Natürlich bin ich glücklich, wie alle anderen auch“, sagt Nasser Abdelkarim, einer von den insgesamt sieben Millionen Binnenflüchtlingen in Syrien. Er lebt seit über sechs Jahren in einem Flüchtlingslager bei Bab el Hawa, in unmittelbarer Nähe zur türkischen Grenze. In diesem Gebiet waren die Menschen während des Bürgerkriegs am sichersten vor den Bomben der syrischen und russischen Luftwaffe.

„Was der Iran und die Hisbollah uns allen angetan haben, ist schrecklich“, erzählt der 65-Jährige. „Sie haben unsere Häuser, Städte und Dörfer verwüstet und viele Tausende von Syrern ermordet“, um den Diktator Bashar al-Assad an der Macht zu halten. „Sie werden es wieder tun, wenn niemand sie stoppt“, ergänzt er.

Der Iran hatte 2013, zwei Jahre vor Russland, in Syrien militärisch interveniert. Teheran mobilisierte Milizen aus Afghanistan, dem Libanon und Irak, die unter der Führung von iranischen Offizieren der Revolutionsgarden gegen die syrischen Rebellen kämpften. Erst die israelischen Luftschläge konnten sie nach 12 Jahren aus dem Land treiben.

„Israel, nein, heiliges Israel muss man schon sagen“, betonte ein junger Mann auf dem Markt im Flüchtlingslager, der lieber anonym bleiben wollte. Schließlich ist der jüdische Staat auch unter der neuen islamistischen Regierung von Präsident Ahmad Scharaa ein sensibles Thema. Die israelischen Streitkräfte haben in den vergangenen Monaten syrisches Territorium in der Nähe der Golanhöhen als „Pufferzone“ besetzt. Sie halten sowohl in Syrien als auch im Libanon strategische Stellungen. Dazu gehört der Berg Hermon an der syrisch-libanesischen Grenze. Von dort aus können israelische Truppen Bewegungen im Libanon und in Syrien überwachen.

Teherans Milizen waren ein nicht wegzudenkender Eckpfeiler der syrischen Armee. Insbesondere Hisbollah spielte eine entscheidende Rolle, was Logistik, Planung, Ausbildung und Disziplin betraf. Ohne diese Unterstützung wäre das Assad-Regime schon in den Anfangsjahren des Aufstands in Syrien gefallen. Der Einsatz Israels schaffte die Voraussetzung für den überraschenden Siegeszug der Rebellen, der bis in den Präsidentenpalast in Damaskus führte.

Ein wesentlicher Punkt war die Schwächung der libanesischen Hisbollah. Mit der spektakulären Attacke von Hunderten von zeitgleich explodierenden Pagern und der systematischen Ermordung der Führungsriege, darunter auch Generalsekretär Hassen Nasrallah, wurde die schiitische Organisation schwer getroffen.

Das strategische Ziel war es, die Terrorgruppe militärisch und politisch auf Dauer zu erschüttern. Das ist Israel zum großen Teil auch gelungen. Heute ist Hisbollah lange nicht mehr der dominierende Faktor im Libanon. Das entstandene Machtvakuum hat die demokratisch gewählte Regierung des Landes übernommen, die sonst kaum Einfluss auf Hisbollah hatte. Damit wurde die „Achse des Widerstands“ geschwächt – ein Netzwerk von regionalen Milizen, das der Iran aufgebaut hatte, um die Politik im Nahen Osten zu seinen Gunsten zu bestimmen. Hisbollah spielte darin eine zentrale Rolle bei der Koordination und dem Training der Milizen aus dem Irak, Syrien und dem Jemen.

Israel „verschiebt die regionalen Machtverhältnisse“ im Nahen Osten, schrieb das Middle East Institute nach der Ermordung des Hisbollah-Anführers Nasrallah im September. Andere international bekannte Denkfabriken sprachen von einer „Neuordnung des Nahen Ostens“. Das legte auch jüngst Premierminister Benjamin Netanjahu in einer Rede nahe: „Es begann mit der Ermordung Nasrallahs und dem Zusammenbruch der Iran-Achse“. Nach den neuen, großangelegten Luftschlägen Israels auf iranische Militär- und Nuklearanlagen scheint Israel die begonnene „Neuordnung“ vollenden zu wollen. Eineinhalb Jahre soll Israel eigenen Angaben zufolge den „Operation Rising Lion“ genannten Angriff geplant haben. Die Anfangspläne zur kompletten Zerstörung der „Achse des Widerstands“, dürften weiter zurückliegen.

