Der Bundestag will am Freitag auf Betreiben von CDU, CSU und SPD den Familiennachzug für Menschen mit Schutzstatus für zwei Jahre aussetzen. Die Regelung für im Ausland verbliebene Angehörige von Geflüchteten ist jetzt schon begrenzt. Auch Sozialdemokraten haben Bauchschmerzen.

Wenn überhaupt ein Vorhaben der neuen Bundesregierung das Potenzial hatte, die noch immer junge Regierungskoalition aus Union und SPD zu verhindern, war es dieses: "Wir setzen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet für zwei Jahre aus." Wenige andere Sätze im Koalitionsvertrag brachten Jusos und ältere SPD-Linke derart auf die Palme. Vor der SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag führten sozialdemokratische Gegner genau diese Vereinbarung als Argument für ein Nein zur Koalition ins Feld - und unterlagen doch deutlich. Rund 85 Prozent der Teilnehmer votierten für den Gang in die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz. An diesem Freitagmorgen stimmt der Bundestag über die Aussetzung des Familiennachzugs ab.

Konkret geht es um rund 1000 Menschen, die jeden Monat nach Deutschland kommen dürfen - weil sie Kinder, Ehepartner oder Eltern einer in Deutschland lebenden Person mit Schutzstatus sind. Die meisten kommen aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran. Subsidiär Schutzberechtigte sind die mit Abstand größte Gruppe der legal in Deutschland lebenden Geflüchteten. Sie dürfen bleiben, solange in ihrem Herkunftsland Krieg tobt oder ihnen als Angehörige einer bestimmten Volksgruppe Verfolgung droht.

Sind sie als Minderjährige eingereist, können ihre Eltern den Nachzug beantragen. Erwachsene in Deutschland können ihre minderjährigen Kinder und Ehepartner nachholen. Zumindest theoretisch: Die seit 2018 geltende Begrenzung von 1000 Einreisen pro Monat liegt deutlich unter der Nachfrage, auch wenn genaue Zahlen nicht vorliegen.

Die Zugangszahlen sinken

Zudem haben aus diversen Gründen nicht alle Betroffenen in ihren Herkunftsländern oder in Drittstaaten die Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen. So gelten einige Konsulate als überlastet mit der Antragsbearbeitung. Menschenrechtsaktivisten vermuten hinter den langwierigen Antragsverfahren aber auch politische Motive: Die Bundesrepublik wolle die Menschen schlicht nicht aufnehmen. Faktisch ist diese Haltung nun ganz offiziell handlungsleitend für die schwarz-rote Koalition: Dem Koalitionsvertrag zufolge ist neben der Steuerung von Migration auch deren "Begrenzung" das Ziel.

Schon die Ampelkoalition hatte - unter anderem mit der Ausweitung von Grenzkontrollen - begonnen, die Zugangszahlen spürbar zu senken. Der Trend setzt sich fort: Rund 8000 Erstanträge auf Asyl im Mai 2025 entsprechen einer Halbierung des Vorjahreswerts. Im Mai 2023 lag die Zahl noch bei rund 22.000. Alle vorangegangenen zwölf Monate weisen deutlich niedrigere Werte aus als im jeweiligen Vorjahresmonat. Die "irreguläre Migration" sinkt also. Nun geht die Koalition auch die reguläre Migration an. Denn das ist der große Unterschied: Wer über den Familiennachzug einreist, ist geprüft und durchleuchtet und kommt mit einem offiziellen Visum ins Land - zumeist per Flugzeug.

Mit der zu erwartenden Regierungsmehrheit für die Aussetzung des Familiennachzugs für mindestens zwei Jahre werden diese 24.000 Menschen nicht mehr nach Deutschland kommen. Zumindest nicht als reguläre Geflüchtete. Das vom CSU-Politiker Alexander Dobrindt geführte Bundesinnenministerium argumentiert im Gesetzentwurf, dass sich die Zugangszahlen an den Aufnahmekapazitäten orientieren müssten. Weil viele Kommunen bei der Unterbringung und Integration von Migranten überlastet seien, gelte es, die Zahlen weiter zu senken. Wie groß diese Überlastung tatsächlich ist, ist hochumstritten. Grüne und Linke verweisen auf den Effekt der zuletzt gesunkenen Zugangszahlen - etwa in Form leer stehender oder zumindest nicht ausgelasteter Flüchtlingsunterkünfte.

