Mustafa Ilbas hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will die Türkei zur Rüstungswerkstatt Europas machen. Der Chef des staatlichen Unternehmens ASFAT sitzt in einem beigen Sessel in einem Büro in Ankara und erklärt seine Vision: „Wir wollen ins Zentrum Europas vordringen.“ Wenn es nach ihm geht, werden in türkischen Einrichtungen künftig deutsche oder britische Kampfjets und Transportflugzeuge gewartet und repariert.

Seine Firma wurde gegründet, um auf die Kapazitäten von 27 Waffenfabriken und zehn Marinewerften zuzugreifen und sie international zu vermarkten. Sie bedienen in erster Linie das türkische Militär, bieten aber Spielraum für Exportprojekte und Kooperationen. Dieses kommerzielle Potenzial will Ankara nun nutzen. Der Zeitpunkt, so glaubt man in Ankara, sei günstig.

Während europäische Länder bei der Verteidigung vor allem auf Neuanschaffungen setzen, rückt Ilbas einen anderen Aspekt ins Zentrum: die Fähigkeit, Kriegsgerät selbst zu warten und aufzubereiten. Sie gilt Ankara als strategisch unverzichtbar – und ist in Europa über Jahre vernachlässigt worden.

In der Fachsprache heißt dieser Bereich MRO, was für Wartung, Reparatur und Überholung (Englisch für Maintenance, Repair and Operations) steht. Im Lichte des Ukrainekriegs wurde deutlich, wie zentral solche Strukturen sind. In einem heißen Krieg verschleißt Ausrüstung in einem anderen Rhythmus als in Friedenszeiten. Selbst der modernste Jet ist nutzlos, wenn er am Boden bleibt. Hier liegt Europas Schwäche – oder, aus türkischer Sicht, die Chance, in eine Lücke zu stoßen.

Dabei waren es äußere Zwänge, die zur Schaffung der nötigen Strukturen in der Türkei führten. Als das Nato-Land sich 2019 entschied, das russische Flugabwehrsystem S-400 zu kaufen, reagierten die USA mit Sanktionen – Rüstungslieferungen wurden zum Problem. Gleichzeitig war das türkische Militär in mehreren Einsätzen gefordert, etwa gegen die Kurdenmiliz PKK oder in Syrien. Ersatzteile mussten verfügbar sein, Systeme einsatzbereit. Ankara war gezwungen, eigene Lösungen zu schaffen.

Das Land baute die eigene Rüstungsindustrie stark aus und setzte auf Eigenproduktionen. Heute genießen die Produkte weltweit hohes Ansehen, wie etwa die Bayraktar-Drohnen. Turkish Aerospace Industries entwickelte in Zusammenarbeit mit dem britischen Unternehmen BAE Systems einen modernen Tarnkappen-Kampfjet. Seinen Testflug absolvierte der „Kaan“ (Herrscher) im vergangenen Jahr; bis es einsatzbereit ist, wird es noch dauern.

In dieser Woche unterzeichnete Ankara aber bereits ein Abkommen mit Indonesien über die Lieferung von 48 dieser Jets – der erste Exportauftrag für das Projekt. Die Maschinen sollen innerhalb von zehn Jahren ausgeliefert werden. Der Schritt markiert auch einen symbolischen Schritt: Er würde die Türkei zu einem der wenigen Länder weltweit machen, die Kampfflugzeuge der fünften Generation exportieren.

Im MRO-Bereich ist die Türkei schon einige Schritte weiter. Wie das aussieht, lässt sich in Eskisehir im Nordwesten des Landes beobachten, in einem Wartungszentrum für Kampfjets. Drei Männer knien auf der Tragfläche einer F-16 aus amerikanischer Produktion. Der eine überprüft eine Schraubverbindung, ein anderer beugt sich ins Innere des Flugzeugs.

Die Außenhaut ist teilweise entfernt worden, einzelne Kabel und Hydraulikleitungen liegen frei. Unter dem Flügel hantieren zwei Techniker vor geöffneten Wartungsklappen mit einem Messgerät. Die Arbeiten sind Teil einer routinemäßigen Wartung, die alle 200 Flugstunden fällig ist. Ähnlich wie bei einem Auto, das zum TÜV muss. Nur dass eine solche Wartung bei Kampffliegern ungleich komplizierter ist.

Der untersuchte Jet hat bisher keine Mängel gezeigt. Doch selbst wenn etwas zu reparieren wäre: Vieles kann vor Ort behoben werden. In angrenzenden Werkhallen werden Motoren auseinander- und zusammengebaut, Zubehör getestet, Risse repariert, Oberflächen gereinigt, beschichtet oder verstärkt. Manche Bauteile werden mit Hitze, Strom oder Druck behandelt, andere millimetergenau vermessen.

Rund 14.000 verschiedene Ersatzteile können hier produziert werden, jährlich insgesamt rund 100.000 – und günstiger, als sie im Ausland zu beschaffen wären. Poster an den Wänden zeigen das Verhältnis: Der Nachbau eines F-16-Längsträgers kostet intern 814 US-Dollar, beim Originalhersteller wären es 16.318 Dollar. Es handelt sich nicht um Raubkopien, die Türkei arbeitet offiziell mit Lockheed Martin zusammen.

