationalen Zielen". Sprich: Deutschland solle wie andere Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens die Klimaneutralität erst für 2050 anstreben. Reiche argumentiert dabei vor allem mit den Kosten, der Umsetzbarkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz der Klimawende. Unterstützt wird Reiche von der sie beratenden Wirtschaftsweisen Veronika Grimm. "Es wäre aus meiner Sicht entscheidend, das Ziel der EU - 2050 - möglichst kostengünstig zu erreichen", sagte Grimm der "Süddeutschen Zeitung". Deutschland sei ohnehin nicht auf Pfad für 2045 und Deutschland solle sich "für die Jahreszahl auch nicht verkämpfen".

Den Kanzler hat Reiche an ihrer Seite, den Koalitionspartner SPD dagegen nicht. Die Forderung der Bundesministerin habe "etwas mit der realistischen Einschätzung dessen zu tun, was wir tatsächlich erreichen können", kommentierte Friedrich Merz in der Sendung "Maischberger". Bundesumweltminister Carsten Schneider hält dagegen: Deutschlands CO2-Neutralität bis 2045 sei "ein zentrales Projekt der Bundesregierung", sagte der SPD-Politiker Mitte der Woche in München. Das Thema hat in den kommenden Monaten durchaus Sprengkraft für die Koalition, die sich vom Dauerstreit der Vorgängerregierung abheben will. Entsprechende Bedeutung kommt nun dem Monitoring-Bericht zu, der Reiches künftige Energiepolitik durch Argumente da unterfüttern soll, wo ihre Gegner "ideologische Scheuklappen" vermuten.

Detaillierte Vorgaben an Studien-Autoren

Doch schon die ganze Anlage des Monitorings lässt aufhorchen. In der Auftragsbeschreibung an das EWI und die BET Consulting GmbH schreibt Reiches Ministerium selbst von einem "extrem ambitionierten Zeitplan". Ende Juni wird der Auftrag festgezurrt, der Entwurf des Berichts ist auf Ende Juli festgelegt, Ende August soll der finale Bericht stehen. Die Autoren sollen allerdings auch nicht das Rad neu erfinden, sondern sich an existierenden Studien orientieren, eine ganze Reihe wird explizit aufgelistet. Leitfrage des Monitorings sei, "ob es einer Neuausrichtung der Energiepolitik bedarf, um bei der Umsetzung nationaler und europäischer Klimaziele Kosten zu minimieren und Versorgungssicherheit zu gewährleisten", so das BMWE.

Ferner heißt es: "Die zu erarbeitenden Handlungsoptionen sind nicht an die bisherigen Zielszenarien der Bundesregierung gebunden. Es ist explizit eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Szenarien und deren Annahmen gewünscht." Auf keiner der 13 Seiten wird nach Möglichkeiten zu einer Beschleunigung der Energiewende gefragt. "Zentrales Bewertungskriterium ist die Minimierung der Gesamtsystemkosten", schreibt das BMWE zu möglichen Handlungsoptionen.

Eine zentrale, in Fachkreisen hochumstrittene Größe ist dabei Deutschlands künftiger Strombedarf. Auch diesen soll das Energiewende-Monitoring ermitteln - und zwar laut BMWE kompatibel mit dem Erhalt und der Weiterentwicklung der deutschen Industriestruktur und dem zu erwartenden Tempo des Stromnetzausbaus. Das zu "erwartende Tempo" ist dabei ein anderes als das mögliche Tempo. Reiche könnte schließlich auch danach fragen, wie ihr Ministerium Ausbauhemmnisse weiter minimieren und für die Branche entsprechende Anreize setzen könnte.

Ein weiterer Faktor ist hierbei die Wärmewende: Heizen immer mehr Menschen künftig mit Strom, wächst der Bedarf. Was aber die Bundesregierung plant, die ja das Heizungsgesetz laut Koalitionsvertrag "abschaffen" will, scheint selbst Reiche noch nicht zu wissen, und die Studienautoren erst recht nicht. Auffällig auch: Das BMWE fordert von den Erstellern des Berichts, einen "Begleitkreis" einzurichten aus Wissenschaftlern und Menschen "aus der energiewirtschaftlichen Praxis". Diesem soll der Entwurf des Abschlussberichts vorgelegt werden. Bei der Besetzung des Kreises behält sich das Ministerium eine Mitsprache vor.

