Karen Bass ist wütend: Donald Trump nutze ihre Stadt für ein Experiment, sagt sie. „Wenn er in der zweitgrößten Stadt Amerikas ungestraft das Gesetz brechen kann, dann kann er das überall tun“, so der Vorwurf der Bürgermeisterin von Los Angeles. Es ist kurz nach 17 Uhr (Ortszeit) am Dienstag. Während in den Straßen in der Nähe des Rathauses die Proteste weitergehen, empfängt die Demokratin im Los Angeles Emergency Operations Center in der Temple Street Journalisten zu einer Pressekonferenz. Die italienische Zeitung „La Repubblica“, wie WELT Mitglied der Leading European Newspaper Alliance hat mit ihr gesprochen.

WELT: Was ist los in Ihrer Stadt?

Karen Bass: Heute hat die Einwanderungsbehörde (Immigration and Customs Enforcement, ICE) fünf Razzien durchgeführt, um Migranten festzunehmen – eine davon vor der Schule meines Enkels. Sie sorgt grundlos für Chaos und Angst. Ich habe mit Angehörigen einiger Festgenommener gesprochen: einer Mutter aus Guatemala, die seit Tagen nach ihrem Mann und ihrem Sohn sucht, die bei der Razzia im Ambiance-Lager festgenommen wurden (eines der Geschäfte in der Innenstadt von Los Angeles, das ICE-Einsatzkräfte am Freitag durchsucht hatten, Anm. d. Red.); einer Tochter, die mit ansehen musste, wie ihr Vater in Handschellen abgeführt wurde und seitdem nichts mehr von ihm gehört hat. Nicht einmal die Kommunikation mit ihren Anwälten wird gewährleistet. Das verstößt gegen das Gesetz. Viele der Festgenommenen sind keine Illegalen. Sie werden auf dem Weg zu den Stellen der ICE festgenommen, wo sie Formalitäten für die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung erledigen wollen. Das führt dazu, dass auch andere, die sich nicht mehr trauen, dorthin zu gehen, zu Illegalen werden – und damit abgeschoben werden können.

WELT: Wie hat das alles angefangen?

Bass: Am Donnerstag war Los Angeles eine ruhige und glückliche Stadt. Am Freitag brach Chaos aus, weil die Regierung dies provozieren wollte. Trump hatte im Wahlkampf versprochen, Kriminelle abzuschieben. Wie kommt er von Drogenhändlern und Mördern zu ehrlichen Familienvätern, die im „Home Depot“-Lager arbeiten?

WELT: Warum tut der Präsident das?

Bass: Er hat Los Angeles als eine von Illegalen überrannte Stadt beschrieben, die das Militär auf den Straßen braucht, damit sie befreit werden kann. Klingt das für sie nach der Realität? Die größtenteils friedlich verlaufenen Proteste fanden in einem Gebiet von wenigen Straßen rund um das Rathaus statt. Es ist beschämend. Die Wahrheit ist, dass er uns für ein Experiment benutzt: Wenn er in der zweitgrößten Stadt Amerikas ungestraft das Gesetz brechen kann, dann kann er das überall tun.

WELT: Ist das sein einziges Ziel?

Bass: Es geht auch darum, unsere Wirtschaft zu ruinieren, weil er weiß, dass viele Schlüsselbranchen von der Arbeit der Migranten abhängig sind. Damit schadet er den Menschen, den Familien und unserer Verwaltung.

WELT: Fürchten Sie, verhaftet zu werden?

Bass: Wofür?

WELT: Los Angeles ist eine internationale Stadt, die nächstes Jahr das erste Spiel der Fußballweltmeisterschaft und 2028 die Olympischen Spiele ausrichten wird. Was sagen Sie der Welt, die auf Sie schaut?

Bass: Hier herrscht nicht das Chaos, wie es der Präsident beschrieben hat, und womit er enormen Schaden angerichtet hat. Wegen ernsthafter politischer Probleme finden weitgehend friedliche Demonstrationen statt, die von der Regierung verursacht wurden. Aber wir haben die Lage unter Kontrolle.

WELT: Aber stimmt es nicht, dass es Gewalt gab?

Bass: Ja, und ich verurteile sie aufs Schärfste. Sie hat nichts mit den Menschen zu tun, die sich ehrlich für die Rechte der Migranten einsetzen. Unseren Erkenntnissen zufolge sind die Proteste spontan entstanden und wurden nicht von subversiven Akteuren provoziert. Wer gegen das Gesetz verstößt, wird festgenommen. Glauben Sie nicht, dass Sie ungestraft davonkommen, wenn Sie es schaffen, heute Abend ungestört nach Hause gehen. Wir werden Sie finden und holen. Ich schließe eine nächtliche Ausgangssperre für die Innenstadt nicht aus, sollte diese notwendig werden.

Das Interview wurde am späten Nachmittag (Ortszeit) des 10. Juni geführt. Am Abend verhängte Bass eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 20 und 6 Uhr über einen kleinen Teil der Innenstadt von Los Angeles.

WELT: Sind dafür nicht die Nationalgarde und die Marines (Soldaten der Eliteeinheit US-Marines, d. Red.) da?

Bass: Wissen Sie eigentlich, was die Soldaten tun? Von den über 2000 mobilisierten Einsatzkräften werden nur 300 eingesetzt. Sie bewachen das Bundesgebäude in der Nähe des Rathauses und jenes in Westwood. Die anderen sitzen in der Kaserne und drehen Däumchen. Was bringt es, diese ohnehin schon nutzlosen Soldaten mit weiteren 700 Marines zu verstärken?

WELT: Warum schickt Trump sie dann?

Bass: Um sich zu profilieren. Ich sage Ihnen nur Eines: Die Regierung hat die Nationalgarde in einer öffentlichen Mitteilung dazu beglückwünscht, dass sie die Ordnung wiederhergestellt hätten – und das, obwohl die Soldaten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in Los Angeles angekommen waren. Halten Sie das für seriös?

WELT: Haben Sie mit Trump gesprochen?

Bass: Nein, aber ich habe mit dem Weißen Haus gesprochen.

WELT: Was haben Sie gesagt?

Bass: Dass die Nationalgarde nutzlos ist, da unsere Polizei in der Lage ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Und dass dies eine Provokation ist, ein bewusster Versuch, Unruhe und Chaos zu stiften.

WELT: Was fordern Sie jetzt?

Bass: Wir hören, dass die Razzien 30 Tage dauern könnten. Sie müssen beendet werden und Trump muss die Macht an den Gouverneur (von Kalifornien, d. Red.) zurückgeben. Ob er Hilfe braucht, wird er selbst entscheiden – und zwar gemäß dem Gesetz.

Dieses Interview erschien zuerst bei „La Repubblica“, wie WELT Mitglied der Leading European Newspaper Alliance (Lena). Übersetzt aus dem Italienischen von Diana Pieper sowie aktualisiert und redaktionell bearbeitet.

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