Bundeskanzler Merz lobt Dänemark als "Vorbild in der Migrationspolitik". Das tut er bereits seit einiger Zeit. Beim Besuch der dänischen Ministerpräsidentin Frederiksen räumt er ein, dass die Lage in Deutschland komplizierter sei.
Mette Frederiksen ist die liebste Sozialdemokratin von Konservativen in Deutschland. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte Friedrich Merz, damals noch Kanzlerkandidat, gesagt: "Wenn doch alle Sozialdemokraten wie Mette Frederiksen wären!" Da ging es um den Umgang mit Russland.
Aber sein Stoßseufzer dürfte die Migrationspolitik einschließen. Im vergangenen Jahr forderte Merz den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz auf, Frederiksen nach Berlin einzuladen, da sie "seit Jahren mit großem Erfolg" Migrationspolitik betreibe. Tatsächlich sind die Asylzahlen in Dänemark seit Jahren niedrig, auch wenn es durch den russischen Krieg gegen die Ukraine wieder viele Flüchtlinge im Land gibt.
Nun hat Merz Frederiksen selbst nach Berlin eingeladen - auch wenn sie allerdings im Januar da war, bei Merz' Vorgänger Scholz. Wie damals ging es auch jetzt um den Anspruch von US-Präsident Donald Trump auf Grönland, auch um die Bedrohung Europas durch Russland und um die russische Schattenflotte in der Ostsee.
"Seit langer Zeit ein Vorbild"
Anders als damals ging es jetzt auch um Migration. "Dänemark ist für uns schon seit langer Zeit ein Vorbild in der Migrationspolitik", sagte Merz bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Frederiksen im Kanzleramt. Mit "uns" meinte er vermutlich seine Partei, die CDU. "Wir gehen auch gemeinsam den Weg zu neuen und strengeren Asylregeln in der Europäischen Union." Das "wir" bezog sich dann aber auf die neue Bundesregierung.
Frederiksen revanchierte sich mit einem Kompliment. Auf Deutsch zitierte sie das Sprichwort, nachdem der frühe Vogel den Wurm fange. "Du bist ein früher Vogel für Europa", sagte sie dann auf Englisch zu Merz. Sie freue sich, "deutsche Führung" mit dem Ziel eines stärkeren Europas zu sehen, "das wird gebraucht". Merz und sie seien bei den zentralen Themen einer Meinung, sagte sie. Die Notwendigkeit, Europa vor Russland zu schützen, stehe "ganz oben auf der Agenda".
An zweiter Stelle folgte die Migrationspolitik. "Unsere Bürger, in vielen europäischen Ländern, darunter Deutschland und Dänemark, bringen ihre Bedenken seit Jahren zum Ausdruck", sagte Frederiksen, deren Land am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Sie freue sich, "mit dem neuen deutschen Kanzler zu handeln". Europa brauche Lösungen, die die Zahl der Ankömmlinge in Europa reduziere und für "effektive Rückführungen" sorge. "Wenn wir den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaften erhalten wollen, können wir nicht jeden akzeptieren, der nach Europa kommen will."
"Du bist unerwünscht"
Es sind solche Sätze, die Frederiksen für Merz zum Vorbild machen. Dänemark setzt seit Jahren auf eine Mischung aus Härte und Symbolpolitik. Die Flüchtlingsunterkünfte heißen "Ausreisezentren", selbst wenn Migranten dort viele Jahre leben müssen. 2019 verglich das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter die Zustände im Ausreisezentrum Ellebæk mit Haftbedingungen in Ländern wie Russland.
Das ist offenbar so gewollt: Diese Orte "sollten nicht so gestaltet sein, dass man gerne hier in Dänemark bleibt", sagte der dänische Ausländer- und Integrationsminister Kaare Dybvad Bek dem "Stern" im vergangenen Jahr. Dybvad ist wie Frederiksen Sozialdemokrat. Die Ausreisezentren sollten deutlich machen: "Du bist unerwünscht. Akzeptiere, dass du in diesem Land keine Zukunft hast".
Nur 70 Kilometer Grenze
Allerdings ist die dänische Asylpolitik nicht so einfach auf Deutschland übertragbar - aus juristischen und praktischen Gründen. Merz räumte dies bei der Pressekonferenz mit Frederiksen ein, ohne ins Detail zu gehen: Die Frage eines dänischen Journalisten, ob Deutschland sich in Richtung der dänischen Migrationspolitik bewege, beantwortete Merz nicht mit einem Ja, wie er das früher als Oppositionspolitiker wohl getan hätte. Stattdessen sagte er, Deutschland habe "sehr viel mehr Außengrenzen" als Dänemark, die Lage in Deutschland sei "komplizierter".
Richtig. Dänemark hat eine nur knapp 70 Kilometer lange Landgrenze, die mit Deutschland. Die lässt sich um ein Vielfaches leichter kontrollieren als die weit über 2000 Kilometer lange deutsche Grenze allein zu Polen, Tschechien und Österreich.
Außerdem hat Dänemark sich seit seinem Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften im Jahr 1973 diverse "Vorbehalte" ausbedungen, die dazu führen, dass das Land sich in bestimmten Fragen nicht an europäisches Recht halten muss. So gelten eine Reihe von EU-Richtlinien zur Asylpolitik in Dänemark nicht. Das gibt dem Land einen deutlich größeren Spielraum als anderen EU-Staaten.
Das deutsche Dilemma: "Führung" oder Abschreckung?
Zudem hat Dänemark den nördlichen Vorteil: Um das Land zu erreichen, müssen Schutzsuchende in der Regel durch Deutschland durch. Die dänische Abschreckungspolitik dürfte dafür sorgen, dass mehr Migranten in Deutschland geblieben sind.
Man kann die dänische Migrationspolitik daher auch unsolidarisch nennen. Eine Migrationspolitik nach dänischem Vorbild würde sich deutlich massiver auswirken, wenn ein großes Land wie die Bundesrepublik sie anwenden würde. Auch die von Frederiksen gelobte "deutsche Führung" gäbe es dann vermutlich nicht.
Der Migrationsexperte Raphael Bossong verweist im Interview mit ntv.de auf das Dilemma der Bundesregierung: "Einerseits will sie mit den Grenzkontrollen den Druck auf die Nachbarstaaten erhöhen. Andererseits hat Deutschland immer darauf gesetzt, das EU-Recht zu verschärfen und mehr Staaten dazu zu bringen, ihre Verpflichtungen einzuhalten. Das heißt im Umkehrschluss für uns: Wir müssen uns selbst auch daran halten. Das ist die Zwickmühle, in der sich die Bundesregierung befindet."
Auf diese Zwickmühle wies Merz beim Auftritt mit Frederiksen nicht hin. Stattdessen sagte er, dass er die gemeinsame Initiative von Dänemark, Italien und den Niederlanden für Asylverfahren in Drittstaaten "grundsätzlich" unterstütze. Ein bisschen lobte er sogar die alte Bundesregierung, die Schritte in die richtige Richtung unternommen habe: "Die Zahlen [von Asylbewerbern und Schutzsuchenden] gehen runter, aber wir sind noch längst nicht da, wo wir sein sollten."
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