Warnung vor "Familienzerstörungsgesetz"

Die Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" spricht von einem "Familienzerstörungsgesetz". In Deutschland lebenden Menschen werde die Integration erschwert, wenn sie hier alleine lebten und weiter um ihre in Unsicherheit lebenden Verwandten bangen müssten. Zudem bestehe das Risiko, dass die Betroffenen sich aus Verzweiflung auf den Weg über die gefährlichen illegalen Fluchtrouten nach Deutschland machten, nachdem sie jahrelang vergeblich im Antragsverfahren auf Familiennachzug feststeckten.

Schließlich enthält das Gesetz keine Stichtagsregelung: Wer schon seit Monaten im Verfahren steckt und vielleicht eine Zusage in Aussicht hatte, fällt nun genauso aus dem Raster wie Menschen, die noch gar keinen Antrag gestellt haben. Auch die im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen für Härtefälle halten Kritiker für eine Schimäre: Das habe sich bei der Aussetzung des Familiennachzugs zwischen 2016 und 2018 gezeigt. Die Gesamtzahl der Ausnahmen habe im niedrigen dreistelligen Bereich gelegen.

Befürworter der Aussetzung argumentieren, dass der Familiennachzug einen Anreiz zur Flucht nach Deutschland setze: Nur eine Person müsse es über das Mittelmeer nach Deutschland schaffen, damit der Rest der Familie irgendwann einfliegen könne. "Asylpolitisch hat sich bei den Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD die AfD durchgesetzt", kommentierte der Grünen-Europapolitiker Erik Marquardt im April die Formel im Koalitionsvertrag. SPD-Linke dürfte die Einordnung des über die eigene Partei hinaus bekannten Fürsprechers von Seenotrettungsprogrammen und einer grundsätzlich humanitären EU-Asylpraxis geschmerzt haben.

SPD sauer auf die Linke

Doch in der SPD setzte sich nach dem Wahldebakel im Februar mehrheitlich eine Haltung durch, die Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel im April, bei einer SPD-Diskussionsveranstaltung zum Mitgliederentscheid, wie folgt ausdrückte: "Die Positionierung vieler Menschen - die im Übrigen zum Teil über Jahrzehnte SPD gewählt haben - bei dem Thema sind deutlich anders, als wir uns das zuweilen erhoffen. Da muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass diese Fragen bei dieser Wahl einen erheblichen Einfluss gehabt haben." Sprich: Die SPD spürt bei den Wahlberechtigten keinen Rückhalt mehr für großherzige Zuwanderungspolitik - insbesondere nicht bei der eigenen Klientel. Arbeiter sind massenweise zur AfD abgewandert.

Oder zur Linkspartei, wie die Bundestagswahl zur allgemeinen Überraschung zeigte. Die Linke tritt am Freitag dem Gesetzentwurf mit einem eigenen Entschließungsantrag entgegen. Dieser fordert die Bundesregierung unter anderem auf, "Pläne zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten fallen zu lassen". Vielmehr solle der Familiennachzug ausgeweitet werden, durch schnellere Verfahren - insbesondere für Minderjährige kurz vor der Volljährigkeit. Wer als 17-Jähriger zu einem nach Deutschland geflüchteten Elternteil reisen möchte, ist womöglich noch vor Verfahrensende volljährig und damit nicht mehr nachzugberechtigt.

Zum Verdruss der SPD hat die Linke eine namentliche Abstimmung beantragt. Das ist unangenehm, weil Linke und Grüne in künftigen Wahlkämpfen SPD-Kandidaten mit ihrem Abstimmungsverhalten in der Nachzugfrage konfrontieren können. Vor allem aber ist es lästig, weil die Fraktionen nun möglichst geschlossen im Bundestag zur Abstimmung erscheinen müssen. Angesichts des am frühen Nachmittag beginnenden SPD-Bundesparteitags haben die Sozialdemokraten eigentlich anderes zu tun, weil sich vor Parteitagen immer diverse Gremien treffen.

Üblicherweise erzwingen Fraktionen keine namentliche Abstimmung, wenn eine Partei am selben Tag einen Parteitag hat. Mit dieser ungeschriebenen Regel habe die Linke gebrochen, klagte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese. "Was die Linkspartei gemacht hat, ist ein grobes Foulspiel", sagte Wiese und drohte: "Ich habe ein langes Gedächtnis, was das anbelangt." So sorgt also die Aussetzung des Familiennachzugs doch einmal für Ärger bei der SPD - wenn auch für ganz anderen als noch im Frühling.

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