Wenn die europäischen Staaten zusammenarbeiten, können sie schneller und billiger aufrüsten. Klingt logisch. In der Praxis ist das aber nicht so einfach. Durch den EU-Verteidigungsfonds sollen gemeinsame Rüstungsprojekte finanziert werden - aber dafür müssen die Länder die Mittel auch abrufen.

Alles muss raus. Das ist das Motto der Europäischen Union, wenn es um ihren Verteidigungsfonds geht. 150 Milliarden Euro ist er schwer. Aufgesetzt wurde er von der EU-Kommission im März, als Donald Trump deutlicher machte, dass er die Verteidigung der Europäer zuvorderst als Kostenfaktor sieht. In Brüssel lautet seitdem das Mantra: Alle Mitgliedstaaten müssen zusammenarbeiten, um die USA als Schutzmacht für den alten Kontinent zu ersetzen. Und die Zeit drängt. Neben BND-Chef Bruno Kahl sind sich auch viele andere Geheimdienstmitarbeiter in Europa sicher: Russlands Präsident Wladimir Putin wird Osteuropa in den kommenden Jahren angreifen, falls er nicht abgeschreckt wird.

Höchste Zeit also, die 27 nationalen Rüstungsindustrien, die bislang einen erbitterten Konkurrenzkampf untereinander ausfochten, zu versöhnen. Die Bedingung, um die Gelder aus dem Fonds abzurufen, leuchtet sofort ein: Mindestens zwei Mitgliedstaaten müssen an einem Rüstungsvorhaben teilnehmen, um Anspruch auf die Mittel zu haben. Damit die EU das Geld aber wirklich schnell loswird, macht sie auch von dieser Bedingung eine Ausnahme. In den ersten zehn Monaten darf auch nur ein Staat das Geld beantragen - muss aber anschließend ein weiteres Land als Partner suchen. Falls die Suche ins Leere läuft, muss das Geld wieder zurücküberwiesen werden.

Dabei wird offensichtlich, wie schwierig es in der EU ist, grenzüberschreitende Rüstungsvorhaben auf die Beine zu stellen. "Das Security Action for Europe (SAFE) Instrument ist ein Behelfskonstrukt, durch den die EU ausschließlich Darlehen an die Mitgliedstaaten ausgibt, aber keine Zuschüsse. Es ist nicht sicher, dass alle Gelder aus dem Fonds überhaupt abgerufen werden", sagt die Grüne Hannah Neumann, Mitglied des Verteidigungsausschusses im Europäischen Parlament. Es handelt sich bei dem Topf also um Kredite, die von der EU an den Finanzmärkten aufgenommen und zu günstigen Konditionen an die Staaten weitergegeben werden. Um die gemeinsame Verteidigungspolitik in Brüssel mit Elan voranzubringen, wären aus Neumanns Sicht aber Zuschüsse in Form sogenannter Eurobonds nötig. Das würde eine gemeinsame Schuldenaufnahme und Haftung der Länder auf EU-Ebene bedeuten.

Milliarden blieben im Corona-Fonds liegen

Da Deutschland als wirtschaftlich stärkster Mitgliedstaat dafür am meisten bezahlen müsste, lehnt Berlin dies bislang ab. Hoch verschuldete Länder wie Spanien und Frankreich sehen das anders: Eurobonds würden ihnen mehr finanziellen Spielraum verschaffen, um billig an Geld für die Aufrüstung zu kommen.

Deutschland wiederum ist trotz seiner geplanten Schuldenaufnahme finanziell so stabil, dass es auch ohne die EU relativ günstig Kredite aufnehmen kann. Deshalb wird die Bundesregierung auch kein Geld aus dem Verteidigungsfonds nehmen. Die Mittel werden also andere Länder für grenzüberschreitende Rüstungsprojekte brauchen, die ohne die EU schlechtere Konditionen hätten. Falls das Geld denn überhaupt vollständig abgerufen wird.

Dass bei solchen EU-Töpfen auch eine gewaltige Summe liegen bleiben kann, zeigt das Beispiel des Corona-Wiederaufbaufonds: Anfang des Jahres standen laut Berechnungen des FDP-Haushaltsexperten Moritz Körner 160 Milliarden Euro an Zuschüssen aus diesem Fonds noch zur Verfügung. Noch unbeliebter sind demnach die Darlehen aus dem Topf, den es seit vier Jahren gibt. Nur 13 Länder haben die Darlehen in Anspruch genommen, im Schnitt riefen sie gut 28 Prozent der Mittel ab.

Regeln für Bau von Rüstungsfabriken zu strikt

Kein Wunder also, dass die EU nun Tempo macht, um wenigstens Gelder für gemeinsame Verteidigungsprojekte an die Länder zu verteilen. Laut aktuellen Berechnungen könnten die europäischen Staaten zwischen 24,5 Milliarden und 75,5 Milliarden Euro pro Jahr einsparen, wenn ihre Rüstungsindustrien kooperierten.

Eine weitere hohe Barriere auf dem Weg zur gemeinsamen Verteidigung ist die Bürokratie. Auch hier will die EU tätig werden. Durch das sogenannte Omnibus-Paket möchte Brüssel die Regeln für Zertifizierung, Genehmigungen, gemeinsame Beschaffung und Transaktionen vereinfachen. Ziel ist der Aufbau eines Binnenmarkts für Rüstungsgüter. Um das zu schaffen, tauscht sich Verteidigungskommissar Andrius Kubilius intensiv mit Vertretern der Mitgliedstaaten aus. Und Kubilius sieht immensen Handlungsbedarf: "In manchen Ländern dauert es aufgrund der zahlreichen Genehmigungsverfahren fünf Jahre, um eine Rüstungsfabrik aufzubauen. Es ist ein trauriger Scherz, aber wenn das mit den Vorschriften so weitergeht, müssen wir Putin einen Brief schreiben, in dem wir ihn bitten, seine Angriffspläne zu verschieben."

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