Es ist die schwerste Niederlage in der deutschen Militärgeschichte: Im Sommer 1944 bläst die Rote Armee zur Großoffensive und vernichtet in mehreren Kesselschlachten die Heeresgruppe Mitte. Das NS-Regime taumelt nach der "Operation Bagration" seinem Untergang entgegen.

Wenige Tage nach der alliierten Landung in der Normandie entfesselt die Rote Armee an der Ostfront ein gewaltiges Inferno. Unter dem Decknamen "Operation Bagration" beginnt im Juni 1944 eine der größten Offensiven des Zweiten Weltkriegs. Die Wehrmacht hat dem Ansturm kaum etwas entgegenzusetzen. Innerhalb weniger Wochen zerschlagen die Sowjets drei deutsche Armeen und stoßen rund 600 Kilometer nach Westen vor.

"Die Operation Bagration führte zur schwersten Niederlage in der deutschen Militärgeschichte", sagt der Historiker Christian Hartmann im Gespräch mit ntv.de. "Der Untergang der Heeresgruppe Mitte riss ein riesiges Loch in die deutsche Ostfront. Für die Wehrmacht war das wie ein Super-Stalingrad - für das NS-Regime der Anfang vom Ende."

Dabei sieht die Lage für das Deutsche Reich schon vor der Sommeroffensive düster aus. Die Wehrmacht ist nach fünf Jahren Krieg ausgelaugt, es mangelt an Personal, Waffen und Treibstoff. Während im Westen die erwartete Landung der Alliierten bevorsteht und im Süden Amerikaner und Briten sich nach Rom vorkämpfen, hat die Rote Armee im Osten längst die Initiative übernommen. In Berlin rechnet man mit einer neuen sowjetischen Offensive, sobald die Schlammperiode endet. Adolf Hitler und seine Generäle erwarten den Angriff im Norden der Ukraine.

Das Täuschungsmanöver der Sowjets gelingt

Tatsächlich aber nimmt das Oberkommando in Moskau den 1000 Kilometer langen Frontbogen in Belarus ins Visier. Dort ragt die deutsche Ostfront noch am weitesten in sowjetisches Gebiet. Um den Gegner zu täuschen, verlegt die Rote Armee ihre Einheiten nur bei Nacht in die Ausgangsstellungen. Gleichzeitig rollen leere Züge durch die Ukraine, um der deutschen Aufklärung Truppenbewegungen vorzugaukeln.

Der Plan geht auf: Noch Ende Mai verlegt Hitler ein Panzerkorps aus Belarus in die Ukraine. Somit stehen im Juni etwa 490.000 Soldaten der Heeresgruppe Mitte mit 570 Panzern und 3200 Geschützen im belarussischen Frontbogen zwischen Witebsk und den Prypjatsümpfen. Die Sowjets sind den Deutschen in allen Bereichen überlegen. Für die Operation Bagration bietet Moskau 1,2 Millionen Rotarmisten auf, ferner 5800 Panzer, mehr als 24.000 Geschütze und über 6000 Flugzeuge. Zusätzlich operieren fast 150.000 Partisanen hinter den deutschen Linien.

Am 22. Juni gibt Josef Stalin den Befehl zum Angriff - exakt drei Jahre nach dem Beginn des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion. Auch der Name der Operation ist symbolisch. General Pjotr Bagration kämpfte einst gegen Napoleon und stammte wie der Kremlchef aus Georgien.

Die Rote Armee ist nicht nur zahlenmäßig im Vorteil - auch taktisch hat sie sich weiterentwickelt. Der Offensive geht ein massives Artilleriefeuer voraus, das die deutschen Linien mit beispielloser Wucht trifft: Bis zu 204 Geschütze pro Quadratkilometer setzen die Sowjets ein. In manchen Bereichen dauert der Beschuss mehrere Stunden. Dann stürmt die Infanterie vor. Anders als früher greift die Rote Armee nicht mehr auf breiter Front an, sondern sucht gezielt nach Schwachpunkten. Bereits am ersten Tag kollabiert die Front an mehreren Stellen.

Verschärft wird die Lage durch Hitlers Entscheidungen. Immer wieder mischt sich der Diktator in die Operationsführung ein, wobei seine Befehle häufig von den Ereignissen überholt werden. Besonders fatal: Schon vor der Offensive hat der "Führer" angeordnet, wichtige Städte in "Feste Plätze" zu verwandeln. Sie sollen als "Wellenbrecher" dienen und dem Feind hohe Verluste zufügen. Doch das starre Halten wird für die Wehrmacht zur tödlichen Falle. Während die Sturmtruppen der Roten Armee die Festungen umfahren und weit ins Hinterland vorstoßen, kreisen nachfolgende Verbände die Deutschen ein und nehmen sie unter Feuer.

"Angst vor Gefangennahme war enorm groß"

Die Hilferufe seiner Generäle, aus den "Festen Plätzen" auszubrechen, lehnt Hitler ab. So nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Am 27. Juni werden knapp 70.000 Wehrmachtsoldaten bei Babrujsk eingeschlossen. Zwei Tage toben die Kämpfe, dann sind die deutschen Einheiten aufgerieben. Eine Woche später sitzen etwa 100.000 Deutsche im Kessel von Minsk fest. Ähnliche Szenen spielen sich in Witebsk und Mahiljou ab.

Auf sich allein gestellt, versuchen tausende Deutsche, sich in kleinen Gruppen zu den eigenen Linien durchzuschlagen, teils über hunderte Kilometer. Nur wenige schaffen es. "Die Mehrheit der Soldaten war kriegsmüde, aber die Angst vor einer Gefangennahme war enorm groß", sagt Hartmann über die Beweggründe der "Rückkämpfer".

Erst Anfang August stoppen deutsche Panzer den sowjetischen Angriff vor Warschau. Stalins Truppen sind erschöpft. Hohe Verluste und überdehnte Nachschublinien zwingen sie zur Pause. Die "Operation Bagration" ist beendet.

"Der Wehrmacht gelang es noch einmal, die Front kurzzeitig zu stabilisieren - doch die Niederlage war unausweichlich", sagt Hartmann. Das erkennen auch Deutschlands Bündnispartner. Nacheinander wechseln Finnland, Ungarn und Rumänien die Seiten. "Damit verlor Deutschland auch seine letzten Verbündeten."

Die Bilanz ist verheerend. Fast 400.000 deutsche Soldaten werden getötet, verwundet oder gefangen genommen. 28 von 40 Divisionen der Heeresgruppe Mitte sind zerschlagen. Auch die Rote Armee zahlt einen hohen Preis mit etwa doppelt so hohen Verlustzahlen. Doch im Unterschied zur Wehrmacht kann sie diese ersetzen.

Mit der achtwöchigen "Operation Bagration" endet die deutsche Besatzung in Belarus sowie in Teilen Polens, Litauens und Lettlands. Nicht überall erscheinen die sowjetischen Soldaten als Befreier. Polen und das Baltikum geraten bald vollständig unter die Kontrolle Moskaus.

Ende August stehen Stalins Armeen an der Weichsel, vor Riga und an der Grenze zu Ostpreußen. Knapp vier Monate später startet die letzte sowjetische Großoffensive des Krieges. Ihr Ziel: Berlin.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke