Bundeskanzler Merz hat recht: Das israelische Vorgehen im Gazastreifen lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen die Hamas begründen. Nun müssen Konsequenzen folgen - nicht still und leise, sondern laut und deutlich.

Seit seiner Gründung muss Israel sich gegen Angriffe zur Wehr setzen. Nur Stunden nach Ausrufung des Staates Israel wurde das Land von Ägypten, Syrien, Jordanien, Libanon, Irak und Saudi-Arabien überfallen. Israel hält nur deshalb Gebiete außerhalb seines eigenen Territoriums besetzt, weil es auch nach diesem ersten Krieg von seinen arabischen Nachbarn bedroht wurde. Heute ist der Iran die größte Gefahr für Israel, der seit Jahrzehnten die Vernichtung des "zionistischen Regimes" predigt.

Auch die Hamas strebt seit ihrer Gründung die Vernichtung Israels und die Ermordung von Juden an. Der Gazakrieg wurde ausgelöst, weil Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 Israel überfielen - nicht umgekehrt. Sie ermordeten fast 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere. Es war der größte Massenmord an Juden seit der Schoah. Bis heute feuert die Hamas Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel, auch wenn die Angriffe der ebenfalls mit dem Iran verbündeten Huthi-Miliz aus dem Jemen mittlerweile sehr viel häufiger sind. Bis heute hält die Hamas Geiseln gefangen.

All dies muss betont werden, damit deutlich wird: Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, ist im sich ständig verändernden Nahostkonflikt nicht der Aggressor. Wenn Deutschland Waffen an Israel liefert, dann hat das gute Gründe. Ohne die Fähigkeit, sich zu verteidigen, würde es Israel nicht mehr geben.

Zehntausende Tote

Zugleich ist klar, dass die in den Waffenlieferungen zum Ausdruck kommende Solidarität mit Israel dem Staat gilt, nicht einer konkreten Regierung. Schon gar nicht der aktuellen. Ihr Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen ist unverhältnismäßig. Nach wie vor, trotz der endlich angelaufenen Hilfe, droht dort eine Hungersnot. Der Verdacht liegt nahe, dass die israelische Regierung Hunger als Waffe einsetzt. Verteilt werden jetzt Lebensmittel von einer undurchsichtigen Stiftung, mit der die US-Regierung offiziell nichts zu tun haben will. Zuvor war über zweieinhalb Monate keinerlei Hilfe in den Gazastreifen gelangt.

Nach einer nur unsicheren Berechnung des britischen "Economist" von Anfang Mai kamen in diesem Krieg zwischen 77.000 und 109.000 Palästinenser im Gazastreifen ums Leben. Das wären vier bis fünf Prozent der Vorkriegsbevölkerung des Gebiets. Die Zahl liegt noch oberhalb der Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden im Gazastreifen: Das gab die Zahl der Toten Ende Mai mit 54.084 an, darunter 16.854 Kinder. Sicher ist, dass die Zahl der Toten hoch ist, zu hoch.

"Ja, Israel begeht Kriegsverbrechen"

Mittlerweile ist der Gazastreifen weitgehend zerstört. Für die Bewohner gibt es keine Möglichkeit, in wenigstens halbwegs sichere Regionen zu fliehen. Längst steht die Frage im Raum, ob Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht - zum Beispiel durch ein Aushungern der Bevölkerung. Diese Frage stellen nicht nur Pro-Palästina-Aktivisten, deren Vorwürfe man in der Regel ignorieren kann. Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag geht diesem Verdacht nach. Der frühere israelische Ministerpräsident Ehud Olmert schrieb unlängst in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Haaretz", Israel führe im Gazastreifen einen "Krieg der Verwüstung". Was dort geschehe, seien keine Einzelfälle, sondern das bewusst herbeigeführte Ergebnis von Regierungspolitik. Und Olmert fährt fort: "Ja, Israel begeht Kriegsverbrechen."

Gerade einem Land, das sich als Freund Israels sieht, muss das Vorgehen der israelischen Regierung höchste Sorge bereiten. Denn die Hamas ist eben nicht nur eine Terrororganisation, sondern auch eine Ideologie, wie der österreichische Oberst und Militärstratege Matthias Wasinger im Interview mit ntv.de sagte. Israel behauptet, rund 20.000 Kämpfer von Hamas und Islamischem Dschihad getötet zu haben. Aber: "Es wird angenommen, dass die Hamas im selben Zeitraum bis zu 15.000 neue Kämpfer rekrutiert hat."

Merz und Wadephul haben recht

"Eine Ideologie lässt sich mit anderen gesamtstaatlichen Ansätzen besiegen oder vernichten, indem man ein Szenario anbietet für den Tag danach", sagt Wasinger auch. Genau daran fehlt es. Die israelische Regierung setzt allein auf den militärischen Erfolg, eine Besetzung des kompletten Gazastreifens. Im Westjordanland will sie unterdessen 22 neue Siedlungen errichten. Schon die bestehenden Siedlungen sind völkerrechtswidrig. Jede neue Siedlung macht es wahrscheinlicher, dass das Westjordanland von Israel annektiert wird.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat völlig recht: "Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht, ich verstehe - offen gestanden - nicht mehr, mit welchem Ziel", sagte er in der vergangenen Woche. "Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen."

Es war auch absolut richtig, was Außenminister Johann Wadephul der "Süddeutschen Zeitung" sagte: Israel müsse sich gegen Angriffe verteidigen können und bekomme deshalb Waffen aus Deutschland. "Eine andere Frage ist, ob das, was im Gazastreifen geschieht, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen ist. Das prüfen wir, und an dieser Prüfung ausgerichtet werden wir gegebenenfalls weitere Waffenlieferungen genehmigen."

Jetzt muss gehandelt werden

Diese Haltung wird zwar von der SPD geteilt, nicht aber von der Union, vor allem nicht von der CSU. Und damit ist klar: Diese Prüfung wird es nicht geben. Auch Wadephul ist inzwischen zurückgerudert, auch wenn er abstritt, einen Kurswechsel vollzogen zu haben. "Deutschland wird weiterhin den Staat Israel unterstützen, auch mit Waffenlieferungen", sagte er an diesem Mittwoch im Bundestag. Wenn das bedeutet, dass alles so weitergeht wie bisher, dann ist diese Haltung ein Fehler.

Im Gazakrieg werden vereinzelt auch Waffensysteme deutscher Herkunft eingesetzt, etwa in Israel hergestellte Panzerfahrzeuge mit deutschen Motoren. Aber von zentraler Bedeutung sind die Lieferungen nicht. Häufig werden Zahlen des schwedischen Instituts Sipri zitiert, wonach Deutschland zwischen 2019 und 2023 Absender von 30 Prozent der israelischen Waffenimporte war, das meiste davon für die Marine. Allerdings kommt eine Analyse der "Zeit" zu dem Schluss, dass die Bedeutung von Rüstungstechnologie aus Deutschland für die israelischen Streitkräfte stark abgenommen habe, trotz der fortgeführten Lieferungen im Umfang von fast 500 Millionen Euro seit dem 7. Oktober 2023. Auf Zulieferung aus Deutschland sei Israel nicht mehr angewiesen.

Selbst ohne Waffenimporte aus Deutschland wäre Israel also nicht wehrlos, und es geht auch gar nicht darum, alle Lieferungen komplett einzustellen. Es wäre vor allem ein Symbol, zumal die Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungswaffen schwierig bis unmöglich ist. Aber dieses Symbol ist dringend nötig. Nach Merz' Äußerungen sagte der israelische Botschafter Ron Prosor: "Wenn Friedrich Merz diese Kritik gegenüber Israel erhebt, dann hören wir sehr gut zu, weil er ein Freund ist." Dennoch ist nicht zu erwarten, dass Israel sein Vorgehen im Gazastreifen oder im Westjordanland unmittelbar verändert. Aber vielleicht hört die israelische Regierung noch ein bisschen besser zu, wenn die Bundesregierung nicht nur hinter verschlossenen Türen Klartext spricht und die Waffenexporte lediglich still und leise reduziert, sondern offen eine deutliche Botschaft sendet: Wir helfen gern dabei, Israel zu schützen. Aber wir wollen nicht zu einem Krieg beitragen, der strategisch sinnlos und politisch katastrophal ist.

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