SPD-Politiker werfen Kanzler Friedrich Merz vor, sich beim Thema Grenzkontrollen nicht ausreichend mit europäischen Partnern abgestimmt zu haben. „Die enge Absprache mit den europäischen Nachbarn ist Merz und Dobrindt bisher mäßig gelungen“, sagte Adis Ahmetović, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, dem „Spiegel“. „Die Reaktion Polens zeigt jetzt, wovor wir seit Jahren warnen: Gerade in sensiblen Fragen der Sicherheit und Migration braucht es enge Zusammenarbeit und frühzeitigen Dialog mit unseren Nachbarn.“

Am Dienstag hatte die polnische Regierung angekündigt, Kontrollen an der Grenze nach Deutschland einzuführen – und dies unter anderem mit der verschärften Grenzpolitik der neuen Bundesregierung begründet. Die aktuelle Entwicklung mache deutlich, dass es „Versäumnisse in der Abstimmung“ gegeben habe, so Ahmetović. „Die Kommunikation und Koordination auf europäischer Ebene muss sich unter Merz deutlich verbessern – im Interesse eines geeinten und handlungsfähigen Europas.“

Auch Katarina Barley, SPD-Politikerin und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, kritisiert das Vorgehen von Merz und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU). „Die angekündigten Maßnahmen der polnischen Regierung sind eine direkte Reaktion auf Dobrindts Grenzkontrollen“, sagte Barley dem „Spiegel“. „Sie zeigen, wie schnell nationale Egoismen zu noch mehr Abschottung führen. Wenn nationale Logiken in Europa wieder Einzug halten, verlieren wir alle.“ Offene Grenzen seien eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. „Statt Alleingängen braucht es jetzt dringend europäische Zusammenarbeit, denn Herausforderungen löst man gemeinsam und nicht gegeneinander.“

Polen führt vorübergehend Grenzkontrollen ein

Hintergrund ist, dass Polen vorübergehend Grenzkontrollen zu Deutschland und Litauen einführen will. Eine entsprechende Anordnung trete ab kommendem Montag, dem 7. Juli, in Kraft, sagte Regierungschef Donald Tusk nach einer Kabinettssitzung in Warschau. Es solle „der unkontrollierte Strom von Migranten hin und zurück begrenzt und verringert werden“, sagte Tusk.

Normalerweise gibt es im Schengen-Raum, dem alle drei Länder angehören, keine stationären Personenkontrollen an den Binnengrenzen. Die Bundesregierung hat allerdings bereits Kontrollen an allen deutschen Grenzen angeordnet, um illegale Migration zu bekämpfen.

Dabei ist die Bundespolizei auch befugt, Asylsuchende abzuweisen, was juristisch umstritten ist. Die Kontrollen müssen bei der EU-Kommission angemeldet und von der Brüsseler Behörde genehmigt werden. Die Bundesregierung hält an dieser Praxis jedoch auch nach einer Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts fest.

Das Gericht hatte festgestellt, die Zurückweisung von drei Somaliern bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) am 9. Mai sei rechtswidrig gewesen. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Das Bundesinnenministerium von Alexander Dobrindt (CSU) wertet das jedoch als Einzelfallentscheidung. Die drei Betroffenen waren nach Polen zurückgeschickt worden.

In Polen sind die Zurückweisungen aus dem westlichen Nachbarland deshalb ein Aufregerthema. Tusks Regierung steht unter dem Druck der rechtskonservativen Oppositionspartei PiS. „Deutschland schiebt regelmäßig illegale Migranten auf unsere Seite. Der Staat hat abgedankt, und Chaos und Straflosigkeit nehmen von Tag zu Tag zu“, schrieb PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski am Montag auf X.

Mittlerweile organisieren Aktivisten von der „Bewegung zur Verteidigung der Grenzen“ selbst ernannte Patrouillen an Grenzübergängen zu Deutschland. In sozialen Medien brüsten sie sich damit, dass sie verdächtig aussehende Menschen anhalten und ihre Papiere verlangen. Tusk kritisierte dieses Vorgehen als schändlich.

