Im Iran leben 90 Millionen Menschen. Doch gegen das kleine Israel ist das Militär des Mullah-Regimes "eklatant unterlegen", sagt Cornelius Adebahr. Im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" erklärt der Nahost-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), wieso die iranische Flugabwehr weitestgehend handlungsunfähig ist. Er beantwortet auch, warum die derzeitige Schwäche der Terrorgruppen Hamas und Hisbollah den Iran besonders schmerzt und was die letzte Hoffnung der Mullahs ist.

ntv.de: Der Iran hat erstaunlich wenig Gegenwehr gegen die israelischen Angriffe geleistet. Warum ist das Land militärisch so deutlich unterlegen?

Cornelius Adebahr: Das hat mit dem vergangenen Jahr zu tun: Im Frühjahr und im Herbst gab es bereits kurze kriegerische Auseinandersetzungen, bei denen Israel die iranische Luftabwehr stark beschädigt und sich einen militärischen Vorteil verschafft hat. Hinzu kommt, dass israelische Agenten den Iran in einer ausgeklügelten Geheimdienstoperation infiltriert und Luftabwehrraketen sabotiert haben. Das zeigt, wie verwundbar Iran ist.

Dem israelischen Geheimdienst Mossad kann der Iran offensichtlich nicht das Wasser reichen.

Ich will nicht über die allgemeinen Qualitäten des Mossad sprechen, aber mit Blick auf Iran stimmt das. Man hat es vorher auch schon im Libanon gesehen: Die Führungsmitglieder der Hisbollah waren kompromittiert. Im Iran hat offensichtlich ebenfalls eine Unterwanderung stattgefunden: Vermutlich haben iranischstämmige Israelis mit guten sprachlichen und kulturellen Kenntnissen dem Mossad geholfen, sich im Iran zurechtzufinden. Es gibt aber auch Iranerinnen oder Iraner, die im eigenen Sicherheitsapparat arbeiten und Staatsgeheimnisse an Israel verraten: Das können Aufenthaltsorte hochrangiger Politiker oder die Zugänge zu Munitionsdepots sein.

Wie schwer wiegt es, dass die iranischen Verbündeten - Terrorgruppen in der Region - Hamas, Hisbollah, Huthi - so stark geschwächt sind?

Gerade die Hisbollah-Miliz im Libanon galt als eine Art Rückversicherung des Iran für genau den aktuellen Fall. Sie besaß über 100.000 Raketen, mit denen sie einen israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen hätte beantworten sollen. Diese Möglichkeit gibt es seit dem vergangenen Jahr nicht mehr. Israel hat Raketenbasen und Produktionsstätten der Hisbollah zerstört und ihre militärische Führungsriege stark dezimiert.

Welche Unterstützer hat der Iran jetzt überhaupt noch?

Die Reihen lichten sich, der Iran ist weitgehend auf sich allein gestellt. Staaten der arabischen Welt verurteilen die israelischen Angriffe natürlich, aber das sind keine wirklichen Partnerländer Irans. Sie haben kein Interesse an einer kriegerischen Auseinandersetzung in der unmittelbaren Nachbarschaft. Syrien ist seit dem Sturz von Assad kein Verbündeter mehr. Russland äußert zwar Unmut über den israelischen Angriff, lässt aber auch nicht erkennen, dass es Teheran aktiv unterstützen will. China, der große Käufer von iranischem Öl und Gas, hat auch kein Interesse, in einen großen Konflikt einzusteigen.

Stichwort Öl und Gas: Was ist das wirtschaftliche Fundament des Iran, wie werden die Militärausgaben finanziert?

Der Großteil über den Export von Rohstoffen. Es gibt aber auch eine heimische Industrie. Insbesondere im Bereich der Raketentechnologie hat Iran viel selbst entwickelt und auch seinen Verbündeten zur Verfügung gestellt. Wir wissen von iranischem Raketenmaterial bei der Hisbollah, bei der Hamas und bei den Huthi. Doch genau diese Netzwerke sind nun stark geschwächt.