Reiche ist der Erneuerbaren-Zuwachs schon zu viel

Laut Auftragsbeschreibung überlaste der schnelle Zubau erneuerbarer Energien das Stromnetz und verursache so hohe Kosten. Das Monitoring solle daher klären, ob es "Anpassungsbedarf in den Zeitplänen und bei geplanten Inbetriebnahmen gibt". Reiche hat diesbezüglich schon eine klare Meinung. Bei der wichtigsten Jahresveranstaltung des Bunds der deutschen Industrie (BDI) spricht die Ministerin von einem "völlig unrealistischen, völlig überzogenen Erneubaren-Ziel".

Auch wie die "Neuausrichtung der Energiepolitik" aussehen soll, hat Reiche offenbar schon im Kopf: Künftig solle sich der Zubau von Strom aus Wind, Wasser und Solar an den Übertragungs- und Verteilnetzkapazitäten ausrichten, nicht andersherum. Zudem will Reiche Unternehmen, die mit erneuerbaren Energien Geld verdienen, an den Kosten des Netzausbaus beteiligen. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat ein entsprechendes Verfahren gestartet, das Wege zur Umsetzung ermitteln soll.

Rasant wachsende Kosten der Energiewende

Tatsächlich boomt der Ausbau der Erneuerbaren auch durch die gesetzlich abgesicherte Profitabilität des Geschäfts, egal ob zu Land oder zu Wasser. Allein für abgeregelte Ökostromanlagen haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im vergangenen Jahr genau 554 Millionen Euro hingeblättert. Die EEG-Umlage, die den Anbietern eine feste Vergütung pro eingespeister Kilowattstunde Strom garantiert, verursachte 2024 Kosten in Höhe von 18,5 Milliarden Euro.

Hinzukommen die Netzentgelte zum Erhalt und Ausbau des Stromnetzes. Diese belaufen sich auf Milliarden Euro und machen rund ein Viertel des Verbraucherstrompreises aus. Um Verbraucher zu entlasten, plant der Bund ab dem laufenden Jahr mehr als 6 Milliarden Euro zuzuschießen, dennoch könnten die Netzentgelte den Strompreis weiter verteuern. Wegen der hohen Netzausbaukosten könnten die Netzentgelte in den kommenden zehn Jahren noch einmal um 30 Prozent steigen, rechnet das private Forschungsinstitut Agora Energiewende vor.

Was folgt aus dem Monitoring?

Während also Verbraucher und Steuerzahler den immer grüner werdenden Strom schon massiv subventionieren, darbt die Wirtschaft: Hohe Strompreise mindern nicht nur die Kaufkraft und senken die Binnennachfrage, auch der Unternehmensstandort leidet. Vom kleinen Mittelständler bis zum Großkonzern klagen Firmen über die im internationalen Vergleich weiterhin hohen Stromkosten in Deutschland.

Wirtschaftsverbände, Netzbetreiber und Forschungsinstitute haben vor diesem Hintergrund zuletzt zahlreiche Vorschläge vorgelegt, wie der Netzausbau neu priorisiert werden könnte, ohne die kurzfristigen Ausbauziele beim Anteil der erneuerbaren Energien zu torpedieren. Hier könnte Katherina Reiche ansetzen.

Sollte die Studie allerdings zuvorderst zu dem Ergebnis kommen, dass der prognostizierte künftige Strombedarf deutlich niedriger angesetzt werden kann und es jetzt vor allem mehr Gaskraftwerke zur Sicherherstellung der Netzstabilität und den Umgang mit Dunkelflauten braucht, dürfte das Energiewendemonitoring die Befürchtungen von Reiches Gegnern bestätigen: Dann dürften die Aussagen des Berichts vor allem im Lichte seines Zustandekommens gelesen werden - kurzfristig, eng definiert und von einem Institut, das eben nicht überparteilich als unabhängig wahrgenommen wird.

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