Aus gebrauchten, teils stark belasteten Teilen sollen funktionierende Komponenten werden, damit der Jet verlässlich fliegt. Im Ernstfall entscheidet sich auch daran, ob ein Land in einem Krieg bestehen kann. Dieser oft übersehene Teil militärischer Infrastruktur – Wartung, Reparatur, Instandsetzung – wird zu einem strategischen Faktor. Deutschland besitzt zwar eine starke Rüstungsindustrie, hat sich aber über viele Jahre auf den Export konzentriert und die eigenen MRO-Fähigkeiten vernachlässigt.

Im Zweifel, das galt lange als Gewissheit, springen die USA ein, Pioniere auf diesem Feld. Doch mit dem Erstarken isolationistischer Kräfte in Washington, spätestens seit Donald Trump, ist diese Verlässlichkeit ins Wanken geraten. Nun gilt eine gewisse europäische Unabhängigkeit als überlebensnotwendig.

Statt jedoch in den Erhalt bestehender Systeme zu investieren, konzentrieren sich viele europäische Länder vor allem auf die Anschaffung neuer Ausrüstung. Ein teurer Fehler.

Die Unternehmensberatung McKinsey hat in einer im Februar veröffentlichten Analyse berechnet: Wenn die Ausrüstungsverfügbarkeit um nur zehn Prozent stiege, wäre das so, als hätte man 40 zusätzliche Flugzeuge zur Verfügung. Aber es hapert an der Umsetzung. Demnach fehlen Ersatzteile häufig, weil Lieferketten unterbrochen sind oder schlecht geplant wird. Gleichzeitig mangelt es an qualifiziertem Personal.

Nicht so in der Türkei, erklärt Ilbas. „In der türkischen Verteidigungsindustrie arbeiten mehr als 100.000 Fachkräfte“, sagt er. „Die meisten von ihnen sind Ingenieure, und das Durchschnittsalter liegt bei 34 Jahren.“ An türkischen Universitäten seien die Ingenieursfächer beliebt, und auch die Rüstungsunternehmen genießen in dem nationalistisch geprägten Land einen guten Ruf.

Im MRO-Bereich konzentriert sich die Türkei bislang vor allem auf traditionelle Fertigungsmethoden. Moderne Jets sind zunehmend softwaregesteuert, viele Wartungsprozesse laufen digital, und 3D-Druck hat an Bedeutung gewonnen. In diesen Bereichen hat Ankara Nachholbedarf – und will von potenziellen Kooperationen mit europäischen Ländern profitieren.

„Unsere Mission ist es, die bestehenden Fabriken und Werften zu modernisieren“, sagt Ilbas. Man wolle die eigenen Fähigkeiten mit europäischen Partnern teilen und im Gegenzug Technologie aus Europa übernehmen.

Berlin hat sich quergestellt

Bislang ist ASFAT vor allem in anderen Teilen der Welt aktiv; in Europa laufen bislang nur Projekte mit Rumänien, Bulgarien und der Ukraine. Ilbas würde auch gern für den Eurofighter Wartungsdienste für europäische Länder anbieten – vorausgesetzt, die Türkei erhält das Kampfflugzeug. Derzeit laufen Gespräche.

Da der Jet von einem Konsortium entwickelt wurde, müssen alle vier Herstellerstaaten (Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien) einem Export zustimmen. Die Regierung in Berlin hatte sich lange quergestellt, unter anderem wegen Menschenrechtsfragen und Spannungen mit Griechenland.

Das Momentum wäre da. Europa ordnet seine Sicherheitsarchitektur neu, nicht zuletzt wegen der ungewissen Rolle der USA. Und die Türkei, der zweitgrößte Nato-Partner, bringt Fähigkeiten mit, die den europäischen Verbündeten teils fehlen, inklusive Kampferfahrung. Die europäischen Zweifel sind aber nicht so leicht auszuräumen.

Der Grund, warum es im Rüstungsbereich bisher kaum tiefere Kooperationen zwischen Europa und der Türkei gibt, ist fehlendes Vertrauen. Das einzige größere europäische Projekt, an dem Ankara seit dem Ende des Kalten Kriegs beteiligt war, ist das Transportflugzeug A400M. Die Türkei übernahm industrielle Verantwortung und lieferte Bauteile.

Für den amerikanischen F-35-Jet war ursprünglich vorgesehen, dass in Eskisehir die Montage des Triebwerks unter anderem für die Niederlande und Großbritannien vorgenommen wird. Eine Halle wurde dafür bereits umgebaut. Aber mit dem Kauf russischer S-400-Raketen flog Ankara aus dem Programm.

ASFAT-Chef Ilbas bemüht sich sichtbar um Vertrauensaufbau. „Wir haben keinerlei Projekte mit Russland“, sagt er. „Wir sind ein europäisches Land, wir sind Nato-Mitglied. Wir stehen auf derselben Seite.“

Enger Kontakt zu Russland

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in den vergangenen Jahren jedoch wenig getan, um sich als verlässlicher Partner und demokratischer Verbündeter zu präsentieren. Politisch ist der teils enge Kontakt zu Russland gewünscht.

Ankara beteiligt sich nicht an Sanktionen gegen das Land und lässt einen russischen Staatskonzern das erste Atomkraftwerk in der Türkei bauen. Man brüstet sich damit, als einziges Nato-Land den Kontakt nach Kiew wie Moskau zu halten und die einzigen direkten Gespräche zwischen den Konfliktparteien ausgerichtet zu haben.

Ob aus Absichtserklärungen und Gesprächen am Ende mehr wird und Europa und die Türkei in Verteidigungs- und Rüstungsfragen zusammenrücken, ist eine offene Frage. Vertrauen wächst schließlich nicht in Werkhallen.

Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.

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