Der Fokus liegt diesmal auf der Zentralmacht der „Achse“. Das Abschreckungspotenzial des Irans soll ein für allemal zerstört wetden und insbesondere die nukleare Bewaffnung verhindert werden, die die Hegemonie der Islamischen Republik signifikant untermauern würde. Laut Netanjahu wird die „Löwen-Operation“ solange dauern, bis die Bedrohung verschwunden ist. „Seit Jahrzehnten haben die Tyrannen von Teheran dreist zur Zerstörung Israels aufgerufen“, sagte Netanjahu in seiner Rede nach den Angriffen. „Wenn der Iran Atomwaffen hätte, würde es kein Land mehr mit dem Namen Israel geben.“

In Jordaniens Hauptstadt Amman heulten am Freitagmorgen nach den ersten israelischen Luftschlägen im Iran die Sirenen. Der Flughafen des Landes wurde geschlossen. Auch im Irak und Syrien wurde der Luftraum gesperrt. Diese Länder sind Passierwege iranischer Raketen und Drohnen. Zahlreiche Staaten aus dem Nahen Osten verurteilten die israelischen Angriffe und riefen zu einer umgehenden Deeskalation auf. Dazu gehörte der Golf-Kooperationsrat, mit Ausnahme Bahrains, sowie Jordanien und der Libanon. Das saudi-arabische Außenministerium erklärte, die israelischen Angriffe auf den Iran stellten „eine klare Verletzung internationaler Gesetze und Normen“ dar.

Dabei sind seit Jahren insbesondere viele Golfstaaten dafür bekannt, dem zunehmenden Einfluss des Irans feindlich gegenüberzustehen. Der Iran und seine Stellvertretermilizen haben in der Vergangenheit Öleinrichtungen in Saudi-Arabien angegriffen. Trotzdem scheint man in den ölreichen Golfländern auf Neutralität zu setzen. Der Iran könnte den Ölhandel unterbrechen, indem er die strategische Meerenge von Hormus blockiert. Damit stünden die wirtschaftlichen Interessen auf dem Spiel, da über 90 Prozent der saudischen Ölexporte über die Meerenge abgewickelt werden.

Beim letzten Schlagabtausch zwischen Jerusalem und Teheran im Oktober schlugen abgefangene iranische Raketen im Süden Syriens ein, im Südlibanon wurden Schulen geschlossen und jordanische Jets schossen iranische Drohnen und Raketen ab. Keiner der betroffenen Staaten will derartige Disruptionen über einen längeren Zeitraum. Dabei gab es damals eher symbolträchtige Gegenschläge beider Konfliktparteien. So hat Israel den Iran einige Stunden vor einem Angriff informiert und auch die Ziele benannt, mit dem Hinweis, auf Vergeltung zu verzichten.

Heute könnte das allerdings völlig anders sein, angesichts der Vehemenz israelischer Angriffe auf iranische Atom- und Militäreinrichtungen. Die Urananreicherungsanlage Natanz soll zerstört sein sowie die komplette Führungsriege der Revolutionsgarden und namhafte Nuklearwissenschaftler getötet worden sein. Es waren die bisher schwersten israelischen Angriffe auf den Iran. Der reagierte mit dem Abschuss von mindestens 100 Drohnen und ballistischen Raketen, von denen die meisten nach Angaben des israelischen Militärs abgeschossen wurden.

Iran droht mit „schwerer Bestrafung“

Teheran hat Rache geschworen und der oberste Führer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, drohte mit „schwerer Bestrafung“. Die von ihm finanzierte Hisbollah-Miliz im Libanon äußerte Solidarität, aber gab sich sonst zurückhaltend. „Der verbrecherische israelische Feind und seine tyrannische Schutzmacht Amerika werden nichts anderes ernten als Schande, Demütigung und Verlust“, gab die Terrororganisation im bekannten Propagandastil bekannt. Aber von militärischen Aktionen gegen das „verbrecherische Israel“ bisher keine Spur.

Dass die Hisbollah dem Iran nicht zu Hilfe eilt, liegt auch an der neuen politischen Ordnung im Libanon, die letztendlich die Interventionen Israels ermöglicht hat. Dem saudischen Sender Al-Arabiya zufolge hat die libanesische Regierung die Hisbollah davor gewarnt, den Libanon in einen neuen Krieg mit Israel zu verwickeln. Die Zeiten seien vorbei, in denen die Hisbollah den Staat bei Kriegserklärungen umgehen könne. Seit der Waffenruhe mit Israel versucht der neue libanesische Präsident Joseph Aoun, die Hisbollah gänzlich zu entwaffnen. Fast täglich schaltet die israelische Armee Funktionäre der Terrorgruppe aus, ohne dass die Hisbollah Gegenschläge verübt.

Alfred Hackensberger hat seit 2009 aus mehr als einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten im Auftrag von WELT berichtet. Vorwiegend aus den Ländern des Nahen und Mittleren Osten, wie Libyen, Syrien, dem Irak und Afghanistan, zuletzt aber auch aus Bergkarabach und der Ukraine.

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