Wie sehr schränken internationale Sanktionen die militärischen Fähigkeiten Irans ein?

Natürlich fehlt Geld. Aber solange der Ölpreis relativ hoch ist, kann Iran seinen Staatshaushalt trotz Inflation und wirtschaftlicher Schwierigkeiten über Wasser halten.

Ist es möglich, die iranischen Einnahmen durch Sanktionen weiter zu drücken?

Das ist eine komplexe Frage. Wenn Iran auf dem internationalen Ölmarkt komplett wegfällt, hätte dies Auswirkungen auf den Ölpreis. Und auch wenn die Menschen im Land noch ärmer werden, heißt das nicht, dass sie sich gegen das Regime auflehnen. Man kann nicht sagen, wir müssen nur die Sanktionen hochfahren, dann hat das Regime am Ende kein Geld fürs Militär mehr - so einfach ist es leider nicht.

Welche Optionen bleiben dem Regime noch?

Die besten Optionen sind eher wirtschaftlicher Natur: Der Iran spielt die Möglichkeit durch, die Straße von Hormus zu blockieren. Das ist der Ausgang des Persischen Golfs zu den Weltmeeren. Damit würde man die Staatenwelt empfindlich treffen, aber dann könnten die Iraner auch ihr eigenes Öl nicht mehr so leicht exportieren. Das heißt, Teheran wäre selbst stark betroffen und würde sich weiter isolieren. Das Regime wird zudem viel Energie darauf verwenden müssen, Stabilität im Inneren zu erhalten, damit es an der Macht bleibt.

Der Iran steckt in einem Dilemma: Ist die Reaktion zu schwach, kann Israel ungehindert im Land agieren. Ist die Reaktion zu stark, zieht man die USA in den Krieg.

Auf jeden Fall. Aber militärisch geht es gar nicht darum, Israel von Angriffen abzuhalten. Diesen Punkt erreicht Iran nicht mehr. Die militärische Überlegenheit von Israel ist eklatant. Das Kalkül ist, in Israel so viele Todesopfer in der Bevölkerung zu verursachen, dass die Stimmung dort kippt. Echte Abschreckung erlaubt sonst nur die Atombombe, und damit sind wir beim Kern des Problems: Das Regime wird nach den Angriffen große Schwierigkeiten haben, das Atomprogramm wieder in Gang zu setzen, muss aber wahrscheinlich genau dies versuchen.

Wie realistisch ist es, dass Israel den Iran vom Bau einer Atombombe abhalten kann?

Es gibt ein praktisches Problem: Der Iran betreibt seine wichtige Urananreicherung in Fordo. Diese Atomanlage befindet sich sehr tief unter den Bergen. Israel wird es technisch wohl nicht schaffen, diese Anlage zu zerstören. Dafür bräuchte es die Bunkerbrecher-Bomben der Amerikaner. Premierminister Netanjahu braucht den Kriegseintritt der USA, um das iranische Atomprogramm endgültig zu beenden.

Wie würde es dann weitergehen?

Das ist die wichtige Frage: Kann sich das Regime im Sattel halten? Wenn ja, muss man davon ausgehen, dass es die Bombe unbedingt besitzen will und das Atomprojekt trotz der israelischen Angriffe vorantreibt.

Heißt, Irans Atomwaffen-Ambition wird erst durch einen Regimewechsel beendet?

Der Versuch, einen Regimewechsel mit militärischen Mitteln herbeizuführen, ist ein Vabanque-Spiel mit ungewissem Ausgang. Dennoch gehört dies augenscheinlich zum israelischen Kalkül. Zumindest spricht Premierminister Netanjahu dies auch mehr oder weniger verklausuliert so aus.

Mit Cornelius Adebahr sprach Kevin Schulte. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Interview können Sie sich im Podcast "Wieder was gelernt" anhören.

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