„Migranten nicht hin- und herschieben“

Der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Knut Abraham (CDU), warnt vor dauerhaften Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Polen. „Die deutschen Grenzkontrollen sind als politisches Signal notwendig, dass sich die Migrationspolitik in Deutschland geändert hat. Aber wir sehen auch, dass die Kontrollen das Zusammenleben in den Verflechtungsräumen massiv belasten“, sagte Abraham WELT. „Die Lösung kann nicht darin liegen, die Migranten nun zwischen Polen und Deutschland hin- und herzuschieben oder die Grenzkontrollen auf beiden Seiten zu zementieren.“

Polen und Deutschland müssten nun in zwei Schritten vorgehen, sagte Abraham weiter. „Erstens müssen die praktischen Dinge verbessert werden: Wir brauchen in der deutsch-polnischen Grenzregion weitere Pendlerspuren, damit es nicht weiter zu entsetzlichen Staus kommt. Zweitens müssen Polen und Deutschland gemeinsam für die Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems kämpfen, weil davon beide Länder profitieren. Wenn die Migration bereits an der Außengrenze rechtsstaatlich gemanagt werden kann, verlagert sich das Problem nicht an die deutsch-polnische Grenze.“

Merz für gemeinsame Grenzhinterland-Kontrollen

Merz verteidigte die Grenzkontrollen derweil gegen wachsende Kritik aus den Nachbarländern. Er habe mit Tusk mehrfach über das Thema gesprochen, sagte Merz bei einem Treffen mit Luxemburgs Regierungschef Luc Frieden in Berlin. Man wolle die Belastungen gemeinsam so gering wie möglich halten. „Wir haben hier ein gemeinsames Problem, das wir gemeinsam lösen wollen“, sagte Merz weiter. „Wir müssen zurzeit Grenzkontrollen machen, weil der Schutz der europäischen Außengrenzen nicht hinreichend gewährleistet ist.“

Entschieden wies Merz polnische Medienberichte zurück, nach denen es Rückführungen von bereits in Deutschland aufgenommenen Asylbewerbern nach Polen gebe. „Es wird hier zum Teil behauptet, es gäbe sozusagen regelrecht einen Rückführungstourismus aus Deutschland heraus nach Polen und die würden dann praktisch über die Grenze zurück nach Polen geschafft. Das ist nicht der Fall.“

Luxemburgs Regierungschef sprach sich bei dem Treffen für eine verstärkte Polizei-Kooperation aus, um die Kontrollen zu vermindern oder sogar abzuschaffen. „Wir stehen zum Prinzip, dass illegale Immigration nicht tolerierbar ist“, sagte Frieden. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit an den Binnengrenzen der EU dürfe dadurch jedoch nicht gestört werden.

Auch Merz brachte gemeinsame Grenzhinterland-Kontrollen mit Nachbarländern auf. Diese sollten sowohl auf der deutschen als auch auf der Seite der Nachbarländer greifen. „Wir sind uns im Ziel völlig einig, dass wir die irreguläre Migration und den illegalen Grenzübertritt bekämpfen müssen“, sagte Merz. „Ich möchte, dass wir dieses Problem gemeinsam europäisch lösen, mit der Betonung auf gemeinsam und europäisch.“

Gleichzeitig versicherte Merz, dass es sich um eine Maßnahme auf Zeit handele und die Einschränkungen etwa für Berufspendler „so klein wie möglich“ gehalten werden. „Wir wollen diejenigen, die täglich pendeln, in ihrer Arbeit nicht behindern.“ Man wolle aber die Einschränkungen im Grenzverkehr so gering wie möglich halten. Merz bestätigte, dass er mit den Niederlanden, Italien und Dänemark über eine weitere Verschärfung der EU-Migrationsregeln gesprochen habe. Diese Gruppe sei mittlerweile auf 21 Staaten angewachsen, sagte er.

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