Die Bundesregierung wird laut Kanzler Friedrich Merz trotz des Rückschlags vor Gericht ihren Kurs verstärkter Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen fortsetzen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin habe „Spielräume hier möglicherweise noch einmal etwas eingeengt“, sagte Merz am Dienstag auf dem Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin.
„Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können“, fügte der CDU-Chef hinzu. Man werde dies „selbstverständlich im Rahmen des bestehenden europäischen Rechts“ tun. Aber man werde die öffentliche Sicherheit schützen und das Land vor einer „Überlastung“ bewahren. „Dies ist eine Aufgabe, der wir uns unverändert stellen wollen“, betonte der Kanzler. Bis die europäischen Außengrenzen wirklich geschützt seien, müssten die Kontrollen an den Binnengrenzen aufrechterhalten werden.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer Eilentscheidung bestimmt, dass die Zurückweisung von drei Somaliern nach Polen Anfang Mai nicht rechtens gewesen sei. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte erklärt, er halte trotz des Gerichtsbeschlusses vorerst an den Zurückweisungen fest und warte nach den Eilentscheidungen das Hauptsacheverfahren ab.
Auch der Chef des Bundeskanzleramts, Thorsten Frei, betonte bei WELT TV, am derzeitigen Kurs bei Zurückweisungen an den Grenzen festzuhalten. Die Regierung halte „die Praxis, wie wir sie anwenden, für rechtmäßig“, sagte der CDU-Politiker. Er kündigte aber an, Schlussfolgerungen aus der Eilsachenentscheidung dieses Einzelfalls ziehen. „Das werden wir tun. Und wenn es noch Begründungserfordernisse gibt, muss man eben entsprechend nachschärfen.“
Frei verteidigte die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, gestand jedoch ein, dass einige europäische Partnerstaaten wie Polen diese Praxis nicht unterstützen: „Da haben wir unterschiedliche Haltungen. Nicht alle Nachbarn sehen es gleich.“ Polen habe jedoch „grundsätzlich die gleiche migrationspolitische Auffassung haben wie wir“ – schließlich agiere das Land umgekehrt an seinen Außengrenzen genauso wie Deutschland. „Wir müssen Lösungen finden, die auch mit den Nachbarn kompatibel sind. Das ist von entscheidender Bedeutung.“
Stegner kritisiert „flotte Zurückweisungsrhetorik“
Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann zeigte sich von der Reaktion von Dobrindt „irritiert“. „An diesem Urteil gibt es jetzt keine Anfechtbarkeit. Es ist unanfechtbar“, sagte sie am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“.
Dass Dobrindt in einem Hauptsacheverfahren Erfolg haben könnte, hält Haßelmann für „ausgeschlossen“. Im Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts stehe eindeutig: „Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar“. Mit seinen Äußerungen habe Dobrindt daher „viele irritiert“, sagte sie. Haßelmann sprach im ARD-Morgenmagazin von einer im Grunde „grundsätzlichen“ Entscheidung. Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Innenminister Dobrindt „sind mit ihrem nationalen Alleingang auf der ganzen Linie gescheitert. Das ist ganz eindeutig und das zeigt auch dieses Urteil“, sagte sie.
Dobrindts Verhalten stieß nicht nur bei den oppositionellen Linken und Grünen auf Kritik. Auch der SPD-Politiker Ralf Stegner kritisierte Dobrindt (CSU). Die SPD habe in der Asylpolitik immer „auf Humanität und die Einhaltung der deutschen und europäischen Rechtsgrundlagen an unseren Landesgrenzen bestanden“, sagte Stegner dem „Spiegel“.
Dies hätten die Konservativen stets lässig zurückgewiesen. Im Wahlkampf habe es dann „die bekannte flotte Zurückweisungsrhetorik der Union gerade aus der CSU“ gegeben.
Diese stehe nun vor dem Praxistest im Regierungshandeln. „Das wird für Herrn Dobrindt möglicherweise nicht ohne ein paar politische Schrammen abgehen – so was kommt von so was“, sagte Stegner, der in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD die Innen- und Migrationspolitik mitverhandelt hatte.
Konzept der Zurückweisungen ist erledigt, sagt der Migrationsforscher
Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält das Konzept der Zurückweisungen für gescheitert. „Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will“, sagte Knaus im Podcast „5-Minuten-Talk“ des „Stern“.
Knaus zeigte sich irritiert über die Ankündigung von Bundesinnenminister Dobrindt, trotzdem an dem umstrittenen Konzept festzuhalten: „Irgendwann muss ja auch die SPD - sie stellt ja die Justizministerin - die Frage stellen, wie kann man eigentlich die Bundespolizei losschicken, was zu tun, was offensichtlich rechtswidrig ist.“
Knaus empfiehlt der Bundesregierung stattdessen sichere Drittstaatenabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals von 2016. Dieser habe die Migrationszahlen schon einmal reduziert. Die EU-Kommission habe vor zwei Wochen Vorschläge präsentiert, mit deren Hilfe das rechtlich möglich würde. „Jetzt müssten SPD, CDU und CSU im Europaparlament dafür sorgen, dass es möglichst schnell durchkommt. Die meisten in der EU wollen das“, so Knaus. „Dann könnte man parallel dazu jetzt schon mit Verhandlungen und Angeboten beginnen. So schnell es geht.“
Dobrindt hatte am 7. Mai verstärkte Kontrollen und Zurückweisungen von Migranten angeordnet. Dies soll dem Minister zufolge nicht auf lange Dauer angelegt sein. Von den Zurückweisungen sind zudem besonders verletzliche Gruppen wie Kinder und Schwangere ausgenommen.
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