Die Chatnachrichten des Polizisten Michael R. waren voller Menschenverachtung. Über die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern schrieb R., er wünsche sich, Charlotte Knobloch würde in ein Konzentrationslager verbracht und vergast werden. Über den früheren israelischen Generalkonsul in München, Dan Shaham, schrieb er, ihm sei als Fahrziel nicht Auschwitz oder Flossenbürg, sondern Dachau lieber, da komme man „früher heim“. Sein Gesprächspartner antwortete: „Aber nicht der, der den Ofen sauber machen muss.“ Dies schrieb R., während er als Personenschützer für Knobloch und Shaham im Einsatz war.
Er schrieb auch, er wolle Knobloch „vor die Tür scheißen, schön braun, mit Fähnchen“. Immer wieder verwendete er die nationalsozialistischen Abkürzungen HH („Heil Hitler“) und SH („Sieg Heil“). Als die Nachrichten bekannt wurden, verbot das Polizeipräsidium München dem Beamten im August 2020 die Führung der Dienstgeschäfte und enthob ihn im Februar 2021 des Dienstes.
Das Präsidium begründete dies mit einer „über Jahre verfestigten Nähe zu rechtsradikalen und nationalsozialistischen Ideologieinhalten“. Es liege ein Verstoß gegen die politische Treuepflicht vor; die Äußerungen seien mit der besonderen Vertrauensstellung eines Polizeibeamten im Hinblick auf die Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar. Das in ihn gesetzte Vertrauen sei „irreparabel und vollständig zerstört“.
Nun hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass R. gegen den Willen des Präsidiums in den Dienst zurückkehrt und lediglich um eine Besoldungsstufe zurückgestuft wird. Dem Beklagten könne „keine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Gesinnung nachgewiesen“ werden, heißt es in dem Urteil. Die Chatnachrichten unterlägen „der Vertraulichkeit der Kommunikation und damit dem grundrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der Meinungsfreiheit“. Das Urteil wurde bereits am 19. Februar gesprochen und nun durch eine Berichterstattung des juristischen Fachportals „Beck Online“ bekannt.
Darin heißt es weiter: „Das öffentliche Interesse an disziplinarer Ahndung außerdienstlicher Verfehlungen muss regelmäßig zurücktreten, wenn die inkriminierten Äußerungen ohne echten Kundgabewillen nur im engsten Familien- oder Freundeskreis gefallen sind.“ Zwar könnten auch vertrauliche Äußerungen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen, da es nicht erlaubt sei, Verfassungsfeinde mit der Ausübung staatlicher Aufgaben zu betrauen. Dies gelte aber eben nur, wenn die Äußerungen „einen Rückschluss auf eine ernsthafte verfassungsfeindliche Gesinnung des Beamten“ zuließen.
Im Beamtenstatusgesetz heißt es: „Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.“ Dabei geht es insbesondere um die Menschenwürde und das Demokratieprinzip. Laut Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist mit der Treuepflicht insbesondere ein Verhalten unvereinbar, das geeignet ist, das NS-Regime zu verharmlosen sowie Kennzeichen der NS-Ideologie gesellschaftsfähig zu machen.
Das „bloße ‚Haben‘ oder ‚Mitteilen‘ einer nicht verfassungstreuen Überzeugung“ stelle allerdings noch keinen Verstoß gegen die Pflicht zu verfassungstreuem Verhalten dar, heißt es im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs weiter. Ein Verstoß erfordere ein „nach außen gerichtetes Verhalten“. Der Polizist habe nicht mit einem Bekanntwerden seiner Äußerungen rechnen müssen, da zu den Chatpartnern ein freundschaftliches Verhältnis bestanden habe. In Chats würden zudem auch „Insider-Witze geteilt, die der Selbstdarstellung dienen und zur Gruppen- und Freundschaftsbindung beitragen“.
Zur Nachricht „Nur Kanacken im Zug“ heißt es im Urteil, es handle sich nicht generell um einen ausländerfeindlichen Inhalt, sondern „nicht ausschließbar um eine überzogene und überspitzt formulierte Reaktion auf eine konkrete Einzelfallsituation“. Der Großteil der inkriminierten Nachrichten sei außerdem auf einen „auf kurzfristige Lacher angelegtem Überbietungswettbewerb an geschmacklosen und menschenverachtenden Bemerkungen“ zurückzuführen. Es sei daher nicht auszuschließen, „dass der Beklagte den Gehalt seiner Postings nicht ernst gemeint hat und dass die ‚Unterhaltungskomponente‘ für ihn im Vordergrund stand“.
„Der Mann ist im Polizeidienst völlig fehl am Platz“
Aus der Politik wird nun Kritik an dem Urteil laut. „Die Entscheidung des VGH Bayern ist schwer nachvollziehbar“, sagte der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, WELT. Die Äußerungen seien „in höchstem Maße menschenfeindlich und damit eindeutig gegen die Werte des Grundgesetzes gerichtet“. „Dieser Fall zeigt, dass wir auch in der Justiz noch viel Aufklärungsarbeit über Antisemitismus und seine Folgen zu leisten haben. In ganz Deutschland und auch in Bayern“, sagte Klein weiter.
Der bayerische Antisemitismus-Beauftragte Ludwig Spaenle (CSU) sagte WELT: „Ich finde es unerträglich, wenn ein Polizist Personen, die er schützen soll, ein Schicksal wie in der NS-Diktatur wünscht. Deshalb bedaure ich die Abwägung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sehr.“ Man müsse von Polizisten erwarten können, „dass sie auch auf ihren privaten Plattformen keine judenfeindlichen oder rassistischen Aussagen treffen oder diese teilen“, sagte der frühere bayerische Kultusminister weiter.
„Dass der Polizist in den Dienst zurückkehren kann, halte ich für absolut unbefriedigend“, sagte der CSU-Politiker Karl Freller, der seit 1982 im bayerischen Landtag sitzt. „Der Mann ist im Polizeidienst mit so einer erschreckenden Geisteshaltung meines Erachtens völlig fehl am Platz.“ Freller ist neben seinem Landtagsmandat Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.
Auch die Betroffene Charlotte Knobloch kann die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht nachvollziehen. „Das Urteil macht mich ratlos“, sagte sie WELT. „Denn es geht ja um Vertrauen. Menschen, die auf den Schutz von Sicherheitskräften angewiesen sind, müssen diesen vertrauen können. Ich wünsche mir in der Justiz ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass Judenhass nicht nur jüdische Menschen bedroht, sondern die Demokratie und mit ihr den Rechtsstaat – egal wo er geäußert wird.“
Das Urteil ist rechtskräftig. Zuvor hatte bereits das Verwaltungsgericht München im Februar 2023 die Entfernung des Personenschützers aus dem Beamtenverhältnis zurückgewiesen und den Polizisten um zwei Besoldungsstufen zurückgestuft. Das Polizeipräsidium München ging in Berufung. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Disziplinarmaßnahme nun sogar noch um eine Stufe abgeschwächt. Das Präsidium setzt den Beamten seit dem neuen Urteil ausschließlich im Innendienst ein.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Im September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.
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